Sommerinterview mit Andreas Dressel: „Scholz bleibt Bürgermeister“
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel über Flüchtlingspolitik und Fahrradfahren, das Hoffen auf Geld von Hapag-Lloyd und Regierungschef Olaf Scholz
taz: Herr Dressel, finden Sie eigentlich, dass Sie sich Ihren Sommerurlaub redlich verdient haben?
Andreas Dressel: Ein bisschen urlaubsreif bin ich schon.
Dabei haben Sie doch in jüngster Zeit fast nur geplaudert zusammen mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden Anjes Tjarks und der Initiative „Hamburg für gute Integration“.
Wir haben lange und intensiv verhandelt. Das war anstrengend, aber erfolgreich. Denn Hamburg wurde dadurch ein Volksentscheid in dieser polarisierenden Frage erspart. Jetzt müssen die vielen einzelnen Vereinbarungen natürlich noch umgesetzt werden. Aber da bin ich optimistisch, dass das Schritt für Schritt gelingt.
41, Jurist, ist seit 2004 Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft und seit 2011 SPD-Fraktionsvorsitzender.
Ist denn das Thema Flüchtlingsunterbringung durch die Vereinbarung mit der Initiative ein für allemal geklärt worden?
Wir haben einen Rahmen vereinbart, in dem eine gute Unterbringung und ein gute Integration gewährleistet ist. Der Rahmen ist pragmatisch und auch flexibel, weil er zum Beispiel angemessen atmen kann und die schwer voraussehbaren Flüchtlingszahlen berücksichtigt.
Hätten Sie auf viele Ideen, die jetzt mit der Initiative vereinbart wurden, nicht schon vorher von selbst kommen können? Brauchen Sie den Druck des Volkes?
Im Herbst vorigen Jahres war die Situation sehr ernst und angespannt. Wir mussten deshalb in kürzester Zeit teilweise auch große Lösungen finden. Rückblickend wäre es vielleicht besser gewesen, man hätte den einen oder anderen Dialog intensiver geführt, aber der Zeit- und Handlungsdruck war damals enorm. Da sich aber die Situation nun entspannt hat, muss und kann die Planung natürlich verändert und angepasst werden. Zum Beispiel bei den Expressbauten realisieren wir die Planungen, reduzieren überall den Anteil öffentlicher Unterbringung, steigern aber gleichzeitig den Anteil an Sozialwohnungen. Das ist ein Gewinn für alle.
Und wenn die Flüchtlingszahlen wieder steigen? Wenn Erdogan die Grenzen wieder aufmacht?
Da haben wir vorgesorgt. Wir haben Reservekapazitäten insbesondere bei der Erstaufnahme eingebaut. Und die in der Vereinbarung gefundenen Formeln können je nach Zugang atmen. Wie sich die Situation mit der Türkei entwickelt, wird man sehen. Aber klar ist: Ein Szenario wie im Herbst vorigen Jahres wird sich nicht wiederholen.
Ist die Einigung mit der Initiative und die Vermeidung eines Volksentscheides mit hoher gesellschaftlicher Sprengkraft ein Erfolg für die Demokratie?
Wichtig in einer Demokratie ist die Fähigkeit zum Kompromiss. Das ist etwas ganz Wichtiges, was alle diese Rechtspopulisten in Europa und auch dieser Schreihals in den USA gefährden. Wir haben hier in Hamburg, mit den zahlreichen Nutzungskonflikten in einem Stadtstaat, in einer hochbrisanten und polarisierenden Frage ausgelotet, was gangbar ist. Es ist eine demokratische Errungenschaft, nicht auf den finalen Showdown zu setzen, sondern die Einigung zu suchen.
Die rot-grüne Koalition hat ja im November 2015 das Referendum über Olympia verloren, der SPD-Alleinsenat zwei Jahre zuvor den Volksentscheid über die Energienetze. Haben Sie da langsam ein Trauma?
Nein. Auch die CDU und Schwarz-Grün haben je einen Volksentscheid verloren. Das scheint also eher ein Regierungsphänomen zu sein, dass das Volk in Einzelfragen anders abstimmt, als die von ihm gewählte Regierung es empfiehlt. Bei der Initiative „Guter Ganztag“ gab es ein gemeinsames Grundanliegen, da war eine Einigung möglich, jetzt in der Flüchtlingsfrage ebenfalls.
Geht Ihnen die Direkte Demokratie mit all ihren Volksinitiativen und Volksentscheiden nicht inzwischen gehörig auf den Geist?
Nein. Die BürgerInnen nehmen ihre Möglichkeiten wahr, sich zu artikulieren und mitzubestimmen. Das ist ihr gutes Recht, das muss man so akzeptieren und damit umgehen.
Aber gibt es nicht inzwischen eine gesellschaftliche Schieflage zugunsten wohlhabender und gebildeter Schichten? Es müssen ja nur ein paar wortmächtige Menschen in der Gegend rumtönen – so wie die SUV-Fahrer auf der Uhlenhorst bei der Busbeschleunigung oder zweifelhafte Flüchtlingsfreunde in Blankenese – und schon regelt Rot-Grün gleich die Sache.
Diese soziale Schieflage ist ja auch bei Wahlen zu beobachten. Auch da ist die Wahlbeteiligung in sozial schwächeren Stadtteilen überdurchschnittlich niedrig und zugleich die Zahl der ungültigen Stimmen besonders hoch. Das ist etwas, was alle demokratischen Parteien umtreibt. Wir müssen diese soziale Spaltung in der Wahrnehmung demokratischer Rechte angehen.
Sprechen wir über andere Themen: Das rot-grüne Ziel, Hamburg zu einer fahrradfreundlichen Stadt zu machen, dürfte höchstens im Schneckentempo zu erreichen sein. Bremsen Sie ihren grünen Koalitionspartner aus?
Mitnichten. Wir haben gerade das Bündnis für Radverkehr auf den Weg gebracht mit klaren Zielzahlen, welche Straßen und Wege wann und wie schnell radverkehrsfreundlich umgebaut werden sollen. Wir verdoppeln die Zahl der neuen Radwegekilometer von 24 auf 48 pro Jahr …
So wird die Neuerfindung der Autostadt Hamburg als Fahrradmetropole Jahre dauern.
Das ist ein beachtlicher Kraftakt. Das geht nicht alles über Nacht. Unser Credo bleibt ein sinnvoller Verkehrsmix.
Sie wollen also weiterhin versuchen, um Maßnahmen wie Fahrverbote, Umweltzone und City-Maut herumzukommen, weil die SPD eben eine Autofahrer-Partei ist?
Ich bin ein großer Fan unseres Koalitionsvertrages. Und da steht drin, dass wir eine angebotsorientierte Verkehrspolitik machen mit einem deutlich höheren Anteil an Radfahren und Öffentlichem Nahverkehr. Eine Verbotspolitik wird es nicht geben.
Das Verwaltungsgericht Hamburg ist offenbar kein Fan des rot-grünen Koalitionsvertrages. Ende Juli hat es ein Zwangsgeld gegen Hamburg verhängt, weil der rot-grüne Senat einen wirksamen Luftreinhalteplan seit Jahren verweigert. Jetzt haben Sie mächtig Handlungsdruck.
Der Luftreinhalteplan wird jetzt überarbeitet, die Umweltbehörde arbeitet mit Hochdruck daran. Da werden viele Maßnahmen zusammenkommen, die für sauberere Luft in Hamburg sorgen werden.
Das muss aber alles bis spätestens Ende Juni 2017 fertig sein – viel früher als geplant.
Alle arbeiten mit Hochdruck daran, die Vorgaben des Gerichts zu erfüllen.
Schlechte Luft verursachen auch die Schiffe im Hafen. Aber die seit Jahren versprochene Landstromanlage zur sauberen Versorgung der Kreuzfahrtschiffe und die LNG-Barge mit umweltfreundlicher Energieversorgung aus Flüssiggas funktionieren immer noch nicht.
Wir sind da weltweit Trendsetter, das klappt nicht alles über Nacht. Und noch lange nicht alle Schiffe sind dafür ausgerüstet. Aber auf mittlere Sicht werden umweltfreundliche Technologien und Energien Standard werden, nicht nur bei den Kreuzfahrtschiffen, sondern auch bei den Containerfrachtern. Und Hamburg ist da ganz vorne mit dabei. Wir sind der Antreiber für moderne Technologien. Aber auch hier gilt, die Verbotskeule bringt nichts. Wir tun das zusammen mit der Wirtschaft, das ist der sinnvolle Weg.
Im Hafen gibt es zudem ein Milliardenloch: Die Staatsreederei Hapag-Lloyd verliert zusehends an Wert, die Hamburger Anteile entsprechend auch. Sind die 1,2 Milliarden Euro, welche die Stadt in die Reederei gesteckt hat, doch verloren?
Nein. Hapag-Lloyd ist ein gutes Beispiel dafür, wie durch die Fusionen mit der chilenischen Reederei CSAV und jetzt mit der arabischen UASC ein noch stärkeres Unternehmen von Weltrang geschaffen werden konnte. Der Unternehmenssitz, die Arbeitsplätze, der Warenumschlag konnten in Hamburg gehalten werden, das ist enorm wichtig. Aber die Marktlage in der Weltschifffahrt ist unverändert angespannt, deshalb müssen wir da noch ein wenig Geduld haben. Der Weg aber ist richtig.
Die Milliarde aus Steuergeldern gibt es aber nicht zurück, obwohl der Bürgermeister das versprochen hat. Hapag-Lloyd zahlt nicht mal Dividende.
Wir haben immer gesagt, dass das ein wenig dauern kann. Wir hätten uns alle gewünscht, dass die Schifffahrtskrise schneller vorbei wäre. Ist sie aber noch nicht. Wir müssen jetzt die Nerven und die Power haben, die Sache bis zu einem guten Ende durchzuziehen.
Das ur-sozialdemokratische Prinzip Hoffnung mal wieder.
Es geht nicht nur um Hoffnung, man muss auch seine eigenen Hausaufgaben machen. Und das haben wir.
Gibt es auch noch Hoffnung für den Fortbestand der rot-grünen Koalition bis zur Neuwahl 2020?
Auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit den Grünen im Senat und in der Koalition ist sehr vertrauensvoll, solide und fundiert.
Und die ganze Zeit mit einem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz?
Ja, sicher. Und er wird auch 2020 wieder Bürgermeister-Kandidat der SPD sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen