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Kommentar KlimaprotestBraunkohle-Fans drehen völlig durch

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die sächsische CDU beschimpft friedliche Klimaaktivisten als „Terroristen“. Wer braucht da noch Rechtspopulisten?

Jede Menge „Terroristen“ bei der „Randale“ auf den Gleisen vorm Vattenfall-Kraftwerk Schwarze Pumpe Foto: dpa

N ein, es war kein Witz, keine rhetorische Überspitzung. Mehrere Landtagsabgeordnete der sächsischen CDU haben am vergangenen Donnerstag die Braunkohlegegner, die am Pfingstwochenende einen Tagebau und ein Kraftwerk von Vattenfall blockiert haben, als „Terroristen“ bezeichnet. Nachdem Union und SPD die Blockadeaktion schon zuvor in völliger Verkennung der Fakten als „Gewaltorgie“ und die Teilnehmer als „Klimarandalierer“ bezeichnet hatten, erreicht die Realitätsverweigerung eine weitere Dimension.

Zur Erinnerung: Mit mehr als 3.000 TeilnehmerInnen hatte die Lausitz zu Pfingsten eine der größten Aktionen zivilen Ungehorsams seit Langem erlebt. Der Aktionskonsens des Bündenisses „Ende Gelände!“, der alle Beteiligten zu Gewaltlosigkeit verpflichtete, wurde dabei angesichts des breiten und sehr internationalen Teilnehmerspektrums erstaunlich gut eingehalten. Angriffe auf Personen gab es überhaupt nicht – was durch das sehr zurückhaltende Einsatzkonzept der Polizei begünstigt wurde. Als zentraler Beleg für die „Gewaltorgie“ dient ein einziger beschädigter Zaun.

Dass Union und SPD in Sachsen die Realität vollständig ignorieren, ist leider nicht auf die Einschätzung der Proteste beschränkt. Es trifft auch auf den Anlass zu: Obwohl völlig klar ist, dass Deutschland aus der Braunkohle deutlich früher aussteigen muss als derzeit geplant, vermitteln die Parteien den Menschen in Ostdeutschland den Eindruck, dass noch mehrere Generationen vom Abbau des Klimakillers leben könnten. Der notwendige Strukturwandel wird damit verhindert.

Nichts zeigt jedoch die Verlogenheit derjenigen, die eine „Gewaltorgie“ in der Lausitz beklagen, besser als die Tatsache, dass sie jene Gewalt gegen Menschen ignorieren, die es am Pfingstwochenende tatsächlich gab. Die richtete sich gegen die Klimaaktivisten, und zwar nicht nur seitens Rechtsextremen, sondern auch seitens Teilnehmern einer eher bürgerlichen Pro-Braunkohle-Demonstration. Kein Wort dazu von Union und SPD.

Wenn man sich dieses faktenfreie Hetzen gegen angebliche Gewalt von Linken bei gleichzeitigem Ignorieren der tatsächlichen Gewalt gegen Linke anschaut, fragt man sich: Wozu braucht Sachsen eigentlich noch die rechtspopulistische AfD?

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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11 Kommentare

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  • Na ja, Besorgte Bürger gegen Braunkohle...

     

    Man stelle sich nur vor, dass Besorgte Bauern tagelang die Zufahrt zu Bio-Höfen im Umkreis Berlins blockierten.

     

    Oder, "Angriffe auf Personen gab es überhaupt nicht", in einem Akt "zivilen Ungehorsams", drei Felder mit Biorettichen mit Glyphosat besprühen....

     

    Andere Leute, die einem legalen Gewerbe nachgehen, daran zu hindern, ist nicht wirklich gewaltfrei. Die Lausitzer sind sicher nicht froh, wenn von weit angereiste Demotouristen auch noch den letzten grossen Arbeitgeber in ihrer Region lahmlegen wollen.

    • @TurboPorter:

      das aktionsbuendnis kuemmert sich sehr wohl um die menschen aus der lausitz, viele kommen selbst von dort. es geht auch nicht um hier und heute, es geht um die zukunft. so hat es zum beispiel keinen sinn, dass ein tagebau auch noch azubis einstellt, wie es hier geschieht, da der bergbau wirklich keine zukunftsvision mehr hat. es geht darum, perspektiven fuer die region zu entwickeln, wovor sich vattenfall sich einfach verschliesst. das nennt man auch realitaetsverweigerung.

       

      und dann sprechen sie im uebrigen auch mal mit den menschen der pazifikinseln, die bereits dabei sind, ihre angestammt heimat zu verlassen. das ist keine schmonzette, das ist beinharte realitaet.

      • @the real günni:

        Vattenfall ist in der Tat old Europe: einigermassen ordentlich bezahlte Arbeitsplätze, gewerkschaftliche Mitbestimmung, Betriebsräte, übertarifliche Sozialleistungen, betriebliche Altersvorsorge, Bezahlung nach Tarifvertrag. All das also, was die neuen Arbeitgeber a la Prokon nicht bieten.

         

        Man kann also verstehen, dass da, wo ein Haufen Demotouristen die eigene wirtschaftliche Existenz bedroht, zu Widerstand, auch körperlichem, gegen solche Leute gegriffen wird. Fast möchte man, in den Worten von Ende Gelände, sagen: Nicht legal aber legitim.

        • @TurboPorter:

          ja jetzt weiss ich echt nicht, was sie wollen. dass vattenfall sich aus der lausitz zurueckzieht und alles an den naechstbesten heuschreckenkonzern verscherbeln will, das haben sie nun auch schon mitbekommen?

          aber darueber hinaus kann ich mit der kleingeistigen mentalitaet auch ganz wenig anfangen. das aktionsbuendnis richtet sich gegen ein fehlgeleitete energiepolitik, auch im blick auf en klimawandel. und den naturschutz.

          sie denken hier nur an einzelschicksale der vattenfallangestellten und verknuepfen das mit dem arbeitsplatz. ihr kampfplatz waere dann aber eher arbeitspolitik. ich dene unter den demonstrierenden wuerden sie sicher eine menge leute finden, die sie in dieser hinsicht absolut unterstuetzen werden.

        • @TurboPorter:

          Die wirtschaftliche Existenz der Arbeiter bei Vattenfall wird nicht durch Demonstranten gefährdet, sondern durch eine rückwärtsgewandte Geschäftspolitik von Vattenfall. Und das wird durch SPD +CDU goutiert, wenn nicht sogar gefördert.

          • @Senza Parole:

            Ach immer diese Phrasendrescherei... Seit sich die kleinbürgerlichen Neo-Spiesser der Linken angeschlossen haben und insbesondere der Öko-Bewegung, geht es bergab. Früher einmal gehört es zum linken Selbstverständnis, dass man *mit den Leuten redete und nicht nur *über sie.

             

            Heute hingegen kommt ein Heuschreckenschwarm von 3000 Leuten aus Berlin und Freiburg im Breisgau, überrennt das Land und die Leute und spiegelt dabei nur seine eigene Eitelkeit.

             

            Früher empowerment, heute overpowering. Nee, danke.

  • Das läuft genauso wie im Ruhrgebiet mit Steinkohle und Stahl - Lobbyismus statt vorwärts denken...

  • "...nicht nur seitens Rechtsextremen, sondern auch seitens Teilnehmern einer eher bürgerlichen Pro-Braunkohle-Demonstration." Beide zusammen: BraunKohle.