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Kommentar Urteil gegen RaserDer Fetisch der Deutschen

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Raserei ist nicht allein mit Gesetzen beizukommen. Mehr als 3.000 Verkehrstote rühren nicht nur von illegalen Autorennen.

Kulturelles Klischee von Freiheit – und tödliche Waffe Foto: photocase/Mikromaus

W enn man von Deutschland auf die USA schaut, kann man nur mit dem Kopf schütteln. 300 Millionen Schusswaffen gibt es in den Vereinigten Staaten, fast eine pro Einwohner. Waffenbesitz gehört dort zur Kultur, gilt als Inbegriff der Freiheit, als tragendes Fundament der Gesellschaft. Zwar werden dort rund 30.000 Menschen Jahr für Jahr erschossen. Aber das nehmen sie gern in Kauf da drüben. Kurz gesagt: Die spinnen, die Amis!

Doch was könnten umgekehrt die Amis denken? Die spinnen, die Deutschen! Denn ein vernünftiger Mensch kann kaum verstehen, dass hierzulande das Durchdrücken des Gaspedals als Inbegriff der Freiheit gilt. 45 Millionen Pkws gibt es in Deutschland. Und weit über 3.000 Verkehrstote pro Jahr. Die Dimension ist ähnlich wie bei den Waffen in den USA. Hier wie dort werden die Toten hingenommen als Preis der Freiheit.

Wegen eines der 3.000 Verkehrstoten des Jahres 2016 sind am Montag zwei Männer zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Als Mörder. Weil sie bei einem illegalen Autorennen mit einem Höllentempo durch die Berliner Innenstadt gerast sind – und so einen zufällig Vorbeikommenden umgebracht haben.

Das Urteil ist so radikal wie überfällig, weil es endlich das Auto als das benennt, was es eben auch ist: eine tödliche Waffe.

Umdenken ist nötig

Der Richterspruch trifft somit keineswegs nur die beiden Verurteilten. Er trifft ins Mark einer Gesellschaft, die das Auto zum Götzen erhoben hat. In der illegale Autorennen nur die perverse Krönung eines akzeptierten Wahnsinns sind. So wie jenseits des Atlantiks lustvoll der Lauf der Pistole gerieben wird, gilt hierzulande das genussvolle Gleiten über die Gangschaltung als vollendetes Vergnügen. Und das keineswegs nur bei Prolls, denen man diese Abart des Verkehrsverhaltens jetzt gern zuschieben möchte.

Gesetzesverschärfungen werden daher nur wenig gegen Raser nutzen, wenn es nicht in der Gesellschaft ein genauso radikales Umdenken gibt wie jetzt in der Rechtsprechung. Wenn klar wird, dass über der Freude am Fahren noch die Freude am Leben stehen muss. Das aber müsste erst einmal gegen die starke Lobby aus Autoindustrie, Autoverbänden und Autofahrerparteien durchgesetzt werden. Denn insofern ähnelt die Situa­tion der in den USA – wo eine scheinbar unschlagbare Waffenlobby die gesellschaftliche Debatte dominiert.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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15 Kommentare

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  • Dieser Vergleich ist so falsch, dass er nicht einmal mehr hinkt. Er kriecht am Boden.

    Amerikaner besitzen Waffen, um zu schießen. Auf Menschen zu schießen. Das ist deren einziger Zweck. Nur deshalb legen sich Amis eine Waffe zu: um auf (böse) Menschen zu schießen.

    Ich habe noch von keinem Deutschen gehört, der sich ein Auto zulegt, um Menschen zu überfahren. Es wurde auch noch niemals ein Auto zu dem Zweck konstruiert, Menschen zu töten.

    Man besitzt ein Auto, um damit zu fahren. Dass dabei viele Fahrten unnötig sind, dass manche ihr Auto missbrauchen, ist wahr. Dennoch "nimmt" niemand die mehr als 3.000 Verkehrstoten pro Jahr "in Kauf" – im Gegenteil, es wird alles unternommen, um diese Zahl zu verkleinern.

    Dass in den USA alles unternommen wird, die Zahl unschuldig Erschossener zu reduzieren, wäre mir neu.

  • Das Urteil ist nicht "überfällig", sondern falsch.

     

    Ein "Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln [...] einen Menschen tötet", so steht's im Strafgesetz. Dass die Verurteilten aus Mordlust oder zur Befriedigung ihres Geschlechtstriebs gehandelt haben, wurde nicht behauptet. Auch Habgier, Heimtücke und besondere Grausamkeit scheinen keine Rolle gespielt zu haben. Wenn aber der Drang nach Selbstaufwertung tatsächlich unter "niedere Beweggründe" fiele, müssten Spitzenpolitiker, Spitzensportler, Spitzenwissenschaftler und sonstige Stars (Richter inklusive) nicht den Roten Teppich ausgerollt bekommen, sondern die Kalte Schulter gezeigt.

     

    Bleibt also nur das "gemeingefährliche[] Mittel". Und hier, finde ich, hätte das Gericht mehr Willen als Vernunft bewiesen, wenn es das Auto dazu erklärt hätten.

     

    Autos sind so wenig Waffen wie es Hämmer sind. In den falschen Händen allerdings können auch Autos Menschenleben kosten. Deswegen gibt es ja den Führerschein hier erst ab 17 bzw. 18. Wobei es sich der Gesetzgeber damit zu leicht gemacht zu haben scheint.

     

    Nicht jeder 18-, 20- oder 40-jährige ist verantwortungsbewusst. Der bloße Blick auf die Geburtsurkunde sagt einem nicht, wie sich ein Mensch verhalten wird. Leider wird dieses Gericht an der Gesetzeslage gar nichts ändern. Es ist kein gesetzgebendes Organ. Sollte es das bedauern, kann es nur versuchen abzuschrecken. Dazu allerdings muss es das geltende Recht, nun ja, besonders frei auslegen.

     

    Sinnvoller wäre es, zu fragen, wozu Gesellschaften wie unsere Götzen brauchen. Täte es das, käme das Gericht aber erst recht in Teufels Küche. Ein gewisser "akzeptierter Wahnsinn" hat schließlich mehr als eine "perverse Krönung". Die Menschen sind nun mal erfinderisch. Auch, wenn sie einen an der Waffel haben. Dann ganz besonders, fürchte ich.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Ihrem letzten Absatz stimme ich zu. Würde aber noch ein wenig anders fragen, nämlich: wozu brauchen wir Kicks? Und wenn wir sie nicht brauchen, warum machen wir aus den "Kickern" Helden, wenn sie mit einem Gummiseil von der Brücke springen oder mit einem "Fledermausmantel" durch Schluchten fliegen? Warum ist es geradezu verpönt, das doof zu finden? Und warum wundern wir uns, wenn dauerabgehängte Jungmänner mit narzisstischem Nachholbedarf ihr Mütchen auf die absonderlichste Weise kühlen? Irgendwie gehört das in meinen Augen zusammen, nur ist hier natürlich die Schwelle erreicht, wo ein direkter Vergleich einen kräftigen "Scheißsturm" nach sich zöge. Die jungen Herren haben eben nicht allein sich selbst gefährdet...

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Ihre Argumentation hat einen Haken: Das Mittel ist nicht an den Gegenstand gebunden. Ein Hammer kann ein - probates - Mittel sein, um einen Nagel in die Wand zu hauen. Aber man kann dazu auch eine schweren Schuh nehmen oder eine Pistole. Man kann mit dem Auto als Mittel zu dem Zweck verwenden, von A nach B zu kommen. Man kann es aber auch als gemeingefährliches Mittel einsetzen, wenn man sich etwa im öffentlichen Raum ein Autorennen liefert.

  • Man muss gar nicht in die USA schauen. Frankreich oder Italien haben genau so viele, oder gerigfügig mehr, Verkehrstote als Deutschland. Obwohl dort sowohl die Bevölkerung geringer ist, als auch landesweite Tempolimits in kraft sind. Gerade die deutschen Autobahnen sind sicherer als fast jedes andere Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt. Vielleicht liegt das ja daran, dass man durch unterschiedlich schneller Verkehrsteilnehmer zur Vorsicht gezwungen ist, während andere Schnellstraßensystem einen zum wegdämmern einladen.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Der Autor hat Recht: wir sind ein Volk mit einem Autofetisch. Fette Autos fahren ist die höchste Freude des Spießers, mit oder ohne Migrationshintergrund, und damit zu töten war bisher ein Kavaliersdelikt. Das muss aufhören. Damit das Auto nicht mehr als Waffe benutzt werden kann, gehört es aus den Städten verbannt. Für Fußgänger und Radfahrer gefährliche SUVs gehören verboten und der ganze Fuhrpark technisch auf minimale PS abgerüstet. Es geht doch angeblich beim Autofahren um die Fortbewegung. Die geht bei vollen Straßen um so besser voran, je langsamer alle fahren.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Sind die Deutschen also ein Volk von Fetisch-gläubigen Spießern ? Warum die anderen 'Völker' dann nicht, aber deren Angehörige dann doch, wenn sie in Deutschland leben ('mit Migrationshintergrund').

      Das früher an den Wochenenden zelebrierte liebevolle Pflegen und Polieren oder die Wackeldackel oder die gestrickten Klopapierollenverkleidungen können in der Tat als voll-spießig angesehen werden, ebenso wie das genussvolle Ganghebelgleiten oder das Streicheln über das hochglanzpolierte 'heilige' Autoblechle . Es ist nicht das Volk, das das Auto zum Götzen erhoben hat, sondern die technokratiegläubigen Eliten in Wirtschaft und Politik, Autos erfunden und 'made in Germany' waren seit jeher identitätsstiftend und Ausdruck persönlichen Erfolgs und des gesellschaftlichen Status. Kein Autofahrer sollte mehr als 20 km bis zur nächsten AB Auffahrt brauchen, so SPD MinisterLeber 1966, also wurde Autofahrer immer attraktiver gemacht. Solange die von die Industrie bestimmte Autoherstellung (und damit das Verkaufen und Fahren) ein Hauptziel unseres wirtschaftlichen Schaffens ist, solange wird persönliche Freiheit mit 'freiem' (und damit auch schnellem) Fahren gleichgesetzt. Warum wohl gibt es immer noch kein generelles kmh-Limit auf deutschen Autobahnen obwohl die Mehrheit der angeblich so Autofetisch - abhängigen deutschen Bevölkerung dafür ist ?

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @Kwasir:

        Gewiss hat die Autolobby einen großen Anteil an der Fetischisierung des Autos. Dennoch kenne ich außer Deutschland kein Land, in dem ein Kratzer am Gefährt schlimmer ist als ein dysfunktionales Gemächt (wahrscheinlich ist dieses Ursache für jenes).

         

        Angeblich sind nun aber die Menschen frei und müssten insofern als mündige Bürger die Fetischisierung durchblicken und sich gegen sie wenden. Mag sein, dass also die Mehrheit für ein Tempolimit ist, aber die Mehrheit ist ganz bestimmt nicht für einen Abschied vom Auto als Fetisch, den sie lebt von und mit ihm.

         

        Autofahren und Fleischessen. Das sind einige der vielen Dinge, wo in dieser Republik die Vernunft keine Chance hat.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    In Deutschland gab es 2016 4,3 Tote/100.000 Menschen, in den USA 10,6. Die Amis spinnen nicht nur, was ihre Waffen betrifft.

  • Ohne Auto-Fan zu sein, kann man erkennen, dass die Statistiken nicht den Inhalt des Artikels widerspiegeln. Zum einen sinkt die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich. 1991 waren es noch über 11.000. 2016 sind wir bei unter 3.300. Zum anderen sterben beispielsweise in Brandenburg, das Bundesland mit den meisten Verkehrstoten, die Menschen eben nicht vor allem auf Autobahnen, sondern auf der Landstraße und im innerörtlichen Verkehr. Man könnte - wenn man will - herauslesen, dass es dort, wo "das genussvolle Gleiten über die Gangschaltung als vollendetes Vergnügen" möglich ist, am ungefährlichsten ist. Wenn man will - ich will aber nicht.

     

    Wäre schön gewesen, wenn der Artikel weniger ins Mythische abgleiten würde und stattdessen faktenorientierter wäre.

    • @rero:

      Faktenorientiert hieße in dem Fall für mich auch, eine Aufschlüsselung der Opfer unter den Verkehrstoten.

      Dass das Autofahren für den Autofahrer sicherer geworden ist seit der Gurtfplicht, den Airbags auf allen Seiten und noch vielen anderen Erneuerungen ist keine Frage.

      Für Fußgänger und Radfahrer gilt das jedoch nicht, und da würde es mich schon sehr interessieren ob dort die Opferzahlen im gleichen Maß zurückgegangen sind, wie bei den sehr gut geschützten Autofahrern.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Natürlich bringt ein Tempolimit was: Allein flächendeckend Tempo 30 in den Städten halbiert die Todesrate und das sind in der BRD etwa alle 2h ein Toter, etwa 12 Tote am Tag.

     

    Das bedeutet: Wenn wir 5km in der Stadt fahren - also eine Entfernung, bei der das Fahrrad ohnehin schneller am Ziel ist - brauchen wir theoretisch mit 50 km/h 6 min und mit 30 km/h 10 min. Also "kostet" uns - gesellschaftlich betrachtet - ein Unterschied von theoretisch 4 min sechs Tote am Tag. Jetzt zeig mir mal einen, der in der Stadt tatsächlich mal 6 min lang 50 fährt.

     

    Und nur für den Quatsch, um zwischen den Ampeln mal gschwind für wenige Sekunden auf 50,60,70 beschleunigen zu können, kaufen wir uns Autos mit 135 PS (obwohl 27 PS mehr als ausreichen) und fahren haufenweise Leute um.

     

    Noch eins drauf?

    Die Verkehrstotenstatistik wurde dadurch stark verbessert, dass Unfallopfer, die einige Tage im Koma liegen, nicht mehr als "Unfallopfer" zählen, sondern als "Folge eines Verkehrsunfalls". Andere Statistik, zählt anders.

     

    Das ist Deutschland!

  • Bevor Herr Asmuth einen solchen Artikel schreibt, hätte er sich bessser die Anzahl der Verkehrstoten in den USA angesehen. Die im Netz zu findenden Zahlen schwanken zwar je nach Quelle aber es dürften aktuell circa 35.000 Tote im Jahr sein. Damit liegen die USA sowohl zahlenmäßig als auch pro Kopf weit über Deutschland. Angesichts der regiden Geschwindigkeitsbeschränkungen in den USA drängt sich der Schluss auf, dass die Anzahl der Toten gerade nichts mit der Geschwindigkeit zu tun haben muss.

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Was für ein hanebüchener Unfug!

    Eine Waffe ist für nichts anderes entworfen worden, um zu verletzten, um zu töten, ein Kfz. definitiv nicht.

     

    Sicher kann ein Idiot ein Auto zweckentfremden, aber das gilt wohl praktisch für jedes Objekt, z.B. auch Hammer und Sichel.

  • Gut, die Amis sind wegen der Knarren schon ein wenig eigenartig. Und als Fahrrad-Fahrer möchte ich die Auto-Freaks hierzulande auch nicht im Ansatz in Schutz nehmen. Es ist aber nicht alles ein Vergleich was hinkt, da es in den USA mehr als doppelt so viele Verkehrstote gibt wie hier. Ein Tempolimit alleine bringts dann doch nicht.

     

    "Aber auch in den Vereinigten Staaten, die über scharfe Verkehrsgesetze und hohe Sicherheitsstandards verfügen, ist die Quote mit 11,4 Toten je 100.000 Einwohner relativ hoch, erst recht, wenn man Schweden (3,0), Großbritannien (3,7) und die Schweiz (4,3) zum Vergleich heranzieht. Auch in Deutschland ist das Risiko, infolge eines Verkehrsunfalls zu sterben, relativ gering (4,7)." meint die Welt oder Wikipedia.