Folter in Russland: Hilfeschrei aus der Strafkolonie
Ildar Dadin, politischer Häftling in Karelien, berichtet, wie grausam er und andere behandelt werden. Die Knastleitung weiß von nichts.
Doch der Reihe nach. Ildar Dadin wurde im Dezember 2015 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, wiederholt gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Nach Protesten gegen die gefälschten Dumawahlen 2011 war das Demonstrationsrecht weiter verschärft worden. Die Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung reicht schon aus, um für Jahre hinter Gittern zu verschwinden.
Dadin war das erste Opfer des neuen Gesetzes. Im September wurde er in die Strafkolonie verlegt, in der auch Öl-Tycoon Michail Chodorkowski kurz vor der Entlassung noch einmal einsaß.
Die Strafkolonie IK-7 ist berüchtigt. Dadin beschreibt, wie ihm nach der Verlegung zwei Rasierklingen heimlich untergeschoben worden sein müssen. Bei der anschließenden Durchsuchung wurden sie entdeckt. So war ein Vorwand geschaffen, um ihn in Isolationshaft zu nehmen. Dies sei gängige Praxis. Neuankömmlinge sollten sofort begreifen, wo sie gelandet seien, sagt Dadin in dem Brief, der von seinem Anwalt aufgeschrieben wurde. Offensichtlich herrscht in der Kolonie eine Informationsblockade.
Im Hungerstreik
Seife, Zahnbürste, Zahnpasta und Toilettenpapier wurden Dadin auch weggenommen, woraufhin er in Hungerstreik trat. Einen Tag später tauchte der Leiter der Kolonie Sergei Kossijew mit Kollegen in der Zelle auf. „Viermal wurde ich im Laufe des Tages zusammengeschlagen und von 10 bis zwölf Leuten mit Füßen getreten. Nach dem dritten Mal steckten sie meinen Kopf in die Toilette“, schreibt Dadin, der seine Frau bittet, mit dem Brief an die Öffentlichkeit zu gehen, um seine „Überlebenschancen zu erhöhen“.
Tags darauf wurde er eine halbe Stunde lang mit den Händen auf dem Rücken in Handschellen aufgehängt. Das Justizpersonal zog ihm die Unterwäsche aus und drohte mit Häftlingen, die ihn vergewaltigen würden, sollte er den Hungerstreik fortsetzen. Jeder Versuch sich zu beschweren, könnte tödlich enden, wird der Koloniechef zitiert.
„Ildar Dadins Anschuldigungen sind schockierend“, meinte Sergei Nikitin von Amnesty International. „Leider sind sie jedoch nur die letzten in einer langen Reihe von glaubwürdigen Berichten über Folter und Misshandlungen, die im russischen Justizvollzug weit verbreitet sind“. Diese Praktiken sollen Protest unterdrücken. Die Täter würden nie bestraft.
Die Zustände in der Kolonie IK-7 haben Tradition. Im Boulevardblatt Moskowskij Komsomolez erinnert sich ein Ex-Justizvollzugsbeamter aus Karelien an frühere Zeiten. Demnach kam es regelmäßig zu Schlägereien. Mal prügelte sich das Justizpersonal untereinander, mal mit den Häftlingen. Wärter verschwanden nach längerem Alkoholkonsum, ohne dass das geahndet worden wäre. Ständig mussten verletzte Häftlinge in die Klinik eingeliefert werden. Schädel-Hirn Traumata und Milzrisse waren angeblich an der Tagesordnung.
Kreml schaltet sich ein
Die Gefängnisleitung wies im Fall Dadins sämtliche Vorwürfe zurück. Die russische Justizvollzugsbehörde will nach einer Untersuchung des Häftlings auch keine Foltermerkmale festgestellt haben. Nun ist es kein Geheimnis, dass sich Fachleute darauf verstehen, zu foltern ohne Spuren zu hinterlassen. Selbst der Kreml schaltete sich ein und teilte mit, Präsident Wladimir Putin werde informiert.
Auch die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa will sich des Falls annehmen. Ildar Dadin möchte unterdessen nicht wieder verlegt werden, schrieb er seiner Frau. Oft hätte er gehört, wie andere Häftlinge geschlagen worden seien. Sein Gewissen erlaube es ihm nicht davonzulaufen. Er wolle kämpfen und den anderen helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball