piwik no script img

Syrischer Aktivist über Bombardierungen„Grünes Licht für Assads Massaker“

Die Angriffe in Aleppo stehen in direktem Zusammenhang mit dem Abbruch der Genfer Gespräche, sagt Muhannad Qaiconie.

Totale Zerstörung in Aleppo Foto: dpa
Ines Kappert
Interview von Ines Kappert

taz: Herr Qaiconie, Sie leben jetzt seit einem Jahr in Deutschland, Ihre Heimatstadt ist Aleppo. Was passiert dort gerade?

Muhannad Qaiconie: Aleppo wird seit sieben Tag wieder bombardiert, aber heute [Donnerstag] ist der schlimmste.

Warum der schlimmste?

Meine Familie sagt, dass heute jedes Viertel bombardiert wird, und mit jedem Viertel meine ich, jedes, das unter der Kontrolle der Rebellen ist.

Wie reagiert Ihre Familie?

Was sollen sie machen? Meine Familie sitzt in ihrer Wohnung und hofft zu überleben. Es gibt keinen anderen Ort für sie. Sie können nirgendwo hingehen.

Wie erklären Sie sich das massive Bombardement, warum jetzt?

privat
Im Interview: Muhannad Qaiconie

30, Anglist und Aktivist aus Aleppo. Er kam über die Balkanroute 2015 nach Deutschland. Seine Mutter und seine Schwester leben an der Frontlinie zwischen Rebellen und Assad-Regime.

Ein Grund dürfte sein, dass die Opposition die Gespräche in Genf vor einer Woche abgebrochen hat, wegen der Bombardierung. Und sie nun an den Verhandlungstisch zurückgebombt werden soll. Wichtiger ist aber die Lageeinschätzung von US-Außenminister Kerry, die am 23.5. in der New York Times veröffentlicht wurde. Er vermutete, dass die Russen sich nun auf Aleppo konzentrierten, weil „Mitglieder der Nusra Front, sich unter die Rebellen gemischt haben und die Waffenpause nicht einhalten.“ „Es ist schwieriger Terroristen von den Rebellen zu unterscheiden als wir dachten“, sagt er.

Sie teilen John Kerrys Einschätzung nicht?

Nein. Es geht nicht um Al-Nusra oder andere fundamentalistische Gruppen und ihre kleinen Siege da und dort in Aleppo und in der Region. Wenn Kerry sagt, dass es schwieriger als gedacht sei, zwischen Terroristen und Assad-Gegnern zu unterscheiden, gibt er dem Assad-Regime grünes Licht für seine Massaker. Genau das findet jetzt in Aleppo statt. Nach jedem Treffen in Genf oder in Kairo oder anderswo, bombardieren das Regime und/oder die Russen massiv. In den letzten Tagen traf es Dörfer rund um Aleppo, vor allem dort, wo die White Helmets eines ihrer Zentren haben. Das Dorf heißt al Atareb, und die White Helmets sind eine zivile Einsatztruppe, die Menschen nach Bombardements buchstäblich per Hand aus den Trümmern zieht. Außerdem wurde das Krankenhaus Al Quds bombardiert. Und nun geht es gegen die Assad-Gegner im Zentrum Aleppos.

Auch der letzte verbliebene Kinderarzt wurde offenbar getötet.

Ja, sein Name ist Mohamad Wassim Maaz. Nach jedem Treffen und vor jedem Treffen in Genf oder anderswo beten die Leute in Syrien: „Lieber Gott, bitte hilf uns. Lass uns das überleben.“

Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter gesprochen?

Heute. Sie hat mir eine Sprachnachricht über What's App geschickt. „Es ist schrecklich. Sie bomben überall. Es ist furchtbar. Wenn du die Kinder hier siehst, zerreißt es dir das Herz.“ Dann hat sie mir das beste für meine Zukunft gewünscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Die unrealistischen Bedingungen von der syrischen Opposition sind eingefluestert von EU/USA/Nato die sich erhoffen noch einen Teil ihrer Ursprungsplaene,die Vernichtung des Syrienstaates unter Assad,zu realisieren.Die Zahl der Opfer,die Tote,Verwundete,Invaliden fuers Leben,ein verwuestetes Land sind unwichtig.Dabei kommt man zur Schuldfrage von Personen als Obama,Merkel,Cameron,Hollande.

    Ein Internationaler Hof kommt nicht in Anspruch fuer diese Staatsoberhaeupte weil der Hof gerade von diesen Laendern bezahlt wird,ein noch nicht reorganisierter VN unter BanKiMoon ist auch nicht neutral genug,als bleibt vorlaeufig fuer diese Laender straffreiheit.Das NobelKomitee koennte wenigstens den NobelFriedensPreis von den Hauptagressoren Obama+EU zurueckfordern

  • " Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Mutter gesprochen?"

    "Heute. Sie hat mir eine Sprachnachricht über What's App geschickt."

     

    Wie schaffen die das trotz all der Bomben das Mobilfunk-Netz noch funktioniert? Schließlich dürfte dieses Netz doch auch ein Ziel der Armee sein . Die Stromversorgung ebenfalls, ohne das ein Mobilfunkmast nicht funktioniert.

    • @Hermann:

      Das ist eines der vielen Geheimnisse dieses Krieges.

  • „Aleppo wird seit sieben Tag wieder bombardiert…“

     

    „Ein Grund dürfte sein, dass die Opposition die Gespräche in Genf vor einer Woche abgebrochen hat, wegen der Bombardierung.“

     

    Das ist spannend.

  • Die Realität sieht wohl eher so aus, wie es die als Assad-Unterstützer garantiert unverdächtige Jerusalem Post beschreibt: http://www.jpost.com/Breaking-News/At-least-202-civilians-killed-in-past-7-days-of-Aleppo-violence-452650

    Unnötige zivile Opfer auf beiden Seiten.

    De Mistura könnte sich endlich einmal nützlich machen und entweder den Abzug der türkischen und saudischen Söldner aus der Stadt oder die Evakuierung der Zivilisten verhandeln.

    • @jhwh:

      Und in wie fern unterscheidet sich nun der von Ihnen verlinkte Bericht mit Zahlen der Todesopfer von diesem Artikel hier, der einfach etwas mehr ins Detail geht und auch Hintergründe erläutert?