: Kleine Kulturgeschichte der Tortung
Lecker Asozial nannte die Linkspartei die Aktion gegen Wagenknecht. Dabei dürfte ihr die Protestform nicht unbekannt sein. Schon die 68er „torteten“
Der Tortenwurf geriet zum größten Politikum auf dem Linken-Parteitag. Dabei dürfte die Protestform der bewegungsaffinen Partei nicht unbekannt sein. Schon die 68er „torteten“. Und erst im Frühjahr erwischte es die AfD-Bundesvize Beatrix von Storch (Sahnetorte, wegen Forderung nach Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge). In den Vorjahren traf es zudem Exverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Sahnetorte, wegen Plagiatsaffäre), den Grünen Jürgen Trittin (Joghurttorte, wegen zu lascher Anti-AKW-Politik) oder Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (Himbeer-Sahne, wegen Blockierung eines NSU-Ausschusses).
Vor allem nach der Attacke auf von Storch hatte die Torte einen Popularitätsgewinn in der linken Szene. In Berlin brachten Demonstranten auf eine Anti-AfD-Demo jüngst ein selbst gebautes Tortenkatapult – das umgehend von der Polizei beschlagnahmt wurde.
Die Linke reagiert mit Entrüstung. Von einer „asozialen“ Aktion sprach Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, Parteichefin Katja Kipping nannte sie einen „Angriff auf uns alle“. Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek sagte dagegen, der Aufschrei zeige, dass der Tortenwerfer „ins Schwarze getroffen“ habe. Die Linkstrotzkisten „Klasse gegen Klasse“ jubelten: „Endlich.“ Rühre Wagenknecht doch „kräftig die Trommeln für Abschiebungen“.
Der Tortenwerfer selbst kommt offenbar aus der anderen Ecke der Linken: der antideutschen. Ein 23-Jähriger, seit Jahren in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) in Anti-Nazi-Bündnissen aktiv. Akkreditiert hatte er sich für den Parteitag über das Berliner Zeitungsprojekt „Straßen aus Zucker“, das aus dem antideutschen Spektrum stammt. Die reagierten nur lakonisch: „Wir waren’s nicht.“ Man habe an dem Wochenende die nächste Ausgabe geplant oder am See gesessen. Allerdings: Die „Aufregung um eine leckere Schokotorte“ könne man „nicht ganz nachvollziehen“.
Gegen den Werfer ermittelt nun die Polizei von Amts wegen wegen versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung. Wagenknecht und die Parteispitze ließen offen, ob sie Anzeige erstatten werden. Es könnte teuer werden: Der Werfer der Torte auf Baden-Württembergs Exinnenminister Gall etwa musste 1.000 Euro Geldstrafe zahlen. Dazu kamen 1.300 Euro Schmerzensgeld für Galls Personenschützer, der sich beim Einschreiten verletzt hatte. Dennoch: Spätere Tortenwerfer hat auch das nicht abgehalten.
Konrad Litschko
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen