Datenschutz in der Industrie: Digitale Souveränität
Fraunhofer-Forscher entwickeln Techniken für die Digitalökonomie. Industriefirmen sollen sicher sein, dass nur sie Zugang zu ihren Daten haben.
„Daten sind heute nicht mehr nur ein Hilfsmittel in der Produktion, sondern selbst ein Produkt“, sagt Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, die sich in 80 öffentlich getragenen Instituten um die anwendungsorientierte Forschung in Deutschland kümmert.
In den letzten Jahren haben die Informatik- und Produktionswissenschaftler daran gearbeitet, die „automatisierte Fabrik“ aus ihrem informationstechnischen Inseldasein zu befreien und an das Internet anzuschließen. Materialflüsse, Produktionsabläufe und Vertrieb der Produkte können deutlich effektiver organisiert werden. Unter der Bezeichnung Industrie 4.0 hat das deutsche Konzept der digitalisierten Fabrik international Karriere gemacht.
„Über allem schwebt jedoch die Frage der Datensicherheit“, betont Neugebauer. Im Unterschied zu den großen Konzernen steht die Mehrzahl mittelständischer Unternehmen der Digitalisierung noch zurückhaltend gegenüber, weil sie Cyberattacken und Onlinespionage befürchten. Deshalb hat Fraunhofer vor einem Jahr das Konzept des „Industrial Data Space“ kreiert, einem nur für bestimmte Nutzer zugänglichen Datenraum in einer Computercloud.
„Unternehmen können damit das Potenzial der Digitalisierung für ihre Geschäftsmodelle nutzen, ohne dabei die Kontrolle über ihre Daten abzugeben“, sagt Boris Otto, der am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund das Projekt koordiniert.
Wirtschaftsgut Daten
Zutritt gewährt ein Software-Connector, der bei jedem Teilnehmer installiert werden muss. Auf einfache Weise können dann Geschäftsprozesse organisiert werden, etwa zwischen einem Automobilbauer und seinem Zulieferer, oder die Fernkontrolle von Maschinen. Wichtig ist an dem „Architekturentwurf zur Wahrung der digitalen Souveränität“, so Otto, dass die Unternehmen zu jedem Zeitpunkt die Selbstbestimmung über ihr „Wirtschaftsgut Daten“ behalten.
Der sichere Datenraum, zunächst von den Wissenschaftlern mit 30 Industrieunternehmen gegründet, kam gut an. Er hat inzwischen mehrere Ableger, so ein „Medical Data Space“, der unter anderem die Datenaustausch in der Antibiotikaforschung organisiert. Im „Materials Data Space“ stehen digitalisierte Informationen über Werkstoffe zur Verfügung, die sowohl in der Produktion wie bei der Entsorgung gebraucht werden. „Inzwischen haben sich 620 Partner aus acht europäischen Länder beteiligt“, berichtet Neugebauer. Ein neuer Digitalstandard ist im Entstehen.
Den Austausch von Daten sicherer zu machen und dafür unkomplizierte technische Standards zu entwickeln, sind zwei der vier digitalen Hauptprojekte der Fraunhofer-Gesellschaft. Hinzu kommt die Erhöhung der Datengeschwindigkeit, über das Internet der fünften Generation, von den Experten als „5G“ abgekürzt, sowie die bessere Analyse von großen Datenmengen (Big Data) durch Fortschritte beim „maschinellen Lernen“. Das Highspeedinternet, das Signale innerhalb einer Millisekunde verarbeitet, ist etwa Voraussetzung für die Technik des autonomen Fahrens. Beim maschinellen Lernen hat sich Fraunhofer jetzt mit den Grundlagenforschern der Max-Planck-Gesellschaft verbündet, um bei der Softwarekompetenz aufzuholen.
Stärkung der technologischen Souveränität
„Während wir in Deutschland bei der Sensorik führend sind, haben wir ein Defizit bei der Entwicklung von Algorithmen zur Verarbeitung dieser Sensordaten“, erläutert Neugebauer. Auch diese Forschungsrichtung gehört für ihn zur Stärkung der „technologischen Souveränität Deutschlands“. Ein Begriff, der im Zeitalter globaler Märkte und weltumspannender Informationsnetze ein wenig kleinstaaterisch wirken mag, aber für die technologische Akzeptanz von wachsender Bedeutung ist.
Das „maschinelle Lernen“ (auch als „künstliche Intelligenz“ bezeichnet) bedeutet, dass die Computer aus großen Datenmengen über verfeinerte Algorithmen selbständig neue Informationen gewinnen können, die sie vorher nicht hatten. Das kann soweit gehen, „den Rückspiegel der historischen Daten in Voraussagen und Vorschläge umzudrehen“, schreibt das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationsysteme (IAIS) in Sankt Augustin bei Bonn.
Bislang kommt maschinelles Lernen in der Mustererkennung von Objekten und Personenidentifikationen zum Einsatz. Künftige Felder sollen die industrielle Produktion, Logistik, Service und eCommerce, sowie Sicherheit und Medizin sein. Ein Innovationsschub geht gerade durch den Mobilitätssektor, wo Fahrerassistenz-Systeme immer „intelligenter“ werden, und dabei nicht nur vor Gefahren warnen, sondern auch schon das Einparken des Wagens fahrerlos übernehmen.
Der nächste große Schritt in die Datenökonomie ist ein Hardwarevorhaben, das nicht einmal die solventen Deutschen alleine stemmen können: der Aufbau einer neuen Mikroelektronikproduktion in Europa.
Geheime Codes
Gerade hat Fraunhofer vom Bundesforschungsministerium den Auftrag bekommen, das Konzept für eine „Forschungsfabrik Mikroelektronik“ zu entwickeln. Für ihre Fabrikmaschinen und die Automobilelektronik wollen deutsche Hersteller von asiatischen und US-Bauteilen wegkommen, weil nicht sicher ist, ob durch geheime Codes doch ein Datenabfluss ins Ausland stattfinden kann.
Mit 400 Millionen Euro fördert das Wanka-Ministerium in den nächsten vier Jahren die Mikroelektronikforschung, während der Wirtschaftsminister sogar eine Milliarde Euro als deutschen Anteil für die europäische Chipfabrik (Gesamtvolumen 6 Milliarden Euro) zugesagt hat.
In der Wirtschaft wird dringend auf die Fortschritte der Forschung gewartet. Bei einem Symposium über die Zukunft des Autos vor einigen Wochen in Berlin sprach der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE), Ansgar Hinz, das Risiko an, das sich mit dem Einsatz von autonomen Fahrzeugen durch große Internetkonzerne ergebe.
„Einige dieser Anbieter greifen über das Thema autonomes Fahren direkt den Kern der deutschen Industrie an.“ Die nächste Stufe der Mobilität werde revolutionär sein: „Ein Wandel, der alles Bisherige in den Schatten stellen wird.“ Deshalb sei jetzt eine „starke Teamleistung von Unternehmen, Politik, Verbänden und Initiativen“ nötig, um den „nächsten Schritt in Richtung New Mobilityzu gehen“, sagte Hinz. Entscheidend sei, dass Europa zum „Spitzen-Know-how in der Mikroelektronik“ durchdringe, wozu auch das neue Förderprogramm der Bundesregierung zähle.
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