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Kommentar Britische EU-AustrittspläneEntdramatisierung des Brexits

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

In der EU ist derzeit für kein einziges großes Problem eine Lösung in Sicht. Da wäre es gut, den Brexit zu akzeptieren und zu entpolitisieren.

Theresa May nach ihrer Parteitagsrede, Birmingham 2. Oktober Foto: reuters

V ielen überzeugten Europäern gilt der Brexit immer noch als ein Schreckgespenst, als eine irrationale Mischung von Nationalismus und Trump-Verschnitt. Der zentrale Impuls, der den Wunsch nach Austritt aus der Europäischen Union in Großbritannien mehrheitsfähig gemacht hat, wurde und wird dabei bis heute übersehen: das Verlangen danach, politische Entscheidungen selbst zu treffen und nicht von der Zustimmung 27 anderer Länder abhängig zu machen.

Die 52 Prozent für den Brexit am 23. Juni waren keineswegs 52 Prozent für das Programm von Nigel Farage, sondern eines für mehr Demokratie – ohne programmatische Festlegung.

Nun hat die britische Premierministerin Theresa May am Wochenende endlich einen Termin für das britische Austrittsgesuch bei der EU genannt – spätestens Ende März 2017, also möglicherweise beim ersten EU-Staatengipfel des Jahres am ersten Märzwochenende. Und sie will kurz darauf ein Austrittsgesetz durch das britische Parlament bringen, das eine ganz wesentliche, antipopulistische Festlegung enthält: Das gesamte EU-Regelwerk bleibt beim Austritt gültig bis zu dem Zeitpunkt, wo es durch neue Gesetzgebung abgelöst wird.

Es verändert sich also nicht der Inhalt der britischen Politik, sondern die Entscheidungsebene darüber kehrt zurück ins britische Parlament und in britische Gerichte.

Der Brexit als technokratischer Akt, an dem einerseits nicht zu rütteln ist, der andererseits an sich aber nichts über die Einzelheiten der zukünftigen Politik aussagt – das entspricht Mays technokratischem Regierungsstil, unaufgeregt und zielstrebig. Es ist ein Beitrag zur Entdramatisierung, der dem Kontinent Anlass zu eigener Gelassenheit bieten sollte.

In der EU ist derzeit für kein einziges großes Problem eine Lösung in Sicht, von der schwelenden Flüchtlingskrise bis zur neuen Bankenkrise. Da wäre es gut, den Brexit zu akzeptieren und zu entpolitisieren.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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2 Kommentare

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  • Diese Einschätzung von D. J. ist sehr originell und ich habe sie auch nirgendwo anders gefunden. (Übrigens Glückwunsch zum hard-earned Recherchepreis).

    Es wäre eine rationale Antwort auf den Brexit, der dem pragmatischen Reflex längst vergangener Zeiten entspräche. Stattdessen sollen "foreign workers" gesäubert werden!

     

    Die Entscheidungsebene kehrt zur Zeit gerade nicht zurück ins Parlament: Zumindest nicht, was die Entscheidung über die Konsequenzen des Referendums selber angeht, den Ken Clarke z.B. für eine reine Meinungserkundung hielt, ohne Verbindlichkeit bei der Umsetzung.

    Massive Veränderungen bräuchten eine zwei Drittel-Mehrheit, Details und Konsequenzen sollten den Bürgern klar sein.

    Beides war beim Brexit nicht der Fall.

    Das Klima in GB ist inzwischen so schlecht, dass sich langjährige, nicht so mobile Freunde überlegen, das Land zu verlassen. Und sie sind noch nicht einmal von lynchmobs bedrohte Polen.

    Nebenbei: Norwegen hat bewiesen, dass man nicht in der EU sein muss, um im demokratischen Europa einen Beitrag zu leisten. Aber es war nicht dieser selbstgenügsame, respektvolle Geist, der Farage beflügelt hat.

  • waere ich buerger des vereinigten koenigreichs, ich wuerde einen geplanten brexit auch nicht im ansatz akzeptieren. die referendum genannte volksbefragung hat keine juristische berechtigung, als parlamentarische monarchie liegt die entscheidung beim parlament und nicht bei der kurzfristig ausgetauschten regierungschefin.

    die ganze brexitdebatte hat auf der politischen ebene nur eine personelle dimension. was das land, die wirtschaft, die bevoelkerung, den wohlstand betrifft, waere ein brexit eine totalkatastrophe. es ist auch nicht nachvollziehbar, eine derart weitreichende entscheidung mal eben so mit einem ja oder nein zettel als referendum auszurufen. ich kann auch nicht nachvollzeiehen, dass kaum einer der kompletten britischen fuehrungsebene sich massiv dagegen aeussert.