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Christian Meyer über Milchpolitik„Der Bund setzt auf Höfesterben“

Wenn der Bund die Milchmenge weiterhin nicht steuert, machen norddeutsche Bauern Milliardenverluste, warnt Niedersachsens Agrarminister Meyer.

Zu viele Kühe: Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer will die Milchmenge reduzieren. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Meyer, kann denn nichts die Milchkrise stoppen?

Christian Meyer: Darauf gibt es in der Marktwirtschaft eine klare Antwort: Wir haben eine Überkapazität. Also muss die Menge runter. Wenn das nicht freiwillig passiert, plädieren die Agrarminister der Länder für eine befristete Notreduzierung.

Ohne staatliche Zuschüsse für die Milchbauern?

Staatliche Zuschüsse müssen dazu führen, die Menge zu reduzieren und nicht die Krise durch Überkapazitäten für alle zu verschärfen. Die Agrarministerkonferenz hat deshalb gefordert, die künftigen Hilfsprogramme an eine Mengenreduktion zu koppeln.

Wie soll das gehen?

Die eine Möglichkeit ist, dass Landwirte, wenn sie eine Liquiditätshilfe bekommen, im Gegenzug mit der Milchmenge runter gehen müssen. Die andere wäre, dass Molkereien Milchlieferanten mehr zahlen, wenn sie ihre Menge gedrosselt haben, wie es das Unternehmen Friesland Campina Anfang des Jahres erfolgreich gemacht hat. Für solch eine Maßnahme sollte es eine staatliche Beihilfe geben.

Aber war die Melkmenge vor dem Ende der Milchquote nicht sogar politisch stimuliert worden?

Es gab viele Versprechungen, unter anderem vom Bundeslandwirtschaftsminister, dass mit dem Wegfall der Quote die Milchpreise enorm steigen würden. CDU und CSU haben die Milchbauern ermutigt, zu wachsen und ihnen rosige Aussichten versprochen.

Für mich kann ich das ausschließen. Ich habe mich dafür verhauen lassen, dass ich die riesigen Stallbau-Subventionen für Kuhställe abgeschafft habe, die zu einem rasanten Herdenwachstum geführt und die Krise verschärft hätten. Aber es gab viele Versprechungen, unter anderem vom Bundeslandwirtschaftsminister, dass mit dem Wegfall der Quote die Milchpreise enorm steigen würden. CDU und CSU haben die Milchbauern ermutigt, zu wachsen und ihnen rosige Aussichten versprochen. Christian Schmidt (CSU) hält daran auch fest: Gerade erst hat er im Bundestag eine EU-Studie zitiert, es würde sich 2025 ein Milchpreis von 37 Cent einstellen. Das ist eine Verhöhnung der notleidenden Milchbauern.

Inwiefern?

Molkereien in Niedersachsen kündigen bei weiter steigenden Mengen gerade eine Senkung der Milchpreise auf unter 19 Cent an. Alle Betriebe im konventionellen Bereich, egal ob groß oder klein, machen derzeit mit jeder Kuh, die sie melken, jährlich mehrere Tausend Euro Verlust. Das ist in einem Agrarland kein Zustand. Der Milchpreis muss wieder auf ein vernünftiges und faires Niveau steigen. Und das geht nur durch einen politischen Markteingriff. Alle anderen Konzepte, Exportsubventionen und das Ziel des Wachsens oder Weichens sind aus unserer Sicht gescheitert.

Im Interview: Christian Meyer

40, ist seit 2008 für die Grünen Mitglied des Landtags und als niedersächsischer Landwirtschaftsminister seit 2013 für rund 10.000 Milchviehbetriebe mit 865.000 Kühen zuständig.

Der Bundesagrarminister will aber nicht eingreifen.

In Niedersachsen ist der Preissturz so enorm, dass wir von bis zu einer Milliarde Euro Einnahmeverlust der Milchbauern in diesem Jahr ausgehen müssen. Die Verantwortung sollten diejenigen übernehmen, die die Milchquote abgeschafft haben und auf den Weltmarkt setzen. Wenn man, wie es der Bundes­agrarminister vorhat, nur zuschaut, dann ist man für ein gigantisches Höfesterben verantwortlich – und für den Verlust bäuerlicher Milchviehhaltung.

Ist Schmidt falsch beraten?

Nein, das ist Konzept. Der Bund lehnt Markteingriffe ab, weil diese den Strukturwandel verlangsamen und die Verbraucherpreise erhöhen würden. Dabei würden viele Verbraucher mehr zahlen, wenn sie wüssten, dass die Kuh auf der Weide steht. Das zeigt aus meiner Sicht: Der Bund setzt auf das Höfesterben.

Die EU kauft doch schon Milchpulver.

Ja, aber damit schafft man Fehlanreize: Die Menge, die jetzt rausgekauft wird aus dem Markt, wird ja in dem Moment, wo der Preis sich erholt, wieder auf den Markt gebracht – und erneut die Einkommen der Landwirte dämpfen. Oder die Überschüsse würden zulasten der Entwicklungsländer auf den Weltmärkten verramscht. Auch das kann niemand wollen.

Der Weltmarkt wird oft als Ursache des Niedrigpreises angeführt: Muss man die Exportlust der Molkereien bremsen?

Nach wie vor werden 90 Prozent unserer Milchmengen auf dem EU-Binnenmarkt abgesetzt – nur ein kleiner Teil wird aus der EU überhaupt ausgeführt. Wahr ist, dass diese kleine Menge, die man für derzeit 18 Cent pro Kilo absetzt, hier weiter auf den Preis drückt: Wer wieder Milchpreise von 40 Cent will, muss endlich wirksame Instrumente zur Mengensenkung einsetzen.

Daran führt kein Weg vorbei?

Billig und Masse produzieren für den Weltmarkt bedeutet, dass man mit anderen, die günstiger produzieren können, konkurriert. Oder: Wir entscheiden uns für hochwertige Qualitätsprodukte, die hohe Standards für die Verbraucher und im Tierschutz garantieren und angemessene Preise für die Erzeuger erzielen. Ich freue mich, dass sich niedersächsischen Molkereien zunehmend für Weidemilch oder Ökoprodukte entscheiden.

Die Möglichkeiten als Landesregierung gegenzusteuern sind begrenzt…

Was wir auf Landesebene machen können, machen wir. Aber wir setzen uns auch entschieden für europäische Lösungen ein. Denn ein europäischer Binnenmarkt braucht europäische Lösungen. Wir hier in Niedersachsen sind sehr dafür, die französischen Vorschläge zur Mengenreduktion aufzunehmen. Die Agrarminister der Länder machen parteiübergreifend mit. Blockierer ist die deutsche Bundesregierung und allen voran der Höfesterben-Minister Christian Schmidt.

Gerade die Betriebe in Umstellung auf Bio haben aber jetzt höhere Kosten. Sollen die das schultern, bis Einigkeit auf EU-Ebene herrscht?

Dafür haben wir die Prämie für die zweijährige Umstellungsphase deutlich erhöht und planen eine weitere Erhöhung. Damit wären wir in Deutschland Spitzenreiter bei den Bioprämien. Die Preise für Biomilch sind auch nicht gesunken, sondern auf über 50 Cent gestiegen. Hier haben wir auch kein Überangebot, denn nur 70 Prozent der Biomilch stammen aus heimischer Produktion. Da ist Luft nach oben. Daher freut es mich, dass endlich mit der Molkerei Ammerland eine große Molkerei eine Bioschiene aufbaut. Das fehlt uns in Niedersachsen bislang.

Das Bundeskartellamt hält die besondere Verfasstheit des Milchmarktes für eine mögliche Mitursache der Krise.

Ich begrüße, dass die Geschäftsbeziehungen im Molkerei-Sektor überprüft werden. Denn wir sehen in der Tat ein großes Ungleichgewicht am Markt zulasten der Bauern. Die liefern die Milch an ein Unternehmen unter den Bedingungen einer Verpflichtung zur Andienung. Das heißt, sie müssen sie dorthin liefern. Sie sind an die Molkerei durch langfristige Verträge gebunden. Ich halte diese Andienungspflicht für ein Relikt aus den 1950er-Jahren, als Milch Mangelware war und es darum ging, dass auch ja nichts verschwendet wird. Wir müssen insgesamt die Marktstellung der Bauern gegenüber dem Handel und den Molkereien verbessern.

Die größte und mächtigste Molkerei sitzt in Niedersachsen.

Die Vorgängerregierung hat immer große Molkereifusionen befürwortet, wie die von Nordmilch und Humana zum Deutschen Milch Kontor, das stimmt. Heute müssen wir feststellen, dass die größten Molkereien oft die mit den schlechtesten Auszahlungspreisen europaweit sind. Alle Molkereien zu einem Großkonzern zu fusionieren, wird den Milchbauern nichts nützen. Das Einzige was hilft, ist eine Anpassung des Angebots an die Nachfrage.

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4 Kommentare

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  • Keine Steuergelder für Tierquäler! Andere Branchen bekommen auch keine Gelder wenn auf das falsche Pferd (bzw. Kuh) gesetzt wird.

  • Jeder Milchbauer hatte die Möglichkeit, sich all dem verursachenden Unsinn wie Verschuldung und Unterwerfung unter selbst herbeigeführte Strukturen zu verweigern. Damit wird das Gejammere der Milchbauern zum Teil wieder unverständlich.

    Und soweit es den Bund und die EU betrifft, sehe ich nicht, daß man speziell auf Höfesterben setzt. Denn was nicht aus dem eigenen Land kommt, das kommt dann eben woanders her. Vielmehr sehe ich, daß Bund und EU auf Totalabhängigkeit und langfristig auf Totalerpreßbarkeit durch andere Staaten setzen. Dummheit sehe ich nicht als Motiv, dann schon eher die Idee, daß man gut bezahlte Belohnungsposten auch in anderen Ländern bekommen kann. Einige Politiker haben es bereits vorgemacht.

  • Früher hatten die Bauern nur fünf Gegner: Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter und Brüssel. Jetzt ist der Bundesagrarminister hinzugekommen. Von Feinden umgeben...

  • Sich als Bauernretter hin zu stellen und den Bundeslandwirtschaftsminister als schuldigen für eine uralte Marktregel ( Angebot und Nachfrage) verantwortlich zu machen, ist die übliche Ökoprimitivität der Grünröcke. Eine Branche, wie die Landwirtschaft, die es ablehnt, mit Werbung ihre Produkte hervor zu heben, hat auf den Märkten keine Chance. Die Landwirte, die größtenteils Miteigentümer der Molkereien sind (Genossenschaften) überlassen den Discountern das Spielfeld der Preisgestaltung. Dem gemeinen Verbraucher, der durch hohe Ökoabgaben (EGG ec.) gepeinigt wird, freut es. Der Biomilchmarkt ist doch ein unbedeutendes zartes Blümchen, das die Ökoverbände schützen. Es werden kaum noch Milchviehbetriebe aufgenommen, um nicht auch noch den Ökomilchmarkt zu vernichten. Wo sollen da die Milchmengen als Biomilch verramscht werden? Herr Meyer sonnt sich auch nur mit Sprüchen, auf die systembedingte Wachstumspflicht der wirtschaftenden Betriebe hat er auch keine Antwort. Der Bioproduktabsatz führt seit vierzig Jahren ein Schattendasein, trotz finanzieller Überförderung. Mittlerweile werden billige Bioprodukte aus dem Ausland für unsere Verbrauchermärkte produziert und den zum Teil absurden Anforderungen und Produktionsbedingungen Grüner Agrarpolitiker, wie Herr Meyer sie vorschlägt, umgangen. Unsere heimischen Biobauern schauen da mal wieder in die Röhre. Letztendlich mussten sich andere Berufsgruppen auch den Märkten stellen, mit allen bitteren Konsequenzen. Der Verbraucher entscheidet täglich mit seinem Kauf, er wird sich nicht der Ökodiktatur einer politischen Randerscheinung unterwerfen.