: „Leider haben auch viele Linke sehr wenig Humor“
DER KARIKATURIST Klaus Stuttmann wurde in den 1970er Jahren in einer Berliner Kommune politisiert und wehrt sich noch heute gegen Autoritäten – als einer der profiliertesten Zeichner im politischen Journalismus. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass Rechte seine Arbeiten missbrauchen oder die deutsche Botschaft im Iran seinetwegen angegriffen wird. Ein Gespräch über lebensgefährliche Karikaturen, die Unterschiede zwischen rechtem und linkem Humor und die Angst, nicht gedruckt zu werden
■ Der Mensch: Klaus Stuttmann, Jahrgang 1949, ist bei Stuttgart aufgewachsen. In Tübingen studierte er vier Semester Kunstgeschichte, ehe er 1970 nach Berlin zog, wo er mit Freunden eine eigene Kommune gründete. Nach seiner Magisterarbeit an der Technischen Universität Berlin entschied er sich gegen eine weitere theoretische Beschäftigung mit seinem Fach und für die praktische Arbeit als Zeichner. Er lebt mit kurzer Unterbrechung seit 42 Jahren in Kreuzberg.
■ Der Zeichner: Heute gehört Stuttmann, Kürzel KS, zu den profiliertesten Karikaturisten des Landes. Für seine unter anderem in taz, Freitag, Tagesspiegel und Leipziger Volkszeitung erscheinenden politischen Tageskarikaturen erhielt er etliche Auszeichnungen, etwa den „Deutschen Preis für politische Karikatur“. Stuttmann zeichnet sowohl in Farbe als auch in Schwarz-Weiß und im Gegensatz zu vielen Kollegen auf einem Zeichentablett am Computer. Er selbst schätzt die Anzahl seiner Zeichnungen auf zehn- bis fünfzehntausend. Sein neues Buch „Wir geben nichts! Politische Karikaturen 2012 von Klaus Stuttmann“ (Schaltzeit Verlag, 228 Seiten, 19,90 Euro) ist nun im Handel.
INTERVIEW GUNNAR LEUE ZEICHNUNGEN KLAUS STUTTMANn
taz: Herr Stuttmann, Karikaturist ist momentan einer der aufregendsten Berufe.
Klaus Stuttmann: Wegen der Mohammed-Karikaturen?
Zum Beispiel!
Na ja, eigentlich hatte ich gedacht, dass sich die Sache wieder beruhigt hätte. Nach dem ganzen Wirbel, den es nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands Posten 2005 gab. Bis zu dem Zeitpunkt war es tatsächlich so, dass wir Karikaturisten fast schon annahmen, man würde uns völlig ignorieren.
So schlimm?
Selbst die Kirche hatte die Spitzen gegen sich kaum beachtet. Nach diesem Aufruhr hat sich das aber geändert. Auch die Katholiken sprachen fortan bei jeder kleinen Zeichnung gegen sie von Gotteslästerung. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber wollte sogar einen neuen Paragrafen gegen Gotteslästerung einführen. An dem Punkt trafen sich plötzlich die islamischen und katholischen Fundamentalisten.
Ihre Zunft scheint generell wieder stärker ins Visier der Mächtigen zu geraten. In Spanien wurden zwei Zeichner zu hohen Geldstrafen verurteilt, weil sie das Königspaar nackt gezeichnet haben. Ganz zu schweigen von einem syrischen Kollegen, der 2011 brutal verprügelt wurde.
In manchen Gegenden ist der Job tatsächlich lebensgefährlich. Ich hatte vor Jahren eine Ausstellung in Serbien. Parallel dazu gab es auch eine von serbischen Zeichnern, die ich, ehrlich gesagt, etwas langweilig fand. Die Karikaturen handelten alle ziemlich allgemein von Krieg und Frieden. Als ich die Kollegen fragte, warum sie nicht schärfer und tagespolitischer wären, gaben sie mir zu verstehen, dass sie sich das nicht erlauben könnten. Dann stünde am nächsten Morgen ein Schlägertrupp vor ihrer Tür. Da wurde mir doch klar, dass unser Beruf in den unterschiedlichen Gegenden der Welt auch sehr unterschiedlich bewertet wird. Hierzulande haben wir weitgehend Narrenfreiheit. Wenn bei uns von Zensur die Rede ist, klagen wir auf hohem Niveau.
Karikaturen werden inzwischen gern von Rechten als Mittel zur Provokation genutzt – im Sommer zum Beispiel, als Anhänger von „Pro Deutschland“ vor Berliner Moscheen demonstrierten. Haben Sie das bei Ihrer Arbeit im Hinterkopf?
Nein. In der rechten Zeitung Junge Freiheit wurden mal Karikaturen von mir abgedruckt, ohne mein Wissen. Es ging um die Eurokrise, was denen offenbar sehr in den Kram passte. Als ich das mitbekommen habe, habe ich mich schriftlich dagegen verwahrt. Mit solchen Dingen muss man halt rechnen. Die Rechten haben selbst kaum Zeichner, und wenn, dann erkennt man in deren Arbeiten keinen Witz, sondern nur Hetze. Das war schon bei den Nazis im Dritten Reich so.
War die Karikatur nie per se progressiv?
Die politische Karikatur war und ist oft gesellschaftskritisch und in dem Sinne progressiv. Aber schon zur Zeit der Französischen Revolution war sie auch ein willkommenes Kampfmittel der damaligen Reaktion. Das Progressive der Karikatur liegt für mich vor allem in ihrem antiautoritären Ansatz: Sie muss Strukturen offenlegen, die antidemokratisch sind oder zur Unterdrückung von Menschen dienen. Das zielt zumeist gegen politisch und ökonomisch Mächtige, gegen staatliche Gewalt. Das kann sich aber auch gegen religiöse Vertreter richten oder gegen Linke. Auch die neigen ja durchaus zu autoritären Strukturen.
Wie hat sich Ihre antiautoritäre Gesinnung entwickelt?
Ich bin in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, in Leinfelden-Echterdingen, war aber als Jugendlicher in den späten Sechzigern nie politisch aktiv. Beatles, lange Haare, kiffen – das war unser Ding. Nachdem ich in Tübingen vier Semester Kunstgeschichte studiert hatte, bin ich 1970 mit ein paar Kumpels nach Berlin gegangen. Erst dort ist sozusagen mein politisches Interesse erwacht.
Warum gerade Berlin?
Wir waren abgenervt von der Spießigkeit zu Hause. Damals musste man ja noch von Rechts wegen seine Freundin dem Vermieter vorstellen. Da hatte Berlin einen ganz anderen Ruf, mit Kommune I und so. Westberlin war damals ähnlich angesagt, wie es die Stadt heute bei jungen Leuten ist.
Eine Wohnung zu finden war damals aber noch einfacher.
Meine Freunde und ich haben uns eine Abrisswohnung gesucht und unsere eigene Kommune in der Wassertorstraße gegründet.
Und dann wurde das Private schnell politisch?
Ich wollte ja eigentlich Künstler werden, was ich mir dann doch nicht recht zutraute. Während des Kunststudiums hatte ich mich bei einer Hochschulgruppe engagiert, die der SEW nahestand – der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, in die ich später auch eingetreten bin. Für die habe ich Flugblätter gestaltet und auch ein paar Karikaturen gezeichnet. Nach meiner Magisterarbeit musste ich mich dann entscheiden, ob ich mich weiter mit Kunstgeschichte befassen oder praktisch arbeiten will. Ich entschied mich für Letzteres, obwohl mir klar war, dass ich kaum etwas verdienen würde. Als Abnehmer meiner Karikaturen hatte ich ja praktisch nur Die Wahrheit.
Die Wahrheit war ein Blatt der SEW, das voll auf offizieller DDR-Linie lag und von Ostberlin finanziert wurde. Was empfanden Sie, als die DDR 1989 zusammenbrach?
Prinzipiell war die Wendezeit für uns Karikaturisten spannend, weil gesellschaftliche Brüche für unsere Arbeit immer gut sind. Für mich bedeutete sie allerdings einen sehr speziellen Bruch. Bis 1989 war ich in meinen Zeichnungen für den Sozialismus und linke Ideen eingetreten, von denen keiner mehr etwas wissen wollte. Auch finanziell war ich am Nullpunkt, weil mein einziger Auftraggeber vor dem Aus stand. Die Wahrheit wurde von der DDR finanziert, was ich in diesem Ausmaß nicht geahnt hatte.
Blöde Situation.
Ja. Da ich bis dato nicht mal bei den Gewerkschaften eine Chance hatte, dachte ich, jetzt müsste ich mir einen anderen Job suchen. Dann hab ich es einfach bei der taz versucht. Komischerweise klappte das, obwohl es in der Redaktion wohl einige Bedenken gab, weil ich manchen als abgehalfterter DKP- und SEW-Typ galt. Inzwischen hat sich jedoch eine traditionelle freundschaftliche Beziehung entwickelt.
Die taz hat immer Wert auf Ihr spezielles Verständnis von Humor gelegt. Heute auch noch?
Man kann in der taz provokanter sein als in anderen Zeitungen. In all den Jahren hatte ich nur einmal eine Auseinandersetzung, das war vor rund einem Jahr, weil die Bildredaktion eine Karikatur von mir unpassend fand.
Berlin hat sich seit dem Fall der Mauer sehr verändert. Wie sehr ist das ein Thema Ihrer Arbeit?
Ich bin kein Illustrator der Stadtgeschichte. Wenn ich in meinen Zeichnungen auch ein wenig die Entwicklung Berlins von der Provinz- zur Weltstadt illustriere, dann geschieht das eher unbewusst. Und größere Lokalprobleme wie früher den Bankenskandal oder heute die Flughafenpleite greife ich auch auf, weil Berlin als Hauptstadt natürlich immer ein Thema im Lande ist.
Sind auch die Berliner Landespolitiker als Karikaturpersonal interessant für Sie?
Eher selten. Thilo Sarrazin, der einstige Finanzsenator, war es öfter. Und Klaus Wowereit hat mit seinem Spruch „Arm, aber sexy“ auch manche Vorlage geliefert.
Der gemeine Berliner gilt als großspurig, aber durchaus humorvoll. Gibt es einen speziellen Berliner Humor?
Für mich ist der eher ein Klischee. Immer wenn man jemandem mit Berliner Schnauze begegnet, sagt man: typisch Berliner. Die ganzen anderen Berliner ohne Berliner Schnauze fallen da einfach weniger auf. Ich kann jedenfalls nicht behaupten, dass die Mehrheit der Berliner auch die Berliner Schnauze hat. Die meisten kommen ja auch nicht von hier.
Was sagen Sie als zugezogener Schwabe zum Schwabenhass?
Der ist mir egal, solche Pauschalisierungen nehme ich nicht ernst. Ich finde sie eher lustig, denn im Prinzip bezieht sich das Klagen ja auf all die zugezogenen neureichen Westdeutschen. Irgendwann hieß es: Das sind doch alles Schwaben. Es hängt wohl auch ein bisschen mit der Geschichte zusammen. Vor der Wende gab es ein Kulturabkommen zwischen Berlin und Baden-Württemberg, weshalb in den sechziger und siebziger Jahren die meisten Abiturklassen auf Berlin-Besuch von dort kamen. Etliche Schüler nahmen das zum Anlass, später ganz nach Berlin zu ziehen.
Sie könnten auch im Thüringer Wald sitzen und nach der täglichen Online-Presseschau ihre Themen finden. Spielt Ihr Wohnort Berlin für Ihre Arbeit überhaupt eine Rolle?
Ich fühle mich hier einfach wohl. Aber als Zeichner könnte ich wirklich überall leben.
Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle?
Ich sehe mich als eine Art zeichnender Journalist und möchte mit satirischen Mitteln einen Diskussionsansatz liefern. Bei manchen Themen würde ich gern noch viel mehr draufhauen, was aber in Tageszeitungen kaum möglich ist.
Warum nicht?
Wenn wir Karikaturisten mal richtig übertreiben, regen sich sofort Leser auf. In den Chefredaktionen wird das nicht gern gesehen, weil man keine Abonnenten verlieren will. Deshalb ist der Rahmen, was die Satire betrifft, relativ eng. Uns droht hier keine Gewalt, sondern eher, dass wir nicht gedruckt werden.
Mit Gewalt wurde Ihnen aber schon gedroht, als Sie vor der Fußball-WM 2006 eine Karikatur veröffentlichten, bei der Sie die iranische Elf als Selbstmordattentäter darstellten.
Es ging gar nicht um die Iraner, sondern um deutsche Innenpolitik. Ich wollte die Überlegungen des damaligen Innenministers Schäuble kritisieren, die Bundeswehr während der WM einzusetzen. Dass ich der deutschen Elf die iranische gegenüberstellte, war reiner Zufall. Irans Präsident Ahmadinedschad hatte gerade wieder was Absurdes im Radio von sich gegeben, und da habe ich spontan sein Land gewählt. Ich hätte auch eine Elf aus Afghanistan zeichnen können, aber die war ja kein WM-Teilnehmer. Die Karikatur hat dann irgendjemand ins Internet gestellt, wahrscheinlich im Rheinland wohnende Exiliraner.
Was war die Folge?
Sie hat sich im Nu um die Welt verbreitet. Selbst aus Kanada und Australien wurde ich aufgefordert, mich gefälligst zu entschuldigen. Viele Empörte kannten die Zeichnung gar nicht, sie hatten nur gehört, ich hätte den Islam beleidigt, was überhaupt nicht der Fall war. Mein Problem war, dass es um Irans Fußballnationalmannschaft ging.
Wie meinen Sie das?
Die ganze Aufregung ging von Leuten aus, deren Eltern aus politischen Gründen einst den Iran verlassen mussten. Für die war die Fußballnationalelf die einzige Identifizierungsmöglichkeit mit ihrem Land. Sie fühlten sich beleidigt, und daraus wurde ganz schnell eine Beleidigung des Islam. Im Iran gab es sogar Gegenkarikaturen. Irgendwann bewarfen ein paar Hitzköpfe die deutsche Botschaft mit Feuer und man verlangte offiziell eine Entschuldigung vom deutschen Botschafter und von mir. Ich bin dann erstmal eine Woche abgetaucht.
Haben Sie in der Zeit über Ihren Beruf neu nachgedacht?
Mir ist damals klar geworden, dass unser Beruf im Internetzeitalter wirklich komplizierter geworden ist. Einschüchtern lassen habe ich mich deshalb jedoch nicht.
Hatten Sie mal Ärger mit Politikern?
Die sind kein Problem. Einige haben sich hintenrum immer mal ein bisschen aufgeregt, aber nie offiziell. Die Politiker wissen doch inzwischen, dass das meistens nach hinten losgeht. Es gibt ja eine Art Hitparade der politischen Karikatur. Wer am Ende des Jahres am häufigsten in der Karikatur aufgetaucht ist, der ist der Populärste. Da fühlen sich die Politiker mehr gebauchpinselt als genervt.
Deshalb fragen die auch gern mal an, ob sie ein Original kaufen können?
Ja, so was passiert hin und wieder.
Zum Abschluss: Haben Linke mehr Humor als Rechte – oder tun sie nur so?
Da traue ich mir keine Verallgemeinerung zu. Leider muss man sagen, dass es viele Linke gibt, die extrem wenig Humor haben. Das ist umso bedauerlicher, wenn man sich selbst als Linker fühlt. Ansonsten gibt es natürlich überall Leute, die nicht über sich selbst lachen können. Aufgefallen ist mir, dass CSU-Leute oft erstaunlichen Humor und Selbstironie besitzen. Bei den Linken vermisse ich das manchmal, wie überhaupt festzustellen ist, dass man uns Deutschen unsere autoritäre Geschichte einfach anmerkt. Die meisten sehen sich als brave Staatsbürger, was auch ihre Sicht auf die Karikaturisten prägt. Von denen wünschen sie sich doch mehr Humor und weniger Satire.
Unterhaltung geht vor Gesellschaftskritik?
Eindeutig.
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