piwik no script img

Gegenwind für Jugendhilfe-ReformWeniger individuelle Hilfen

Verbände protestieren gegen Entwurf für Jugendhilfegesetz des Familienministeriums. Es drohe die Verstaatlichung der Jugendhilfe. Auch CDU-Politiker Weinberg äußert Kritik

Mutter-Kind-Gruppe statt Einzelfallhilfe: Arbeitsentwurf für Jugendhilfegesetz stößt auf Protest Foto: dpa

HAMBURG taz | Viel Gegenwind aus Hamburg bekommt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) für ein geplantes neues Jugendhilfegesetz. „Das, was zurzeit als Arbeitsfassung vorliegt, ist für uns nicht tragbar, weil wesentliche Parameter der Kinder- und Jugendhilfe verschoben würden“, sagt der Hamburger Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg. Er ist familienpolitischer Sprecher der CDU.

Auch aus der Fachszene rollt eine Protestwelle, schon über 60 Unterzeichner soll eine „Hamburger Erklärung“ haben, die der alternative Wohlfahrtsverband Soal initiierte und die am Donnerstag die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) erreichen soll, wo das Thema Jugendhilfefinanzierung auf der Tagesordnung steht. Der Appell: Schwesig möge „die Reißleine ziehen“. Statt wie geplant ein Gesetz noch vor der Wahl 2017 durchzudrücken, benötige man „mehr Zeit, echte Beteiligung und Dialog“.

Noch gibt es keinen offiziellen Entwurf. Die Aufregung entzündet sich an dem „Arbeitsentwurf“, den Schwesig am 23. August der Fachwelt vorlegte. Es sei der Hamburger Senat, der hier „maßgeblich“ seine Ideen durchsetzte, heißt es in dem Aufruf. Deswegen bezögen nun die Vertreter der Hamburger Jugendhilfe Stellung.

Zum Beispiel sollen Eltern oder Jugendliche, die zur Alltagsbewältigung eine sozialpädagogische Einzelhilfe brauchen, vorrangig an Gruppenangebote verwiesen werden. Das können zum Beispiel Mütter-Kind-Treffs in der Nähe sein. Und über die Form der Unterstützung – bisher eine Aushandlungsfrage – soll künftig das Jugendamt bestimmen. Auch die Rechte der freien Trägersollen eingeschränkt werden. Künftig könnte eine Kommune einem Anbieter die Kostenerstattung verweigern, wenn der nicht zum Angebot passt. Auch über die Finanzierungsform der Angebote entscheidet der Staat allein.

„Für uns ist wichtig, dass es weiterhin individuelle Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung gibt und diese nicht durch allgemeine Leistungs- und Strukturangebote ersetzt werden“, sagt Weinberg. Und für seine Partei sei der „kooperative Gedanke“ im Zusammenwirken von Eltern, Kindern, Trägern und Jugendamt „zentral“.

Statt vom Kind her zu denken, werde „vom Staat aus gelenkt“, kritisieren auch die Unterzeichner der Erklärung. Dieser Staat sei ein „allmächtiger“, dem es darum gehe, Kosten in den Griff zu kriegen.

Was nicht ganz stimmt. Die Stadt Hamburg betreibt seit Jahren eine Reform der „Hilfen zur Erziehung“, basierend auf der Idee, dass nebenher erbrachte Unterstützung in Sozialräumen wie Bauspielplätzen oder Müttercafés wirkungsvoller sein kann als spezialisierte Problemdienste. Doch gegen ein entsprechendes Zwölf-Millionen-Euro-Programm hat ein privater freier Träger erfolgreich geklagt. Auch deshalb hat der Senat ein Interesse daran, die Rechtsverhältnisse zu ändern.

Die CDU fordert individelle Ansprüche auf Hilfen

Die Idee der Sozialraumorientierung „ist richtig“, schreibt zum Beispiel der Sozialwissenschaftler Christian Schrapper von der Universität Koblenz-Landau in einer Stellungnahme. Doch Schwesig habe diese Infrastrukturangebote nicht verbindlich im Gesetz verankert. Sollten individuelle Hilfebedarfe so befriedigt werden, müsste eine langfristig gesicherte Finanzstruktur vereinbart sein. Sonst drohe der Spardruck.

Aber der droht sowieso. Denn die Finanzminister liebäugeln seit Längerem mit einer „Regionalisierung“ der Sozialgesetzgebung, was heißt, dass die Rechte der Bürger von Land zu Land variieren – je nach Kassenlage. Doch als sich Bund und Länder Mitte Oktober auf neue Finanzbeziehungen einigten, fehlte dieser Punkt auf der Beschlussliste. „Die Länder wollten das nicht. Das ist vom Tisch“, sagt ein Sprecher des Finanzministers.

Nur passt das nicht zu der Botschaft, mit der CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt am 6. Oktober vor die Presse trat: Junge Volljährige und unbegleitete Flüchtlinge sollten Hilfen „nur noch in begründeten Ausnahmefällen“ erhalten. Und für diesen Kreis sollten die Länder die „Kompetenz“ erhalten, über „Inhalt und Umfang der Leistung selber zu bestimmen“.

Auf Nachfrage der taz erklärt die CSU-Landesgruppe, es sei in der Großen Koalition vereinbart worden, „dass Bundesministerin Schwesig hierzu zeitnah einen Gesetzentwurf erarbeiten soll“. Noch mehr Wasser auf die Mühlen der Kritiker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Im SGB VIII steht drinnen, dass die Eltern und Betroffenen über eine Wahlfreiheit bei der Auswahl verfügen sollen, genauso sollen die Betroffenen gebührend beteiligt werden. Das ist nicht nur Luxus, sondern auch eine Notwendigkeit, wenn die Jugendhilfe bei Familien, Kindern, Eltern und Jugendlichen aktiv wird. Sollte der Staat hier mit einer Vorgabe alles bereits eingetüttet haben, dann wird diese Arbeit sehr schwer und weniger erfolgreich sein.

     

    Und: "Zum Beispiel sollen Eltern oder Jugendliche, die zur Alltagsbewältigung eine sozialpädagogische Einzelhilfe brauchen, vorrangig an Gruppenangebote verwiesen werden." Das wäre noch beknackter, weil viele Probleme sich in Gruppen weder besprechen, noch beraten lassen. Mal abgesehen davon, dass gerade Hartz-IV und die Standentwicklungspolitik durch CDU und SPD in HH für so große Probleme sorgen, dass dies mit Sozialarbeit und Jugendhilfe bearbeitet werden muss. Auf mich wirken diese 'Gruppenangebote' nur wie ein neues Sparschwein, dass die SPD wohl braucht, schafft sie mit ihrer Investorenausrichtung in der Stadt Armutszonen, richtet sie Schulen nicht anständig her, verprasst sie das Geld für U-Bahnen, die keiner braucht, weil dort niemand lebt/arbeitet. Also die SPD und CDU gehören in eine Therapiegruppe, weil sie stetig Entwicklungen in der Stadt verursachen, die gegen den sozialen Zusammenhalt, gegen das gute Miteinander stehen. Eine Stadt, die nur aus Preisschildern besteht, erzeugt massive Probleme.