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Erdoğans Rache für den PutschversuchAbrechnung mit der Militärführung

Präsident Erdoğan leitet umfassende Umstrukturierungen ein. Die Armee soll nie wieder ein Staat im Staate sein. Und das ist erst der Anfang.

Gruppenbild mit Siegerlächeln: das jährlichen Treffen des Hohen Militärrats mit der Regierungsspitze Foto: dpa

Istanbul taz | Mit einem Paukenschlag begann am Donnerstag das jährliche Treffen des Hohen Militärrats mit der Regierungsspitze. Was in den vergangenen Jahren immer ein Hochamt des Militärs war, bei dem der Regierung mitgeteilt wurde, wer im Generalstab auf- und absteigen sollte, wurde in diesem Jahr zu einer Abrechnung mit der Militärführung.

Genau zwei Wochen nach dem gescheiterten Putsch bekamen die Militärs von den Zivilisten serviert, was sie zu schlucken haben. Bereits am Abend zuvor hatten Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Ministerpräsident Binali Yıldırım Generalstabschef Hulusi Akar mitgeteilt, was sie beschlossen hatten.

Insgesamt 1.684 hohe und höchste Militärs werden unehrenhaft aus der Armee entfernt. Darunter sind 149 Generäle und Admiräle – mehr als ein Drittel. Dazu 1.099 weitere hohe Offiziere und 436 Unteroffiziere. Der Generalstabschef des Heeres und der Chefideologe für die Militärausbildung haben sich zudem in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet.

Bevor die verbliebenen Mitglieder des Militärrats überhaupt Platz im Gebäude des Ministerpräsidenten genommen hatten, wo die Sitzung erstmals stattfand, waren auch die anderen wichtigen Entscheidungen schon gefällt. Die Gendarmerie gehört künftig nicht mehr zur Armee, sondern wie die übrige Polizei zum Innenministerium.

Armee soll nie mehr putschen können

Weiterer Paukenschlag: Die traditionellen Akademien, in denen die künftigen Offiziere bereits ab dem Alter von 14 Jahren ausgebildet wurden, sollen aufgelöst werden. Damit wäre die Zeit der Kadettenanstalten, in denen der Korpsgeist des Militärs entwickelt wurde, vorbei. Außerdem soll der Militäretat zukünftig im Parlament erörtert werden.

Innenminister Efkan Alan verkündete darüber hinaus, dass künftig Teile der Polizei auch mit schweren Waffen ausgerüstet werden sollen, damit die Armee nie mehr in der Lage sein wird, einen Putsch durchzuführen.

Die derart dezimierte, einst zweitgrößte Armee der Nato muss nun sehen, wie sie diese dramatischen Lücken wieder auffüllt. Noch am Donnerstag sollten 91 neue Generäle ernannt werden, die Erdoğan dann billigen kann. Die Zeit, in der die türkische Armee so etwas wie einen Staat im Staate darstellte, soll endgültig vorbei sein.

Nach Äußerungen aus der Regierung sind die Massenentlassungen jedoch erst der Anfang. Die Armee soll völlig umstrukturiert und neu aufgebaut werden. Dieser Prozess wird Jahre dauern, die türkische Armee wohl noch länger nur bedingt einsatzbereit sein.

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12 Kommentare

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  • Wie weit wird der viel zitierte "Tiefe Staat" davon betroffen sein?

    Man sagte zuletzt, dass IS-Kämpfer aus dem Norden, also von der Türkei heraus, das kurdische Kobane angreifen konnten, sei nur durch den Tiefen Staat möglich gewesen.

    Gehört der überwiegend zum MIT, zur Polizei, oder zu einer Art Mafia?

  • Wohl keine denkt an die Demokratisierung der Staatsapparatur. Soll die Armee in einem Land gleiche Macht oder mehr wie einer demokratisch gewählten Regierung haben? In jedem westlichen Land unterliegt die Armee der zivilen Regierung. Dieses Ereignis in der Türkei sollte euch erfreuen und nicht in Enttäuschen.

  • Das hat was von dieser Art "Durchgreifen", bei der einem anschließend die Krümel zwischen den Fingern rausrieseln...

  • Hallo Jürgen,

     

    vielen Dank für Deine informativen Kommentare, die wir seit vielen Jahren aus der Türkei bekommen. Wie geht es Dir heute als Journalist dort? Was fehlt Dir am meisten?

     

    Viele Grüße Bernhard

  • Das ist die Theorie. Die andere Seite ist, dass in der Türkei praktisch alle erwachsenen Männer beim Militär waren und die Mehrheit dieser Leute diese Institution toll findet und fand. Dass Erdogan sich mit diesen Soldaten anlegt, während er sie braucht, um die Kurdengebiete zu zerstören, macht keinen Sinn und wird sich für ihn rächen, vielleicht nicht in dieser Woche oder in diesem Monat. Aber nach diesen Verkündungen hat er im Militär jede Freundschaft eingebüsst. Nicht mal die Sultane haben sich so gegen ihre Krieger gewandt. Das hat in der Türkei keine Tradition. Eigentlich muss Erdogan die Gendamerie in nur einem Jahr in eine Art Pasdaran oder Basiji verwandeln, um nicht doch noch von der Armee geschluckt zu werden. Außerdem heißt der nächste Schritt OYAK und die ganzen Vergünstigungen der Militärs im Ruhestand. Spätestens an diesem Abschnitt wird's so persönlich, dass die Lust auf Blut wächst. Außerdem sterben viele Soldaten im Osten. Sie werden dort einfach von Scharfschützen niedergeschoßen und es könnte noch weiter so gehen. Dazu könnte noch eine Gewaltwelle durch Jihadisten kommen, die in Erdogan längst den Verräter sehen. Ganz besonders, wenn Aleppo fällt und danach sieht es aus. Wenn Erdogan dieses Jahr dann noch eine Flut von Hotelschliessungen und ausbleibende Deviseneinnahmen verbuchen muss, könnte die ganze Putsch-Erdogan-Show kräftig nach hinten losgehen. Und wer ist überhaupt seine Mehrheit? Sind das 25 oder 30 oder vielleicht 35 Prozent? Eine Mehrheit steht wohl eher nicht hinter ihm ...

    • @Andreas_2020:

      Ihre Einschätzung in allen Ehren, aber ich halte sie für etwas zu optimistisch. Es stimmt zwar, dass so gut wie jeder Türke in der Armee gedient hat, aber da Erdogan von einer Mehrheit gewählt wurde, stammen die einfachen Soldaten zwangsläufig aus Familien, die zu Erdogan halten. Und ohne die einfachen Soldaten geht schon mal gar nichts. Mit der Schließung der Kadettenanstalten werden die künftigen Offiziere auch anders denken. Sie werden in Zukunft aus Schulen kommen, in denen Erdogan das Denken vorgibt. Z.Z. hat Erdogan das Militär gelähmt. Das durfte reichen, bis er es mit seinen Leuten durchsetzt hat.

       

      Andererseits ist es nicht wirklich ein Schaden, wenn die zweitgrößte NATO Armee nur beschränkt einsatzbereit ist. Das erschwert Abenteuer.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Hoffen wir mal, daß sich auch die Kurden nicht von der CIA zu einem Abenteuer verleiten lassen. Die hat sich schon beschwert, daß ihre Kontakte zur türkischen Armee gestört seien.

        • @jhwh:

          Tut mir leid, aber es sieht so aus, als wären die Kurden (wie so oft) die großen Verlierer. Ein Teil der großen Versöhnung Russland - Türkei scheint zu sein, dass Erdogan die Rebellen in Syrien aufgibt. Das sieht man z.Z. schön in Aleppo. Im Gegenzug werden Putin und Assad versprochen haben, die Kurden unter ihre "lieblichen" Fittiche zu nehmen. Mir ist nur noch nicht klar, warum die USA plötzlich der Eroberung Aleppos durch Assad zustimmen. Ist das jetzt Einsicht, bleibt ihnen nichts Anderes übrig oder ist das Teil eines noch unbekannten Geschäfts?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            langfristig gewinnen die Kurden ihre Unabhängigkeit durch diesen

            'schwachen' Erdohan, ganz besonders, wenn er weiter randaliert und sich unbesonnen verhält, die Armee und Gendamerie zerlegt und gleichzeitig ganze Ortschaften im Kurdengebiet so verwüstet, wie gegenüber in Syrien. Außerdem ist Erdogans Machtdrang überdimensioniert. Wenn die Türkei in den letzten 70 Jahren Stärke aufbauen konnte, dann nur über den Bezug zu Europa und den USA. Der Iran, Saudi Arabien oder Pakistan bieten der Türkei gar nichts. Da liegt ein weiterer Fehler dieser irren Rundumschlagsidee, die Erdogan verfolgt. Bislang schlucken die Verbündeten das alles, ganz besonders Angela Merkel hat es ihm ja ermöglicht. Aber langfristig wird er verlieren und zu erst im Kurdengebiet. Vorherige Regierungen waren geschickt darin, sich dort Bündnisse zu bauen, Erdogan kündigt die alle pauschal auf und setzt auf die Armee, die er aber gleichzeitig stark schwächt und depremiert. Die Kehrtwende in Syrien wird bald auch zeigen, dass Assad wieder da ist und daran kann dann jeder die politische Beständigkeit und die politische Klugheit Erdogans ablesen. Also ich bin optimistisch - bis 2020 könnte es geschafft sein. In Syrien ist es Realität, im Irak auch der Iran schwächelt.

            • @Andreas_2020:

              Um das "Kurdenproblem" zu lösen, braucht Erdogan nicht unbedingt die Armee. Mehrere 10.000 Anhänger bewaffnen und in die Kurdengebiete schicken reicht. Die kümmern sich dann um die "Lösung" der Kurdenfrage.

               

              Wie es in Syrien mit den Kurden weiter geht, ist völlig ungewiss. Die dortigen Milizen sind eher linksgerichtet. Es gibt also niemanden, der sie wirklich unterstützen würde, wenn Assad sie "diszipliniert". Denken Sie nur daran, wie lange die USA gebraucht haben, um in Kobane Unterstützung zu geben.

               

              Die Führung der irakischen Kurden ist eher konservativ ausgerichtet und bestrebt, die eigene Stellung nicht durch reizen mächtiger Nachbarn zu gefährden. Die werden weder in Syrien, noch in der Türkei ernsthaft helfend eingreifen.

               

              Und wie Sie darauf kommen, dass der Iran schwächelt, ist mir schleierhaft.

               

              Alles in Allem wäre Freiheit für Kurdistan zwar wünschenswert, aber ich sehe da leider schwarz.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Die größte kurdische Stadt der Welt heißt Istanbul und dort wollten vor Kurzem die Anhänger Erdogans mit der MHP ein Massaker anrichten. Nach kurzer Zeit lagen sie dort tot auf der Straße. Ich weiß nicht, woher sie ihre Infos nehmen, der Widerstand der Kurden ist anders als der der Akademiker oder Journalisten. In Hakkari und Amed sterben täglich türkische Soldaten und die geschwächte Armee und besonders die vielen Offiziere, die jetzt gehen müssen, werden es den Kurden erlauben, das Moment für sich zu nutzen. Es ist egal, was Barzani, YPG oder KDP-I machen, entscheidend ist, dass die Kurden in der Türkei keine Zukunft haben und das auch wissen. Auf lange Sicht, wird keine Armee der Welt mit einer so großen Gruppe von Menschen so einfach fertig werden. Außerdem schafft Erdogan ja die Voraussetzungen für einen bedingungslosen Krieg.

                • @Andreas_2020:

                  ???

                   

                  Glauben Sie ernsthaft, der relativ kleine Bevölkerungsanteil der Kurden reicht aus, um den türkischen Staat niederzuwerfen? Noch dazu einen hochgerüsteten Staat. Klar können die Kurden sich heftig wehren und schwere Verluste zufügen, aber das ändert nichts daran, dass sie gegen die Übermacht keine Chance haben. Sie haben ja auch kaum Unterstützung von außen.

                   

                  Da spielt es so gut wie keine Rolle, dass die türkische Armee jetzt durch die Säuberungen geschwächt ist. Sie steht ja schließlich nicht vor dem Zusammenbruch. Die entstandenen Lücken werden relativ schnell mit Leuten gefüllt werden, deren Kopf voll mit AKP Ideologie ist.

                   

                  "Auf lange Sicht, wird keine Armee der Welt mit einer so großen Gruppe von Menschen so einfach fertig werden."

                   

                  Das gilt nur, wenn die Situation nicht so weit eskaliert, dass ein Ausrottungsbefehl ergeht. Bitte jetzt nicht in Abenteuer stürzen!