piwik no script img

Öffentlicher Umgang mit AnschlägenVergebliche Sinnsuche

War der Münchener Attentäter rechtsextrem? Die Vorsicht der Medien, diese Tat einzuordnen, würde auch in anderen Fällen guttun.

Pourquoi – Warum? Die Frage ist kaum jemals zu beantworten Foto: dpa

Iraner, Afghane, Syrer. Rechtsextremer, psychisch Kranker, Islamist. Kaum ist der Knall der Explosion verhallt, kaum die Waffe aus der Hand des toten Mörders genommen, schon beginnen Spekulationen über Motive, flankiert von durchsickernden Zwischenergebnissen der Ermittlungen. Ein Handyvideo, die Surfhistorie auf dem Computer des Täters, die letzten Telefonate. Ein Amokläufer, ein Terrorist – schon lange vor der letzten Klärung hat der Mörder einen Titel, egal ob selbst verliehen oder medial vermittelt.

Doch der Münchener Attentäter wurde anders behandelt. Zu abweichend vom gängigen Bild – sowohl des islamistischen Terroristen, als auch des aus Winnenden und Erfurt bekannten jugendlichen Amokläufers – war der junge Mann. Seine Opfer waren vornehmlich Jugendliche mit familiären Wurzeln außerhalb Deutschlands (so wie er selbst). Der Spiegel machte einen Chatpartner ausfindig, der den Deutschiraner als Rechtsextremen mit positivem Bezug zur AfD beschreibt, die FAZ will Belege für die rechtsradikale Einstellung des Täters haben.

Prompt wollen einzelne Stimmen Rechtsterrorismus vom Schlage des Utøya-Massakers erkennen, doch lange hielten sich Medien, Polizei und Politik mit entsprechenden Spekulationen auffällig zurück. Wäre eine ähnliche Indiziendichte von einem eindeutig muslimischen Attentäter bekannt, wäre die Zuschreibung wohl schneller in der Welt gewesen, aber das nur nebenbei.

Letztlich wird sich auch für den Münchener Täter eine eindeutige Schublade finden. Dass diese Einordnung mit Verzögerung passiert, muss nicht schlecht sein. Vielmehr könnte die (zumindest anfängliche) Zurückhaltung nach den Morden von München beispielhaft für einen anderen Umgang mit ähnlichen Bluttaten sein. Denn die Mutmaßung, ob jemand Islamist oder Rechtsextremer oder ein frustrierter, gemobbter Jugendlicher ist, macht die Taten eben gerade nicht verständlich und ist somit vielleicht nicht die erste Information, die zur Verarbeitung nötig ist; von der nicht zuletzt durch voreilige Zuschreibung verursachten und bisweilen auch gewollten Stigmatisierung von Personengruppen und der korrespondierenden Panikmache einmal abgesehen.

Immer ohne Sinn

So selten, wie offene und brutale Gewalt in einem Land auftritt, das seit über 70 Jahren keinen Krieg mehr gesehen hat, so unverständlich, im Wortsinne unfassbar, ist sie. Der Versuch, einen Grund, ein Motiv für das Verbrechen zu finden, ist verständlich und unvermeidlich, nur leider kaum zielführend. Der Versuch, wenn er denn ehrlich gemeint und nicht dem Selbstbestätigungsdrang eigener Ideologeme dient, muss an der Tatsache scheitern, dass der gewaltsame Tod eines Menschen, dieser ultimative Zivilisationsbruch, selbst mit kriminalistisch erhärtetem Motiv sich einem wirklichen Verständnis nicht erschließen kann. Jeder tote Mensch ist seines Sinnes beraubt – wie auch jeder Mörder.

Dass wir nun den Attentätern und Amokläufern unbedingt und vor allem schnell eine Geschichte geben wollen, ermöglicht ihnen und denen, die in beängstigender Folge nach ihnen kommen, einen katastrophalen kognitiven Vorsprung. Statt einen Sinn im Leben zu suchen, finden sie ihn im Tod – dem eigenen und dem anderer Menschen. Und wir helfen ihnen dabei.

Wir werden es aushalten müssen, dass das Warum? nicht nur am Anfang der Ermittlungen steht, sondern auch an deren Ende

Aus diesem Dilemma zu entkommen, ist praktisch unmöglich. Wir werden aber lernen und aushalten müssen, dass das -Warum?- nicht nur am Anfang der Ermittlungen zu diesen Verbrechen steht, sondern auch an ihrem Ende. Im Bewusstsein dessen finden wir als Gesellschaft im Umgang mit dem Verbrechen vielleicht zu einer Gelassenheit, die den Schock und die Angst selbstverständlich nicht einfach ausblenden darf, die Bluttaten aber nüchtern aufklärt, dabei die Komplexität der Ursachen individueller Brutalisierung im Blick behält und nicht vergisst, auch das gesellschaftliche Umfeld, in dem solche Täterbiografien möglich sind, einer geduldigen und umfassenden Prüfung zu unterziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ach ja und alle zusammen vereint ,dass sie psychisch krank sind. Auch der IS in der arabischen Welt " Dash" genannt , die Zertrampler, sind wohl alle krank. Warum nennen wir sie IS. Selbst die Araber sagen , wir sollen doch bitte Zertrampler sagen. Sie sind kein Staat. die Ehre sollen wir ihnen nicht geben. Stellt euch vor ,sie würden immer in den Nachrichten , die Zertrampler genannt. Das wäre doch viel wirksamer, psychologisch gesehen. Ich finde die Medien spielen derzeit eine seltsame Rolle. Man denkt ,sie machen alles schlimmer. Warum?

    • @Christiana:

      Also um nur mal ein bisschen besserwisserisch zu sein.. 'Dash' wird glaube ich nirgendwo gesagt (oder vll ausgesprochen, aber nicht geschrieben).

      Eigentlich ist es einfach eine Abkürzung von den Anfangsbuchenstaben ihres Namens , aber es -ähnelt- dem Wort das Zerstampfen bedeuet.

    • 1G
      12239 (Profil gelöscht)
      @Christiana:

      Dash ist Waschmittel. Sie meinten wohl Daesh.

  • Wir wissen ja gar nicht so viel über die Hintergründe. Aus dem Gerücht, dass er sich selbst als "Arier" verstand, kann man vieles konstruieren. Der Haken ist nur, welche Bildungslücke die konservativen Medien wie die FAZ hier offenbaren. Denn Iran bedeutet "Land der Arier", man wähnt sich in fünftausendjährger Kontinuität, und Iraner, Pakistani und Inder bezeichnen sich häufig als Arier. Arier (Iran) und Arier (hist. Rassentheorie im deutschsprachigen Raum) haben miteinander nicht viel zu tun. Wie der Witz über den Amerikaner der Georgia und Georgien miteinander vermischt. Wo der Rechte den islamistischen Migranten wähnt, imaginiert der Linke seinen Rechtsextremisten. Dabei gibt es weder einen Beleg, dass er rechtsextrem noch islamistisch organisiert war. Das wahrscheinliche ist doch einfach, dass es eine arme kranke Sau war, die seine Gewaltfantasien auslebte, ein Nachahmungstäter gewiss, aber doch nur die Mischung von Krankheit und Gewalt. Die TAZ ist hier eine Stimme der Vernunft.

    • @Ansgar Reb:

      Zum einen sind ihre ausführungen etwas mangelhaft, Arier steht sowohl dort als hier für eine überlegene Rasse. Davon abgesehen ist der junge in Deutschland aufgewachsen. Ihr lexikalischer exkurs beruhigt mich deshalb nicht vollkommen, dass das ganze nichts mit Rassismus zu tun hat. Zum anderen find ich es beeindruckend wie weit sie ausholen um den möglichen rechten hintergrund zu relativieren.

      Ich will nicht sagen, dass der täter einfach ein rechtsextremist war und damit ist die sache gegessen. Es wäre sehr aufschlussreich mehr aus dem umfeld des jungen mannes zu erfahren und was ihn letztlich zu einer solchen tat trieb.

      Aber die Relativierungen die gerade geschehen haben für mich schon einen bitteren Beigeschmack. Was ist denn der hinweis, dass er islamist war.. doch nur, dass er (in zweiter generation) iranischer abstammung ist. Dagegen legen die aktuell bekannten hinweise doch recht klar nahe, dass es rassistische motive gab. Das ist nicht wie georgia oder georgien für mich...

      • @alterSchwede :

        Es wird doch derzeit bei jedem Menschen aus dem Nahen Osten, der eine Gewalttat verübt, angenommenen, dass dies religiöse Gründe habe. Meist zu Unrecht. So auch wohl hier. Man hat doch die Tat erst als islamistischen Terroranschlag in München vermutet.

         

        "Arier" im rassentheoretischen Konzept des 19. Jahrhunderts ist ein Konstrukt, eine Art Phantom, ein Blutsmythos eines Mischvolks in der Mitte Europas. Arier bei den Iranern ist mehr so etwas wie zu sagen, man sei Schwabe und wer kennt nicht einen linken Iraner, Inder, Pakistani, der seine Peers beim Bier schockierte, dass er mehr Arier als sie sei.