: Umwelt doch wichtig
Elbvertiefung Bundesverwaltungsgericht erklärt das Vorhaben für rechtswidrig, hält aber Nachbesserungen für möglich. Wirtschaft kritisiert Fortdauer der Hängepartie
von Sven-Michael Veit
Den vollen Durchblick hat wie immer Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz. „Die Elbvertiefung wird kommen“, kommentierte er am Donnerstag das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Elbvertiefung. „Alle schwierigen Fragen, die juristisch hier zu lösen waren, was das Wasserrecht betrifft, was die Frage betrifft, ob die Elbvertiefung überhaupt richtig und sinnvoll ist, was die Auswirkungen auf Ebbe und Flut, auf Stromgeschwindigkeit und andere Fragen betrifft, was das europäische Recht betrifft, sind geklärt.“ Zwar müssten die Planungsbehörden noch einige kniffelige naturschutzrechtliche Fragen klären, dann aber könne „zügig die Fahrrinnenanpassung stattfinden“.
Das Leipziger Bundesgericht hatte wenige Stunden zuvor entschieden, dass der Planfeststellungsbeschluss zur Elbvertiefung in seiner jetzigen Form rechtswidrig und nicht vollziehbar sei. Allerdings könnten die Mängel nachträglich behoben werden und das Projekt damit grundsätzlich zulässig sein. Damit ist ein Beginn der Elbvertiefung (siehe Kasten) vorerst weiter nicht in Sicht, die Elbe erhält eine Gnadenfrist. Gegen das Vorhaben hatten die Umweltschutzverbände BUND und Nabu mit Unterstützung des WWF geklagt.
Und eben die sind sich in der Bewertung des Leipziger Urteils nicht ganz sicher. Das Gericht sei ihrer Klage „überwiegend gefolgt“, kommentieren sie: „Den Behörden ist es erneut nicht gelungen, eine rechtskonforme Planung vorzulegen – und dies nach zehn Jahren Verfahrensdauer.“ Hingegen „bedauert“ der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), der am gerichtlichen Verfahren nur beobachtend beteiligt ist, das Urteil.
Es sei unverständlich, dass das Gericht dem Schutz von Brutvögeln „keinen höheren Stellenwert eingeräumt hat“. Zudem beharrt der BBU darauf, dass das Vorhaben „gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot“ verstoße. Eben das aber hatte das Bundesverwaltungsgericht verneint. „Mögliche Beeinträchtigungen“ der Wasserqualität in der Unterelbe durch die Elbvertiefung seien „nicht so gravierend“.
„Schwer enttäuscht“ ist hingegen der Unternehmensverband Nord von Hamburg und Schleswig-Holstein darüber, dass „die Hängepartie“ weiter andauere. Das mache deutlich, so UVNord-Präsident Uli Wachholtz, „dass wir in Deutschland dringend eine Novellierung des Planungsrechts benötigen“. Dieser Vorstoß zielt darauf ab, den Umweltverbänden das ihnen laut Naturschutzrecht zustehende Verbandsklagerecht wieder zu entziehen. Das gleiche fordern auch die norddeutschen Metall- und Elektroindustrie und der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe: „Die Europäische Union, Bund und Länder müssen das Planungs- und Umweltrecht reformieren“, verlangt deren Präsident Frank Dreeke.
Entsprechende Forderungen hatten früher auch schon der Unternehmensverband Hafen Hamburg und Hamburgs CDU-Fraktionschef André Trepoll erhoben: „Irgendwelche demokratisch nicht legitimierten Lobbygruppen sollten notwendige Infrastrukturvorhaben nicht blockieren können“, so Trepoll vorigen Sommer im taz-Interview: „Das ist undemokratisch.“
Das Klagerecht wurde den Verbänden zuerkannt, damit sie stellvertretend für einzelne Betroffene die Rolle des Anwalts für die Natur übernehmen können. Zugleich war der Rechtsweg verkürzt worden: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nunmehr in erster und zugleich letzter Instanz, was der Beschleunigung von Verfahren dienen soll. Die gescholtenen Verbände sehen in dem erneuten Vorstoß den Versuch, Infrastrukturmaßnahmen ohne gerichtliche Überprüfung durchdrücken zu können: „Wer die Kläger abschaffen will, zielt tatsächlich auf das Ausschalten der Richter“, sagt Hamburgs Nabu-Chef Alexander Porschke.
Die Unterelbe soll zwischen der Nordsee und dem Hamburger Hafen auf rund 120 Kilometer Länge vertieft und verbreitert werden. Dafür müssen etwa 40 Millionen Kubikmeter Schlick vom Grund geholt und zum größten Teil in der Nordsee verklappt werden. Das entspricht rund 2,5 Millionen Lkw-Ladungen.
Ziel ist,dass die Riesencontainerfrachter der neuesten Generation – 400 Meter lang, mehr als 60 Meter breit – mit einem Tiefgang von 13,5 Metern den Hafen jederzeit anlaufen können, bei Hochwasser auch mit 14,5 Meter Tiefgang.
Es wäre die neunteElbvertiefung: Um 1800 war die Unterelbe nur rund drei Meter tief, 1818 bis 1825 erfolgte die erste Vertiefung auf 5,4 Meter unter NN. Die achte „Fahrrinnenanpassung“, wie das Projekt offiziell heißt, auf 16,8 Meter unter NN erfolgte 1999.
Die Baukostenvon gut 600 Millionen Euro trägt zu zwei Dritteln der Bund, zu einem Drittel Hamburg. Weitere rund 160 Millionen Euro für zusätzliche Maßnahmen des Naturschutzes und der Deichsicherung muss Hamburg aufbringen. Durch die weiteren Auflagen des Gerichts könnte es noch etwas teurer werden.
Eine ausführliche Bewertung des Leipziger Urteils wollen Nabu, BUND und WWF am heutigen Freitag vornehmen.
Kommentar
Schwerpunkt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen