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Mundraub.org über Fallobst„Die Stadt ist ein Proviantlager“

Obst? Gemüse? Frei verfügbar, überall, für alle. Andie Arndt von mundraub.org will aber nicht nur ernten. Sondern auch für die Allgemeinheit pflanzen.

Herbst ist Erntezeit: Äpfel an einem Baum in Düsseldorf Foto: dpa
Jörn Kabisch
Interview von Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Frau Arndt, beim Spazierengehen durch die Stadt sein Essen sammeln – das geht?

Andie Arndt: Absolut. Mundräuber leben nach dem Motto „Die Stadt ist dein Garten.“ Und das ist nicht nur ein Slogan. Bei mir war das auch so. Ich wohne im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, und es fing an, dass ich Haselnussbäume um die Ecke entdeckte und realisierte, dass das nicht nur irgendwelche Bäume sind …

… sondern dass Essen daran hängt.

Wenn man sich einmal auf dieses Erlebnis eingelassen hat, fängt man an, die Stadt mit anderen Augen zu sehen und als Proviantlager. Dann entwickelt man auch ein bestimmtes Gefühl dafür, welche Zutaten man vor der Haustür findet. Ich habe mir eben noch mal die Karte auf mundraub.org im Netz angesehen: Allein in Berlin und Potsdam haben wir über 3.000 Einträge, von über 25.000 Einträgen bundesweit.

Mundraub.org – was ist das?

Eine interaktive Karte im Netz mit Fundorten von frei verfügbarem Obst und Wildkräutern, auch Pilzen. Jeder kann dort seine Stellen eintragen und mit anderen teilen, wenn sie, das ist ganz wichtig, nicht auf privaten Grundstücken liegen.

Im Interview: Andie Arndt

Andie Arndt, 41, ist Medienpädagogin und kümmert sich bei Mundraub.org um die Kommunikation. Sie geht gern mit Freunden bei einer Radtour sammeln

Ganz überwiegend sind es Obstbäume, die da verzeichnet sind.

Richtig. Meistens Äpfel, dann Birnen oder Kirschen und Obststräucher wie Brombeeren und Himbeeren.

Warum sind es gerade so viele Apfelbäume?

Das gilt nur für Berlin und Brandenburg – und hat historische Gründe. Schon Friedrich II. hat zur Verpflegung der Soldaten und der Landbevölkerung Obstbaumalleen anpflanzen lassen.

Also gibt es auch von Region zu Region Unterschiede?

Für den Obstbaumbestand rund um die Hauptstadt ist das sogar untersucht worden. Im Osten gibt es mehr Obstbäume als im Westen Berlins, nämlich neun Bäume auf einen Hektar gegenüber zwei im Westen. Ein Grund dafür ist: Vor der Wende erlaubten Behörden im Westen eher, Obstbäume zu fällen. Aber es gibt noch mehr Unterschiede: Maronen, also Esskastanien, findet man im Süden Deutschlands mehr, und die Kornelkirsche, das sagt uns jedenfalls ein Mundraubnutzer, ist im Westen auch mehr verbreitet als im Osten.

Ist es auch möglich, in der Stadt einen Salat zu sammeln?

Natürlich. Das beste Beispiel ist der Blattsalat von Baum. Er besteht aus jungen Blättern der Linde, von Spitzahorn und Knospen der Eberesche. Solche Bäume findet man auch in öffentlichen Parks.

Ich denke bei Salat auch an junge Brennnessel oder Löwenzahn.

Warum nicht? Oder probieren Sie mal die Blätter der Alpen-Johannisbeere. Die schmecken nach Champignons.

Hört die Saison für Mundräuber nie auf?

Man findet Essbares von Frühling bis Herbst. Es beginnt im Frühjahr mit Wunderlauch …

… ein naher Verwandter des Bärlauchs …

… und geht dann weiter mit dem Baumsalat, und dann kommen schon die Kirschen, die Mirabellen, die Birnen, Pflaumen, Äpfel und Nüsse. Und ich habe auch schon Maronen direkt am Alexanderplatz gesammelt. Man wird da natürlich angeschaut, als wäre man irre, aber das muss man als Mundräuber aushalten.

Misteln sind in Berlin auch sehr verbreitet.

Man sollte sie nach dem ersten Frost ernten und Marmelade kochen. Schmeckt nach Nutella, ist aber viel Arbeit.

Sie haben gesammeltes Obst und Kräuter also auch selbst immer auf dem Speiseplan.

Ja, natürlich.

Gibt es dann auch einen Alltagsklassiker, so wie Nudeln mit Pesto?

Da schlage ich Spaghetti mit Wunderlauch-Pesto vor, vorausgesetzt, man hat im Frühjahr genug gesammelt und verarbeitet. Und gerade gibt es bei mir dauernd eingelegte Pflaumen.

Es gibt inzwischen immer mehr Projekte, die Stadtnatur essbarer zu gestalten.

Das ist das Konzept der „essbaren Stadt“. Die eigentliche Idee ist, öffentliche Plätze und Straßen mit Obstbäumen und -sträuchern zu bepflanzen. Wir von Mundraub sind da sehr aktiv und erstellen auch immer wieder Konzepte. Aber es ist ein Geduldsspiel. Oft bleibt es bei Willensbekundungen. Wir haben deshalb mit einem eigenen Projekt begonnen. Es heißt „Nachwuchs“.

Ich schätze, es geht um Obstbäume.

Ja, die Obstbäume, die man jetzt noch findet, sind zum größten Teil vernachlässigt und werden auch nicht nachgepflanzt. Am Anfang ging es Mundraub nur darum, darauf aufmerksam zu machen, was es alles für Schätze in der freien Natur gibt. Mittlerweile sind wir einen Schritt weiter. Wir wollen nicht nur ernten, was wir nicht gesät haben, sondern uns auch an der Pflanzung und Pflege beteiligen. Wir suchen mit unserer Community und den Kommunen nach geeigneten Plätzen für Neuanpflanzungen. Damit auch spätere Generationen frei Früchte naschen können.

Warum wird nicht überall mehr Essbares angepflanzt?

Gute Frage. Ich höre immer wieder die gleichen Argumente: Ein Auto könnte beschädigt werden, wenn ein Apfel vom Baum fällt. Die Oma könnte auf dem Obst ausrutschen, das auf dem Gehweg liegt. Das Kind könnte von einer Wespe gestochen werden, die von dem Obst angelockt worden ist. Aber ehrlich: Diese Argumente finde ich nicht sehr überzeugend.

Wie soll man beginnen, wenn man sich sein Essen sammeln will?

Für den Anfang empfehle ich, sich an der Mundraub-Map zu orientieren. Mit der Zeit entwickelt man dann ein Auge für Essbares. Ich habe gerade einen neuen Baum mit Maronen entdeckt. Bis die reif sind, wird es wahrscheinlich November.

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