Förderung für Mikroelektronik-Verbund: Eine Fabrik für die Wissenschaft

Das Forschungs­ministerium macht 400 Millionen Euro locker. Sie fließen in die Entwicklung neuer Technologien und Organisationsformen.

Ein selbstfahrender Roboter folgt einem Mann eine Holzrampe herunter

Für Innovationen braucht man gut vernetzte Forschungsverbünde Foto: dpa

Roboterautos zum Beispiel, das Internet der Dinge oder andere Neuerungen aus der Welt der vernetzten Kommunikation: Innovationsschübe wie diese machen es der Forschung schwer, mit herkömmlichen Arbeitsformen hinterherzukommen. Zu langsam, zu abgeschottet sind die Vorgänge. Das soll sich ändern: Mit der jetzt gestarteten „Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland“ (FMD) will das Bundesforschungsministerium den Entwicklungsvorlauf für die europäische Halbleiter- und Elektronikindustrie beschleunigen.

400 Millionen Euro wurden dafür lockergemacht. Das ist die größte Summe, die es bislang für die Mikroelektronikforschung in Deutschland gab.

Die „Forschungsfabrik“ ist kein reales Gebäude, sondern ein Verbund von 13 Instituten der Fraunhofer- und Leibniz-Forschungsgemeinschaft, die quer über die Republik verteilt sind – von Schleswig-Holstein bis nach Bayern. Insgesamt sind acht Bundesländer beteiligt. Sachsen bekommt mit 100 Millionen Euro für seine vier Institute ein Viertel der Fördermittel.

„Wir brauchen im Zeitalter der Digitalisierung mehr Hightech-Wachstum in Europa“, sagte Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) beim Start des Wissenschaftsprojekts. „Damit werden wir auch international als Schwergewicht der Forschung sichtbar und haben die große Chance, selber entscheidende IT-Entwicklungen anzustoßen“.

Die Angst vor Industriespionen

Das entscheidende Stichwort lautet „Technologie-Souveränität“: Die deutschen Technologie-Entwickler der Fabrik 4.0, in der viele Prozesse per Internet gesteuert werden, müssen derzeit noch Elektronikbauteile aus Asien und den USA in ihre Produkten verarbeiten. Aber die Angst, dass ausländische Industriespione und Geheimdienste auf verschlungenen Elektronikwegen Zugang zu den Daten bekommen können, hemmt derzeit die Verbreitung digitaler Technologien im Mittelstand. Chips aus deutscher oder europäischer Produktion sollen mithin auch die Datensicherheit erhöhen.

Die Forschungsfabrik folgt in seiner Arbeit dem Konzept der „vernetzten Intelligenz“, das derzeit in der deutschen Wissenschaftspolitik en vogue ist. Statt die Forscher an einem Ort real zusammenzubringen, werden sie über Projektverbünde miteinander in ihren Heimatinstituten virtuell vernetzt. Nach diesem Muster arbeiten derzeit die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung und künftig die „Max Planck Schools“ für internationale Nachwuchswissenschaftler.

In vier sogenannten „Technologieparks“ kooperieren nun also 2.000 Forscher aus 13 Instituten. Technologiepark 1 forscht mit einem Budget von 141 Millionen Euro an neuesten Siliziumtechnologien für die Sensorik, Aktorik und Informationsverarbeitung. Der zweite Technologiepark arbeitet an Verbindungshalbleitern mit modernsten Materialien für Energiespar- und Kommunikationstechniken. Weitere Themen sind die „Heterointegration“ – darunter versteht man eine neuartige Kombination von Silizium und anderen Halbleitern für das Internet der Dinge sowie deren Design, Test und Zuverlässigkeit.

Eine Besonderheit und zugleich eine Schwierigkeit liegt in der logistischen und zeitlichen Vernetzung der virtuellen „Technologieparks“. So werden neue Elekroniksysteme und Komponenten zunächst im Technologiepark 4 detaillierter ausgeführt und entworfen. Einzelne Komponenten werden dann in den Technologieparks 1 und 2 hergestellt. Die Integration zu Systemen geschieht schließlich im Technologiepark 3.

Transfer zu Großindustrie und Unternehmen

Für Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, ist „das frühe Zusammendenken von Forschung und Anwendung“ das Charakteristikum der Forschungsfabrik Mikroelektronik. Die Leibniz-Gemeinschaft ist mit zwei Instituten beteiligt. Der digitale Wandel setze auf diese Weise auch eine „Weiterentwicklung der Kooperation von Wissenschaft und Industrie“ in Gang, sagte Kleiner beim Start der Berliner und Brandenburger Projekte am Ferdinand-Braun-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) im Wissenschaftspark Berlin-Adlershof. „Der Begriff Forschungsfabrik ist auch aus diesem Grund sehr treffend“, so der Leibniz-Chef, dessen Institut in Frankfurt (Oder) ebenfalls an dem Verbund beteiligt ist.

Nicht nur unter den Wissenschaftlern soll das vernetzte Forschen den Wissensfluss verbessern und mehr kreative Synergie produzieren. Auch der Transfer nach außen, zu Anwendern in Großindustrie und bei mittelständischen Unternehmen, soll schneller und besser ablaufen.

Ein Beispiel führte Ulrich Hamann, Geschäftsführer der Berliner Bundesdruckerei GmbH in Adlershof, vor. „Viele Mittelständler können sich keine eigene Forschungsabteilung leisten“, bemerkte Hamann. Auch seine Firma, die neue fälschungssichere Ausweisdokumente produziert, arbeitet deshalb mit dem Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) zusammen. Mit dessen Hilfe wurden ultradünne Elektronikchips geschliffen, die auf der Rückseite der Ausweiskarte angebracht und per Fingerdruck aktiviert werden. „Die Daten verlassen aber die Karte nicht“, erklärt der Bundesdruckerei-Chef die Besonderheit der neuen Indentifikationstechnik.

Neue Technologie-Souveränität

Andere Praxisergebnisse der Forschungsfabriken werden etwa in der Sensorikbranche erwartet, in der deutsche Hersteller eine führende Position haben. So entwickelt eine Firma aus Boppard mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) spezielle Sensoren, die Rostfraß an Stahlstäben in Betonbauteilen messen können. Erstes Einsatzgebiet sind Kaimauern im Rotterdamer Hafen, wo das Salzwasser die Stahlträger angreift. Der eingebaute Sensor, dessen empfindliche Messdrähte zuerst die Salzattacke spüren, meldet dann der Hafenbehörde, wann eine Mauer in einen kritischen Zustand gelangt.

Über die Organisation des wissenschaftlichen Arbeitens hinaus will die Forschungsfabrik Mikroelektronik auch noch ein Weiteres erreichen: Anreize für eine innovative Industriepolitik zu geben, die in Deutschland keine ausgeprägte strategische Agenda besitzt. Deshalb gibt es neben den 400 Millionen Euro aus dem Forschungsministerium auch eine weitere Milliarde Euro Fördermittel aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die in eine europäische Produktionsstätte für Mikroelektronik fließen soll.

Im Juni gab zudem der Autozulieferer Bosch bekannt, am Standort Dresden eine Chipfabrik für Sensortechnik mit einem Investitionsvolumen von einer Milliarde Euro errichten zu wollen. „Wichtig für uns ist, dass wir Halbleiter selbst machen“, sagte der Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel bei der Vorstellung des Projekts. So kann also die Technologie-Souveränität aussehen, die die Forschungsfabrik Mikroelektronik mit ihrem Ansatz unterstützen will.

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