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Integration durch EhrenamtFeuerwehr goes multikulti

Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein wirbt für Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr. Die hat Migranten bisher kaum beachtet, braucht aber Personal.

Noch unterrepräsentiert bei der Freiwilligen Feuerwehr: Migrantin. Foto: Patrick Pleul/dpa

HAMBURG taz | Die Türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein wirbt für mehr MigrantInnen für die Freiwilligen Feuerwehren im Land. Bei den knapp 60.000 Aktiven lässt der Anteil von MigrantInnen nämlich ziemlich zu wünschen übrig. Zwar hat etwa jede fünfte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund. In den Feuerwehren des Landes dagegen ist das Engagement bisher aber eine ziemlich deutsche Angelegenheit: Nur ein Prozent der Rettungskräfte haben einen Migrationshintergrund. „Das wollen wir ändern“, sagt Izzettin Emen, der das neue Projekt „Mehr ‚Wir‘ in der Wehr“ für die Gemeinde mitorganisiert.

Die Türkische Gemeinde sieht das Projekt als Brücke zwischen Feuerwehr und interessierten MigrantInnen. „Die Feuerwehr und die MigrantInnen kennen sich einfach nicht“, sagt Emen.

Kaum beachtet

Die Feuerwehr selbst hat bisher nicht viel unternommen, um auch Freiwillige mit Migrationshintergrund zu gewinnen. „Wir wissen aber, dass es viele Leute gibt, die mitmachen wollen“, sagt Emen. Deshalb soll es zunächst darum gehen, Hemmungen abzubauen. „Wer Interesse hat, dem geben wir alle nötigen Informationen.“

Die Feuerwehr

Deutschlandweit gibt es mehr als eine Million Mitglieder, wobei die überwiegende Mehrheit männlich ist, weniger als zehn Prozent der Aktiven sind Frauen.

In Schleswig-Holstein sind von den rund 60.000 Feuerwehrmitgliedern mehr als 48.000 ehrenamtlich aktiv.

Rund zwei Drittel der Einsätze werden von den Freiwilligen Feuerwehren gemacht.

Im Jahr 2015 vermeldete der Landesfeuerwehrverband rund 40.000 Einsätze – zumeist wegen Bränden und technischen Hilfeleistungen, aber auch wegen Fehlalarmierungen. Im Schnitt muss eine Freiwillige Feuerwehr etwa dreimal im Jahr zu einem Einsatz ausrücken.

Aktive dürfen in Schleswig-Holstein nicht älter als 67 Jahre sein, in manchen Bundesländern liegt die Altersgrenze schon bei 60 Jahren. Bundesweit ist der Altersschnitt in den Wehren bei über 50 Jahren.

Und bei Bedarf würde man sogar zur Feuerwehr begleitet. Neuen Nachwuchs können die Feuerwehren dabei gut gebrauchen. „Wir werden in den nächsten zehn Jahren altersbedingt viele Mitglieder verlieren“, sagt Melf Behrens vom Landesfeuerwehrverband, der mit der Türkischen Gemeinde kooperiert. Vor allem in den ländlichen Regionen des Landes würden daraus mittelfristig Personalprobleme entstehen können. Diese Erkenntnis führt nun zur Zusammenarbeit mit der Türkischen Gemeinde.

„Sie erreicht viele Menschen, auf die wir bisher nicht richtig zugegangen sind“, so Behrens. Ob MigrantInnen in zweiter Generation oder gerade erst in Schleswig-Holstein angekommene Geflüchtete: Die Türkische Gemeinde hat gute Kontakte etwa zu den einzelnen Moscheen, in die viele muslimische Eingewanderte regelmäßig kommen.

Emen berichtet, dass viele MigrantInnen einfach nicht wüssten, dass sie bei der Freiwilligen Feuerwehr mitmachen dürfen. „In vielen Ländern gibt es schließlich nur eine Berufsfeuerwehr. Das ist hier in Deutschland anders“, sagt er. In Schleswig-Holstein sind es neben vier Berufsfeuerwehren über 1.300 freiwillige Wehren.

Diese führen rund zwei Drittel aller Einsätze im Norden aus. „Es ist doch für jeden etwas Schönes, wenn man Menschen helfen oder sogar retten kann“, sagt Emen. Außerdem würde die Kooperation bei der Feuerwehr auch zu wachsendem gegenseitigen Vertrauen führen. „Es ist eine ganz praktische Möglichkeit zu verbesserter Integration, denn man lernt sich durch gemeinsame Interessen kennen, was wiederum zu gegenseitiger Akzeptanz führt“, sagt auch Feuerwehrmann Behrens.

Aus Dankbarkeit helfen

Ob das Projekt erfolgreich werde, ist bisher unklar. „Das ist die erste Aktion von uns zu diesem Thema“, sagt Behrens. Dabei hätten sich bei der schleswig-holsteinischen Feuerwehr schon ein paar Geflüchtete gemeldet und gefragt, wie sie helfen können. Ihre Motivation, so Behrens, sei gewesen, dass sie ihrer neuen Heimat aus Dankbarkeit etwas zurückgeben möchten.

Auch die Türkische Gemeinde ist da optimistisch: So hatte bereits eine Moscheegemeinde bei Emen angefragt, ob nicht die Feuerwehr mal vorbeischauen möchte, um über Brandschutz in der Moschee zu informieren und ihre Arbeit zu präsentieren. „Das wäre schon ein erster vielversprechender Kontakt“, sagt Emen. Generell, so sieht es die Türkische Gemeinde, wolle man das Thema zunächst ins Gespräch bringen – diese Woche mit einer ersten Projektpräsentation in Kiel, das auch vom Bundesinnenministerium unterstützt wird, und dann mit den verschiedenen Aktionen landesweit.

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