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Brüssel contra MitgliedstaatenEU will Ceta allein durchboxen

Kritiker wollen das EU-Kanada-Abkommen im Bundesrat stoppen. Doch ob der überhaupt gefragt wird, ist offen.

Möglicherweise sind die Proteste falsch adressiert Foto: dpa

Brüssel/Berlin taz | Die 14. und ursprünglich als letzte vorgesehene Verhandlungsrunde von USA und EU über das Handelsabkommen TTIP Mitte Juli in Brüssel wird wohl weitgehend ohne Protestbegleitung stattfinden. „Wir konzentrieren uns jetzt auf die Verhinderung von Ceta“, sagte Maritta Strasser, Freihandelsexpertin der Organisation Campact, der taz.

Dieses Abkommen zwischen der EU und Kanada gilt als Vorbild für TTIP und ist im Gegensatz zu diesem bereits fertig ausgehandelt. Die FreihandelskritikerInnen wollen nun verhindern, dass es ratifiziert wird. „Am 16. Juli wird in Bayern ein Volksbegehren gegen Ceta gestartet“, sagte Strasser. Ziel ist, Bayern zu einer Ablehnung von Ceta im Bundesrat zu bewegen. Außerdem werden am 17. September in sieben deutschen Großstädten Demonstrationen gegen Ceta stattfinden – unmittelbar bevor die SPD bei einem Konvent entscheidet, ob die Partei Ceta ablehnt oder nicht.

Möglicherweise sind diese Proteste aber falsch adressiert. Denn die EU-Kommission will das Abkommen offenbar als reines EU-Abkommen („EU-Only“) definieren. Dann müssten die nationalen Parlamente nicht zustimmen. Die Handelspolitik sei vergemeinschaftet und Ceta greife kaum in nationales Recht ein, heißt es in der Kommission. Allerdings werde das Europäische Parlament gefragt.

Die meisten Mitgliedstaaten gehen bisher hingegen davon aus, dass Ceta ein „gemischtes Abkommen“ wird, weil es neben der Handelspolitik, für die die EU allein zuständig ist, auch Themen enthält, die den Nationalstaaten unterstehen, etwa den Investitionsschutz. Eigentlich sollte die Entscheidung über das Verfahren in dieser Woche fallen. Am Montag teilte die Kommission mit, dass ein Vorschlag erst am 5. Juli vorgelegt werden soll.

Komplizierter Poker

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) will hart bleiben: „Ceta ist ein gemischtes Abkommen“, teilte er am Montag mit. Ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat könne es „kein Ja aus Deutschland geben“. Auch im „unwahrscheinlichen Fall“, dass die EU-Kommission das anders sehe, drohe keine Gefahr, sagte eine Ministeriumssprecherin: „Die EU-Kommission kann Ceta nicht als EU-Only-Abkommen gegen die Mehrheit der Mitgliedstaaten durchsetzen.“

Das stimmt – und es ist auch nur die halbe Wahrheit. Wenn die Kommission Ceta tatsächlich als reines EU-Abkommen einbringt, droht ein komplizierter Poker. Um die Vorlage zu ändern und Ceta als gemischtes Abkommen zu definieren, braucht es nämlich ein einstimmiges Votum der Mitgliedstaaten. Das dürfte schwierig werden: Italien hat nach Spiegel-Informationen bereits intern angekündigt, ein reines EU-Abkommen mitzutragen.

Umgekehrt kann Ceta nur verabschiedet werden, wenn es im Rat eine qualifizierte Mehrheit dafür gibt, das heißt 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Wenn es weder eine qualifizierte Mehrheit für Ceta als reines EU-Abkommen gäbe noch eine einstimmige Mehrheit für ein gemischtes Abkommen, könnte Ceta gar nicht verabschiedet werden – was die Kommission und die meisten nationalen Regierungen auch nicht wollen. Wer in diesem Machtkampf nachgibt, ist derzeit schwer abzusehen.

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16 Kommentare

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  • Mit Ceta werden die Verbraucher und die Mittelständler über den Tisch gezogen.

     

    Ceta nützt nur den Großkonzernen.

    • @Justin Teim:

      Nicht nur CETA, genauso TTIP, TESLA und was sonst noch so kommt. USA ist der Raubritterstaaternbund der NEUZEIT.

  • "Kritiker wollen das EU-Kanada-Abkommen im Bundesrat stoppen. Doch ob der überhaupt gefragt wird, ist offen."

     

    Niemand, der stoppen will, wird gefragt.

  • Meines Wissens ist gerade der Investitionsschutz laut dem Vertrag von Lissabon an die EU-Ebene delegiert worden.

    Und genau das ist auch das Problem bei den Klagen gegen CETA vor dem BVG. Es kann durchaus sein, dass sie von dort an das EuGH verwiesen werden, was viel Zeit kosten wird.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Solches Vorgehen der EU Kommission ist viel Wasser auf die Mühlen von Afd, Front National, FPÖ und UKIP. Juncker bestätigt mit solchen Tricks, dass es ihm keineswegs um demokratische Abläufe geht, sondern um Interessenpolitik der Konzerne. Vielleicht ist das eine Fortsetzung seiner luxemburgischen Steuerpolitik auf anderer Ebene??

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Deswegen kann man als Brite z.B. auch nur pro Brexit stimmen.

       

      Der Apparat ist dermaßen undemokratisch ausgelegt das nur eine Zerschlagung helfen kann. Was bleibt einem da übrig ausser Parteien zu wählen die selbiges zumindest versprechen.

      • 1G
        1714 (Profil gelöscht)
        @auswurftaste:

        Nein. Die Zerschlagung ist das falsche Rezept. Das ganze Projekt EU muß komplett renoviert werden. Die Grundlage muß das EU-Parlament werden, nicht die undemokratische Kommission. Das EU Parlament muß diese Kommission bestätigen und auch einzelne Kommissare entlassen können. Dann wird das was.

        • @1714 (Profil gelöscht):

          und über welchen Mechanismus soll dies gehen? Wer soll das Entscheiden? Die Kommission schlägt vor sich selbst zu entmachten?

           

          Jetzt mal realistisch. Platt machen und dann von vorne ist die einzige Option.

        • @1714 (Profil gelöscht):

          Wo ist da der Unterschied zu der Aussage von @Auswurftaste?

           

          Um ein neues Haus aufzubauen, müssen Sie eben das alte auf dem Grundstück erst abreißen. Europa kann nicht einfach woanders wieder aufgebaut werden.

  • Abgeordnete im Bundestag haben sowieso nur die Wahl das Abkommen anzunehmen.

     

    Aber natürlich ist es ein gemischtes Abkommen. Am besten die EU Kommission verabschiedet es und die Mitgliedstaaten klagen.

  • Das zeigt einmal mehr, wie abgehoben und undemokratisch das europäische - sogenannte - "Spitzenpersonal ist.

    Der Habitus gleicht immer mehr dem in Putin`s Reich. Ob man damit die Akzeptanz der EU-Bürger "gewinnen" kann? Mehr als fraglich!

    So betrachtet kann man verstehen, daß immer mehr EU-Bürger von DIESER EU die Nase gestrichen voll haben. Der Spaltpilz wuchert von OBEN nach unten.

  • Gibts da nicht die Überschrift, Junker will TTIP durchboxen oder ist es Schäuble? Zwei Alte Männer dies noch mal wissen wollen. CETA ist ja nur der Eistieg in TTIP. Merkel wollte das doch im Juni im Kasten haben! Jetzt wirds Juli? Aber vergessen ? Die ganze Sache ist doch in vorauseilendem, überseeischem Gehorsam schon lange unterschrieb und wir befinden uns schon in der Umsetzunggsphase. Noch nicht gemerkt??

  • Pünktlich zur EM wird die Politik gemacht die der Bürger nicht mag.

    Wer sich da nicht verraten und verkauft fühlt ist selber schuld. Aber den etablierten Grossparteien ist trotzdem vollkommen unverständlich wie die europafeindlichen Parteien derart zulegen.

    • @Chaosarah:

      Ich kann Ihren Eindruck absolut bestätigen.

       

      In den letzten Wochen habe ich drei Veranstaltungen verschiedener etablierter Parteien besucht. Und bin schlichtweg konsterniert, dass dort einhellig die Meinung vertreten wird, die Bevölkerung müsse eigentlich zu 99% begeistert sein angesichts der unvergleichlichen Erfolgsgeschichte der EU-Politik.

       

      Mit dieser totalen Unfähigkeit zur Selbstkritik bereitet man den idealen Boden für das weitere Erstarken der AfD.

    • @Chaosarah:

      Na ja, "Raumschiffe Paris, Rom, Berlin usw." und "Raumstation Brüssel" eben.

       

      Man müsste ihnen klar machen und bewusst machen - ohne dabei aggressiv, populistisch, antisemitisch zu sein bzw. zu werden -, dass sie trotz ihres anderen Lebensgefühls ("Raummässig" eben) noch immer am Boden, auf Mutter Erde, sind - "Houston, wir haben ein Problem", sozusagen.

       

      P.S.: Auch wenn nun der Eindruck entstanden sein sollte: Nein, ich find's überhaupt gar nicht witzig, was die vom Volk gewählten Abgeordneten da so treiben.

      • @Der Allgäuer:

        Eine wunderbare Assoziation, die sie hier herstellen.

         

        Vielleicht ergäbe sie aber auch Anlass für eine weitere Idee: Die Realisierung einer echten Raumstation Brüssel, umkreisend z. B. den Mars. Stationiert auf diesem Raumschiff wären dann alle EU-Parlamentarier, -Funktionsträger und -beamte, die endlich völlig losgelöst von irgendwelchen störenden Bürgern vor sich hin regieren könnten.

         

        Ach, wie schön könnte die Welt doch sein (inklusive des Weltalls)....und kostengünstiger wäre es für uns alle auch noch.