: „Wir wollen euch kämpfen sehen“
Protest Nach dem Protest von rund 200.000 Menschen steigt der Druck auf die SPD-Delegierten, Ceta heute beim Konvent zu stoppen. Doch Gabriel bleibt unbeeindruckt
Aus Hamburg, Leipzig und Berlin Kai von Appen, Martin Kaul und Malte Kreutzfeldt
Es ist kein leichter Auftritt für Matthias Weber. Der groß gewachsene Mann im grob karierten Hemd steht am Samstag in Leipzig auf einer Bühne vor rund 10.000 Menschen. Und obwohl er sich klar gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP positioniert, gegen die hier demonstriert wird, fängt die Menge an zu pfeifen, sobald Weber den Mund öffnet.
Was ist sein Fehler? Matthias Weber, Stadtrat in Leipzig, ist Mitglied der SPD. Und auf die sind die meisten der Menschen, die am Samstag in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Köln, München und Leipzig demonstrieren, schlecht zu sprechen. 320.000 waren es nach Angaben der Veranstalter insgesamt, rund 200.000 nach Schätzung der taz.
Der Grund für die Wut: Parteichef Sigmar Gabriel will dem umstrittenen Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada im EU-Ministerrat zustimmen. Dafür braucht er grünes Licht von den Delegierten des kleinen Parteitags, der bei der SPD Konvent heißt und an diesem Montag in Wolfsburg tagt. Als Zugeständnis an die vielen Kritiker in der Partei stellt Gabriel lediglich ergänzende Erklärungen der EU und Kanadas in Aussicht, doch deren Inhalt und rechtlicher Status sind offen (siehe rechts).
Dass die SPD-Basis diesen Kurs mitträgt, wollen jene 30 Organisationen verhindern, die seit Monaten mit einer beachtlichen Materialschlacht für die Großdemonstrationen mobilisiert haben. Sie fordern, dass die SPD die Reißleine zieht und dafür sorgt, dass Deutschland das Abkommen im EU-Ministerrat blockiert.
Was verspricht der SPD-Chef?Sigmar Gabriel stellt in Sachen Ceta-Vertrag eine „gemeinsame, rechtsverbindliche Erklärung“ von Kanada und der EU in Aussicht. Dort sollen „Klarstellungen“ vorgenommen werden, die vor allem Befürchtungen der Gewerkschaften aufgreifen.
Was bringt das wirklich?Eine „rechtsverbindliche Erklärung“ ist schon ein Widerspruch in sich. Eine gemeinsame „Erklärung“ der Vertragspartner ist im Völkerrecht nicht verbindlich. Sie ist nur ein Instrument zur Auslegung des Vertrags. Die Vertragspartner können darin erklären, was sie mit bestimmten Klauseln konkret gemeint haben und was nicht. Rechtsverbindlich ist aber nur der Vertrag selbst.
Lässt sich Ceta doch noch ändern?Um bestimmte Inhalte „rechtsverbindlich“ zu regeln, müsste entweder der Ceta-Vertrag selbst geändert werden oder ein Zusatzabkommen abgeschlossen werden. Eine Änderung von Ceta muss nicht unbedingt kompliziert sein, weil die kanadische Regierung sowohl am Abschluss des Abkommens mit der EU interessiert ist als auch an einem „progressiven“ Charakter des Vertrags.
Gibt es eine Deadline für Änderungen?Eine Änderung von Ceta dürfte bis zur geplanten Unterzeichnung am 18. Oktober kaum noch möglich sein. Dann könnte später – aber noch vor der Ratifizierung in den nationalen Parlamenten – ein separates Zusatzabkommen geschlossen werden. Dieses Abkommen müsste dann wie ein völkerrechtlicher Vertrag beschlossen werden, je nach Inhalt auch mit Zustimmung der nationalen Parlamente. Üblicherweise nennt man solche Verträge im Völkerrecht Zusatzprotokoll. (chr)
„Der SPD-Konvent hat es in der Hand, Ceta für erledigt zu erklären“, ruft Greenpeace-Mann Stefan Krug in Hamburg, wo mehr als 50.000 Menschen angeführt von einem Dutzend Treckern des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft protestieren. Die Bauern befürchten durch Ceta und TTIP eine Industrialisierung der Landwirtschaft durch internationale Konzerne. „Unsere Botschaft ist klar“, sagt auch Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz bei der Kundgebung in Berlin. „Mit TTIP und Ceta kommt ihr nicht durch.“
Am Alexanderplatz in Berlin wird auch der örtliche SPD-Mann freundlicher empfangen als in Leipzig. Kein Wunder: Der Berliner Jan Stöß hat im Bundesvorstand der Partei als Einziger gegen Gabriels Ceta-Antrag gestimmt. „Ich bin überzeugt, dass ich beim Konvent nicht der Einzige sein werde“, ruft er. Auch in Hamburg äußerte der schleswig-holsteinische SPD-Staatssekretär die Hoffnung, dass viele Delegierte – so wie er – dem Kurs der Parteiführung eine Abfuhr erteilen. Auf solche Delegierten setzen die Ceta-Kritiker ihre Hoffnung. „Wir wollen euch kämpfen sehen“, gibt Campact-Mann Christoph Bautz ihnen mit auf den Weg.
SPD-Chef Gabriel zeigte sich von den Massenprotesten allerdings unbeeindruckt. Er verteidigte gegenüber der Bild am Sonntag das Abkommen erneut. „Würde Ceta scheitern, dann wäre der Versuch, die Globalisierung so zu gestalten, auf Jahrzehnte gescheitert“, sagte Gabriel. „Denn niemand würde uns Europäer dann noch ernst nehmen.“ Eines machte der SPD-Chef in dem Gespräch mit der Zeitung allerdings vorsichtshalber auch gleich klar: Die Abstimmung über Ceta sei nicht an seine Person geknüpft.
Um die Delegierten auf seine Seite zu ziehen, hat Gabriel die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland eingeladen, beim Konvent zu sprechen. Mit ihr hatte der SPD-Vorsitzende in der vergangenen Woche in Kanada über mögliche Ceta-Ergänzungen verhandelt. Unterstützung bekam Gabriel auch von CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der die SPD vor einer Ablehnung warnte. Wenn die SPD dies tue, „schadet sie Deutschlands Wohlstand und gefährdet sichere Arbeitsplätze“, sagte er der Funke Mediengruppe.
Entscheidend wird auch sein, wie sich die Gewerkschaften beim Konvent positionieren. DGB-Chef Rainer Hoffmann soll in Wolfsburg eine Rede halten. Er hatte den Antrag des SPD-Vorstands in der letzten Woche zunächst begrüßt, war später aber nach interner Kritik zurückgerudert. Denn offiziell ist der Dachverband der Gewerkschaften weiter klar gegen Ceta in der vorliegenden Form. Das betonten auch mehrere Redner bei den Kundgebungen. „Wir sagen Nein zu diesem Deal“, rief Peter Scherrer, der für den DGB auf europäischer Ebene als stellvertretender Generalsekretär der European Union Trade Confederation repräsentiert.
Als möglicher Kompromiss steht im Raum, dass Gabriel Ceta zwar zustimmen darf, das komplette Abkommen aber erst in Kraft tritt, wenn die nationalen Parlamente zugestimmt haben. Diese Lösung, für die etwa der SPD-Linke Matthias Miersch wirbt, stößt auch in Gewerkschaftskreisen auf Sympathie.
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