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Kommentar Asyl für türkische DissidentenMit der Türkei ist es vorbei

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Demokratie war für Erdoğan immer nur ein Mittel zum Zweck. Nun macht das Auswärtige Amt klar: Europas Verhältnis zur Türkei ist zerrüttet.

Wasserwerfer gegen Demonstranten am Wochenende in Istanbul Foto: dpa

O ft weiß man schon lange vor der Trennung, dass die Beziehung nicht mehr zu retten ist. Aber keiner will es aussprechen, denn erst dann wird es real und damit unumkehrbar. Zwischen der Türkei und Europa ist es nicht anders. Die Regierung in Ankara hat die türkische Demokratie erst in eine Demokratur und dann zu einer Autokratie umgebaut; nun verwandelt sich die Türkei vor unseren Augen in eine Diktatur.

Auch wenn die EU-Beitrittsverhandlungen noch nicht abgebrochen sind und türkische Vertreter weiterhin in allerlei gemeinsamen Räten und Gremien sitzen, ist längst klar: Es ist vorbei. Die Türkei gehört nicht länger zur europäischen Wertegemeinschaft. Ein Beitritt zur EU oder auch nur eine Annäherung ist derzeit so wahrscheinlich wie die Einführung der Homo-Ehe in Saudi-Arabien.

Der Erste, der das Unvermeidliche halbwegs offen ausspricht, ist Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Alle kritischen Geister könnten in Deutschland Asyl beantragen, betonte er. Das gelte ausdrücklich nicht nur für Journalisten.

Formal spricht er nur Selbstverständliches aus: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. So steht es im Grundgesetz. Doch wann hat es das zuletzt gegeben, dass ein deutscher Regierungsvertreter Dissidenten eines anderen Landes quasi auffordert, in Deutschland Schutz zu suchen?

Roths Äußerung ist eine klare Botschaft an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er soll wissen, was man im deutschen Außenministerium von ihm als Demokraten hält – nichts. Das Verhältnis ist zerrüttet, auch wenn der Gesprächsfaden noch nicht ganz abgerissen ist.

Die EU hat nur wenig in der Hand

Erdoğan hat sich für einen anderen Weg als den europäischen entschieden. Demokratie war für ihn immer nur eine von mehreren Optionen, um an der Macht zu bleiben – ein Mittel zum Zweck.

Sowohl Berlin als auch Europa insgesamt haben wenig in der Hand, um Ankara etwas entgegenzusetzen. Als Nato-Partner ist die Türkei gerade angesichts der derzeitigen Krise in Syrien und Irak unverzichtbar. Und auch Sanktionen sind kaum vorstellbar, will die EU den Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht scheitern lassen. Der steht ohnehin von türkischer Seite auf der Kippe, denn das EU-Parlament hat den Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger wegen der Menschenrechtslage bisher nicht zugestimmt.

Nur noch die eigenen Anhänger nehmen Erdoğan ab, dass seine politischen Säuberungsaktionen etwas mit Demokratie und Terrorbekämpfung zu tun haben. Staatsminister Roth hat ausgesprochen, was für alle anderen als Option bleibt: politisches Asyl. Zu retten ist da nichts mehr.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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11 Kommentare

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  • "Demokratie war für Erdoğan immer nur ein Mittel zum Zweck."

     

    Erdogan hat schon als Istanbuler Bürgermeister gesagt, dass die Demokratie nur der Zug ist, auf den er aufspringt, bis er am Ziel ist.

     

    Bis vor ein paar Wochen wurde man als rechts beschimpft - weil Türkenfeindlich, wenn man darauf hinwies.

     

    "Die Wahrheit triumphiert nie - ihre Gegner sterben einfach aus."

  • "DIE EU hat wenig in der Hand"

     

    Wie bitte? Die Türkei ist massiv von der EU Wirtschaft abhängig - und diese "Witschaftsargumente" sollten die EU auch einsetzen um Erdogan zu schwächen.

  • Es muss jede Gelegenheit genutzt werden mit gewöhnlichen TürkInnen oder türkisch Geprägten Kontakte zu führen und um gemeinsame Demos zu organisieren: Mieten runter, Löhne rauf.

    und sich zu verbinden in dauerhafte Bündnisse gegen die Diktaturen und ihre Vereinnahmung, Kulturkämpfe etc.

  • In der Tat: die immer wieder hinausgezögerten Beitrittsgespräche mit der Türkei waren erniedrigend. Aber sie waren immer (und vollkommen unabhängig vom gesellschaftlichen Zustand der Türkei) immer unrealistisch.

     

    Staatliche Organisationen können eine gewisse Größe nicht überschreiten, wenn sie handlungsfähig bleiben wollen. Schon jetzt ist die EU viel zu überdehnt. Die Diskussion über "mehr Demokratie" in der EU zeigt das deutlich. Denn das funktioniert einfach nicht. Wenn per demokratischer Mehrheitsentscheidung 230 Millionen Menschen ihren Willen gegenüber 220 Millionen durchsetzen (und das ist Demokratie!), dann wird die überstimmte Minderheit das immer als undemokratisch empfinden, auch wenn es das nicht ist.

     

    Und wenn dann noch 80 Millionen Menschen dazukommen, die größtenteils eine komplett andere kulturelle Orientierung mitbringen (Erdogan hat nun mal die Mehrheit hinter sich, da gibt es nichts zu beschönigen), dann fliegt der ganze Laden auseinander.

     

    So sieht´s aus, und das hat mit Rassismus nichts zu tun.

  • Erdogan hat durchaus etwas zu verlieren, denn sollte er den Flüchtlingsdeal aufkündigen, steht Sanktionen nichts mehr im Wege und dann steht die Türkei dumm da. Man sollte nicht unterschätzen, in wie weit die Türkei von der EU abhängig ist. Man könnte fast meinen, dass es genau das ist, was zu diesem großspurigen Gehabe erst führt. Und dass die Türkei trotz aller durchaus gemachten Anstrengungen von türkischer Seite nie eine echte Chance hatte, in die EU aufgenommen zu werden und dass das von EU-Seite purer Rassismus war, sollte man auch einfach mal sehen.

     

    Die Kunst der Politik ist gerade ziemlich auf den Hund gekommen.

    • @Mustardman:

      Die Türkei hatte sehr wohl mal eine echte Chance, in die EU aufgenommen zu werden. Erdogan war anfangs sogar ein leidenschaftlicher Verfechter eines EU-Kurses und hat zahlreiche Reformen auf dem Weg dahin durchgesetzt. Es gab sogar ein Kopftuchverbot in Schulen etc. Nur in der EU bewegte sich da nichts Entsprechendes, weil ein starrer Rechtsblock mit der CDU/CSU an der Spitze überhaupt kein Interesse an einer europäisch ausgerichteten Türkei hatte. Für den Machtpolitiker Erdogan wurde der EU-Kurs im Land irgendwann nicht mehr vermittelbar und er musste komplett umschwenken, um nicht in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen - mit all den Folgen, die wir jetzt beklagen. Die Türkei entwickelt sich nun dahin, wo der bestimmende europäische Rechtsblock sie immer schon sehen wollte. Man nennt sowas auch eine "selbsterfüllende Prophezeiung".

      • @Rainer B.:

        @ Rainer B

         

        Wieso kommen Sie darauf das die EU Schuld sein soll am islamistisch faschistischen Kurs von Erdogan?

         

        Die "Selbsterfüllende Prophezeiung" ist doch eher eine korrekte Analyse gewesen.

        • @Justin Teim:

          Ich hab nicht behauptet, dass "die EU Schuld am islamistisch faschistischen Kurs von Erdogan" ist, aber sie hat diesen Kurs indirekt befördert, indem sie für die Türkei weit höhere Hürden aufgebaut hat, als es etwa bei Kandidaten wie Griechenland, Bulgarien, Kroatien, Polen, Ungarn etc. jemals der Fall war. Da wurde mit zweierlei Maß gemessen. Eine europäische Ausrichtung der Türkei wurde zwar immer gefordert, aber nie ernsthaft befördert.

          • @Rainer B.:

            ...ihr Text....

             

            Erdogan war anfangs sogar ein leidenschaftlicher Verfechter eines EU-Kurses und hat zahlreiche Reformen auf dem Weg dahin durchgesetzt. Es gab sogar ein Kopftuchverbot in Schulen etc. Nur in der EU bewegte sich da nichts Entsprechendes, weil ein starrer Rechtsblock mit der CDU/CSU an der Spitze überhaupt kein Interesse an einer europäisch ausgerichteten Türkei hatte. Für den Machtpolitiker Erdogan wurde der EU-Kurs im Land irgendwann nicht mehr vermittelbar und er musste komplett umschwenken, um nicht in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen

            • @Justin Teim:

              Da steht doch nirgendwo, dass "die EU Schuld am islamistisch faschistischen Kurs von Erdogan" ist. Da steht nur, dass auch ein Machtpolitiker wie Erdogan die Türkei mittelfristig nicht auf Europakurs bringen kann, wenn die EU dieses Ansinnen nicht tatkräftig und sichtbar unterstützt.

              Als Folge davon können die meisten Menschen in der Türkei heute einfach nicht mehr daran glauben, dass die Türkei jemals ein EU-Mitglied werden wird und wenden sich - wie auch Erdogan - lieber den anderen Optionen zu.

  • Carlo Schmitt mal etwas paraphrasierend -

     

    An der Wiege zu diesem Demokratie Türkei-Kadaver -

    Stand die Europäische Union - Kohl-Angie´schland vorweg.