: Türkei will aktiver in Syrien eingreifen
Kurswechsel Syrien bombardiert die Kurden. In Ankara kann man sich plötzlich vorstellen, Assad übergangsweise zu akzeptieren
Bislang hatte die Türkei es strikt abgelehnt, mit Assad zu reden, und für jede Verhandlungslösung zuerst die Abdankung des syrischen Diktators verlangt. Schließlich gehört Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu den wichtigsten Unterstützern der Assad-Gegner und ist auch nicht davor zurückgeschreckt, islamistisch-dschihadistische Gruppen zu finanzieren und zu bewaffnen. Doch diese Position geriet hinter den Kulissen schon länger ins Wanken und ist durch verschiedene Ereignisse der letzten Wochen weiter infrage gestellt worden.
Dazu gehören an erster Stelle die neuesten Kämpfe zwischen den syrischen Kurden und dem Assad-Regime um die Stadt Hassaka, die am südlichen Rand des größten kurdischen Kantons Kamischli liegt. Jahrelang hatten Kurden und Assad-Truppen in Hassaka mehr oder weniger gewaltfrei koexistiert, doch Mitte letzter Woche kam es plötzlich zu heftigen Kämpfen zwischen beiden Parteien. Die Kämpfe eskalierten, Assad setzte seine Luftwaffe ein und ließ kurdische Gebiete in Hassaka bombardieren. Das rief wiederum die USA auf den Plan.
Als enge Verbündete der kurdischen YPG-Miliz – für die USA so etwas wie ihre Bodentruppen im Kampf gegen den IS – warnten sie Assad, weiter gegen die Kurden vorzugehen. Als am Donnerstag und Freitag erneut Bomber über Hassaka auftauchten, drängten US-Kampfflugzeuge die syrischen Flieger ab. Auch am Samstag und Sonntag überflogen syrische Kampfflugzeuge Hassaka – ohne aber Bomben abzuwerfen.
Die Türkei wirft den USA seit Längerem vor, ihre Zusammenarbeit mit der syrisch-kurdischen YPG sei gleichbedeutend mit einer Unterstützung der türkisch-kurdischen PKK. Dieser Konflikt spitzte sich zu, als die USA Operationen der YPG westlich des Flusses Euphrat unterstützten; für die Türkei eine rote Linie, weil die Kurden von dort leicht die gesamte türkisch-syrische Grenze kontrollieren könnten. Ein zusammenhängendes syrisch-kurdisches Autonomiegebiet will die Türkei unbedingt verhindern. Sie befürchtet, dass das auf die kurdischen Gebiete in der Türkei ausstrahlen könnte.
Da die USA offenbar nicht gewillt sind, auf diese türkischen Bedenken Rücksicht zu nehmen und Assads Truppen gleichzeitig die Kurden angreifen, erscheint das Regime in Ankara offenbar nicht mehr so schlimm wie früher. Hinter dem Meinungsumschwung stehen auch Verhandlungen mit Russland und Iran. Seit Erdoğan vor zwei Wochen seinen Kollegen Wladimir Putin besuchte und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Freitag überraschend in Teheran auftauchte, arbeitet die Türkei an ihrer neuen Syrien-Politik.
„Wir werden uns aktiver um eine Lösung in Syrien kümmern“, versprach Binali Yıldırım am Samstag. Was genau er damit meint, wird er wohl als Erstes dem US-Vizepräsidenten Joe Biden erklären, der am Mittwoch in Ankara erwartet wird. Jürgen Gottschlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen