Essay Bundespräsidentenwahl: Rote Frau für roten Teppich
Eine linksliberale SPD-Kandidatin könnte in Bellevue ordentlich durchlüften. Doch die Partei scheut das Bündnis mit Linken und Grünen.
Die Wahl des Bundespräsidenten ist in der überraschungsarmen deutschen Politik etwas Besonderes. Die Mehrheitsverhältnisse sind oft nicht exakt vorhersehbar. Schon das macht die Bundesversammlung speziell.
Der Bundespräsident verfügt über kaum mehr als die Macht des Wortes. Das Amt ist ein fernes Echo des Monarchischen, es hat etwas Schwebendes. Geist, Rhetorik und Gefühl für passende Zeitpunkte sind wichtiger als Kenntnis der Parteilinie. Gerade weil das Amt nicht so recht zählt, können die Parteien freihändig agieren. Sie können eigentlich gefahrlos Tricks probieren, auf taktische Vorteile zielen, experimentieren. Sogar Merkel, die 2012 mit dem Versuch, Gauck zu verhindern, scheiterte, kam mit ein paar Schrammen davon. Wer hier stürzt, fällt weich.
Die Wahl von Bundespräsidenten hat schon Machtwechsel symbolisch angekündigt. Das war 2004 so, als Union und FDP mit Horst Köhler einen Neoliberalen ins Amt hievten und die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung den Kollaps von Rot-Grün ein Jahr später erahnen ließ. Doch das war die Ausnahme. Joachim Gauck bekam den Job 2012, weil es SPD-Chef Sigmar Gabriel gelang, Schwarz-Gelb zu spalten und Merkel damit genüsslich eine Niederlage zu bereiten.
Der Preis für diesen Erfolg war, dass Rot-Grün mit Gauck einen Mann wählte, der neoliberaler als die FDP und in der Gesellschaftspolitik konservativer als die Union war. Ein machtpolitisches Wetterleuchten war auch Gaucks Wahl nicht.
Frischluftzufuhr gegen Durchwursteln
Für die Wahl im Februar 2017 sollte die SPD versuchen, eine linksliberale Kandidatin durchzusetzen. Zum Beispiel eine intellektuelle Sozialdemokratin wie Jutta Allmendinger, die Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin, oder Gesine Schwan, die gescheite antikommunistische Linke. Eigentlich müsste es schon aus Gründen der Abwechslung reizvoll sein, mal eine SPD-Frau zu nominieren, die nicht nur pro forma antritt, sondern mit der Aussicht, zu gewinnen.
Die Sozialdemokraten klagen seit Jahren, dass Angela Merkel die Mitte besetzt hat. Klagen nutzt nie viel. Die Kandidatur einer eigenwilligen Sozialdemokratin wie Allmendinger oder Schwan wäre das Zeichen, dass es ein Jenseits der Merkel-Mitte gibt. Eine Bundespräsidentin, die in der Weihnachtsansprache über alleinerziehende Mütter spricht und über den Missstand, dass Frauen noch immer weniger als Männer verdienen, wäre etwas Neues.
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Es wäre eine Frischluftzufuhr für die oft von Alternativlosigkeit und pragmatischem Durchwursteln erstickte politische Kultur. Joachim Gauck pflegt in seinen Reden in einer rhetorischen Umarmungsgeste vom Wir zu sprechen. Doch es gibt einiges, was in diesem Wir fehlt, dass ausgeklammert bleibt, weil es auf dem politischen Radar des antitotalitären Konservativen nicht auftaucht. Auf die Marktwirtschaft schaut Gauck mit der staunenden, naiven Erwartungsfreude des Ex-DDR-Bürgers.
Thema: soziale Gerechtigkeit
Gerade deshalb ist es naheliegend, von der nächsten Bundespräsidentin zu erwarten, dass sie diese Leerstellen füllt und Merkels Es-geht-uns-allen-gut-Mantra mit ein paar wohlgesetzten Strichen korrigiert. In der Republik grassieren soziale Abstiegsängste, die eher zu- als abnehmen werden. Dass die reichsten zehn Prozent hierzulande zwei Drittel des Vermögens besitzen, die ärmere Hälfte dagegen so gut wie nichts, ist ja kein Naturereignis.
Es wäre nicht der Job einer linksliberalen Bundespräsidentin, zu fordern, wie hoch der Hartz-IV-Satz oder die Erbschaftsteuer sein sollen. Aber doch, genau zu beschreiben, dass es eine Gesellschaft zerreißt, wenn sich die Spaltung in Arm und Reich weiter vertieft. Und dass diese Gesellschaft innerlich verödet, wenn die Aufstiegschancen von Kindern weiterhin am Geldbeutel der Eltern hängen und Kinder von Nichtakademikern kaum Chancen haben, eine Universität jemals von innen zu sehen.
Günstig wäre es auch, eine Frau an der Staatsspitze zu wissen, die weniger fremd auf die EU schaut als Gauck, dessen Rede zu Europa nicht zufällig eine seiner blasseren war. Angesichts der Krise der EU braucht die Republik eine Frau, die sich im Institutionengeflecht auskennt, den Mangel an Demokratie in der EU hart kritisiert und für die Vision eines solidarischen Europa brennt. Eine Bundespräsidentin müsste die Skepsis zur Sprache bringen, die die deutsche Dominanz in Europa in Paris, Athen und Rom auslöst. In der bundesdeutschen Öffentlichkeit liegt da viel in einem toten Winkel.
Die Jobbeschreibung ist klar. Die nächste Bundespräsidentin soll postnational und radikal proeuropäisch sein. Sie soll ein Gespür für das Soziale haben, für den Alltag von Normalverdienern und Teilzeitjobbern. Sie soll nicht vermufft antikapitalistisch, sondern links und weltoffen sein und die Freiheit, die die individualisierte Gesellschaften bietet, schätzen. Und, vor allem, ein origineller Kopf sein, der sich nicht scheut, das eigene Lager zu irritieren.
Eine schöne Vorstellung. Allerdings gibt es ein Problem. Dafür muss sich die SPD im Februar 2017 mit Grünen, der Linkspartei und im Beiboot den Piraten verbünden. Diese Zweckgemeinschaft kann im ersten Wahlgang (nicht so wahrscheinlich) siegen oder im dritten (eher wahrscheinlich).
Doch die SPD traut sich nicht. Die Grünen, ganz rundgeschliffene neue Mitte-Partei, warten erst mal ab und schweigen. Die SPD-Spitze fürchtet, dass sie sich damit irgendwie auf die Machtoption Rot-Rot-Grün für die Bundestagswahl festlegen könnte. So wie 1969, als auf die Wahl des linksliberalen Gustav Heinemann die Kanzlerschaft von Willy Brandt folgte.
Diese Analogie ist naheliegend, aber falsch. Denn es gibt drei Gründe, die eine rot-rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2017 äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen: Die SPD. Die Grünen. Und die Linkspartei.
Die SPD müsste sich durchringen, Umverteilung nicht bloß in Sonntagsreden zu fordern, sondern auch zu wollen. Ihre Erklärungen zur Vermögensteuer schwanken derzeit zwischen „Ja, unbedingt“, „geht leider nicht“ und „bloß nicht“. Solange das so ist, regiert die SPD weiter besser an Merkels Seite.
No risk, no fun
Die Grünen wollen gerne Schwarz-Grün – sie müssen wohl erst noch erleben, was es heißt, mit der CSU zu regieren. Und wie peinlich es sein kann, von den Kirchen schon wieder gestiegene Waffenexporte unter die Nase gerieben zu bekommen.
Die Linkspartei hockt unbeweglich in der Populismusfalle. Sie lebt in der Illusion, eigentlich den Willen den Mehrheit zu vertreten – eine kühne Annahme für eine 8-Prozent-Partei. Und solange auf ihren Parteitage Attacken auf Rot-Grün donnernden Applaus bekommen, sind ihre Koalitionsofferten nur Agitprop.
Clever wäre es seitens der SPD, eine rot-rot-grüne Präsidentschaftskandidatin machtpolitisch als das zu verstehen, was sie ist: eine Lockerungsübung in einem verspannten Verhältnis, aber kein Warming-up für eine Mitte-links-Regierung. Denn dazu sind alle drei nicht in der Lage. Im Topf ist ein taktischer Erfolg für Rot-Grün. Und eine Präsidentin, die im Schloss Bellevue mal durchlüftet.
Natürlich kann dieser Versuch scheitern, an konservativen Grünen, rechten SPDlern, linken Fundis. Aber einen Versuch ist es wert. No risk, no fun.
Wahrscheinlich kommt es anders. Angela Merkel wird einen Kandidaten suchen, der für die CSU gerade noch erträglich und für SPD und Grüne akzeptabel ist. Wenn ihr das gelingt, wird im Februar 2017 eine ganz große Koalition von Horst Seehofer bis Toni Hofreiter den Bundespräsidenten wählen. Kein Streit, nirgends. Man wird gegenseitig die Gemeinsamkeit der Demokraten loben. Die AfD wird einen Kandidaten präsentieren und sich in ihrer Lieblingsrolle inszenieren: einsamer Streiter gegen die Übermacht.
Es wäre besser, wenn die Bundesversammlung eine echte Wahl hat.
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