piwik no script img

Freihandelsabkommen mit KanadaCeta durchdringt alles

Der Handelspakt verschont keinen Lebensbereich. Die Linkspartei kritisiert drohende Privatisierungen bei der Daseinsvorsorge.

Protest gegen TTIP und Ceta Mitte April in Hannover Foto: dpa

Berlin taz | Immer wieder versucht Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), KritikerInnen der transatlantischen Handelsabkommen TTIP und Ceta den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Doch immer wider tauchen Zweifel an seinen Aussagen auf. Von einem Privatisierungsdruck auf öffentliche Einrichtungen durch den europäisch-kanadischen Wirtschaftspakt Ceta könne keine Rede sein, sagte er etwa beim Besuch der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland in Berlin. Aber so einfach ist das nicht, wie die Antwort seines Ministeriums auf eine kleine Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Klaus Ernst zeigt. Danach gibt es keinen einzigen Bereich, der völlig aus dem Privatisierungsgebot des Abkommens ausgeschlossen ist.

Ceta gilt als Blaupause für das Freihandelsabkommen TTIP, über das in dieser Woche Delegationen aus der EU und den USA in New York verhandeln. Die Abkommen sollen die Regeln in den Wirtschaftsräumen vereinheitlichen. KritikerInnen fürchten, dass damit die Macht multinationaler Konzerne steigt und ein enormer Privatisierungsdruck auch auf Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge entsteht, etwa bei Wasserwerken oder Kliniken.

Tatsächlich: Ceta sieht eine weitgehende Liberalisierung der Wirtschaft vor. Für welche Bereiche genau, ist unklar. Das Abkommen erstreckt sich auf alle Sektoren – bis auf jene, die ausdrücklich ausgenommen werden, indem sie auf einer sogenannten Negativliste im Anhang des Vertrags erscheinen.

Diese Negativliste ist eine Schimäre

Klaus Ernst, Linkspartei

Das war jedenfalls die bisherige Lesart. Jetzt stellt das Bundeswirtschaftsministerium in der Antwort auf die kleine Anfrage klar, dass davon keine Rede sein kann. „Es ist zur Wahrung notwendiger Politikspielräume nicht erforderlich“, die im Anhang genannten „Bereiche vollständig aus dem Geltungsbereich des Abkommens auszunehmen“, heißt es. Das gilt etwa für die Felder Gesundheit und Bildung.

Positiv- oder Negativliste?

Freihandelsabkommen können dem Negativ- oder Positivlistenansatz folgen. Beim Positivlistenansatz gelten die Regeln der Abkommen nur für die Bereiche, die ausdrücklich in den Verträgen genannt werden, zum Beispiel Landwirtschaft oder Automobilindustrie. Mögliche Schadensersatzforderungen von Konzernen gegen Staaten, wie sie TTIP und Ceta vorsehen, sind nur möglich, wenn die jeweiligen Wirtschaftszweige explizit genannt sind. Diesen Ansatz verfolgt die EU bei TTIP – ob sie ihn durchsetzen kann, ist ungewiss.

Bei Ceta gilt der Negativlistenansatz. Das bedeutet: Sämtliche Regeln des Abkommens – vom Investorenschutz bis zum Privatisierungsgebot – gelten für alle Wirtschaftsfelder, die nicht ausdrücklich ausgenommen werden.

Ratifizierung steht an

Und selbst die sind nicht komplett geschützt, kritisiert der Linksparteiabgeordnete Ernst. „Diese Negativliste ist eine Schimäre, denn damit wird kein einziger Bereich vollständig aus Ceta ausgenommen“, sagte er. Für diese Bereiche besteht nach seiner Ansicht eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Konzerne aus Kanada könnten etwa gegen Kommunen klagen, die Kliniken betreiben. „Das Abenteuer mit der Negativliste können wir uns nicht leisten“, sagte Ernst. „Wem unsere sozialstaatlichen Errungenschaften etwas wert sind, der muss Ceta ablehnen.“

Das europäische Parlament soll den Pakt bis Anfang 2017 ratifizieren. Noch ist unklar, ob auch die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Linkspartei und Grüne lehnen Ceta ab. Die Union ist dafür. Innerhalb der SPD ist es umstritten. Bei einem Konvent im September werden die Sozialdemokraten über ihre Haltung abstimmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich glaube, daß Gabriel das Schlimmste war, was dieser SPD passieren konnte. Allein, daß er nicht die verbindliche Zustimmung des Parlaments für CETA und TTIP einfordert (eine Bedingung, die inkraft tritt, wenn in beiden Abkommen nahezu ausschließlich nationale Belange tangiert sind. Und was ja so ist), zeigt, daß er eigentlich zur CDU gehört und 'seiner' Partei durch einen Rücktritt eine Entwicklungsmöglichkeit geben sollte.

    Letztes I-Tüpfelchen ist ja noch die Subvention der Autoindustrie und der Reichen durch Kaufprämien für E-Autos, die (z.B.) von der Erzieherin mit 2000 € netto bezahlt wird. (Siehe Pressekonferenz).

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Das Schlimmste war Schröder - aber ja, Gabriel arbeitet intensiv daran, den zweiten Platz zu belegen.

      • @BigRed:

        Ich würde die beiden gleichberechtigt nebeneinander stellen, Gabriel sogar noch ein bißchen höher, weil er ein übler Täuscher und Trickser ist.

  • "Innerhalb der SPD ist es umstritten." Na ja. Gabriel folgt seiner Agenda und die SPD zieht den Schwanz ein. Wie man sich von einer so schwächlichen Figur wie Gabriel so ins Bockshorn jagen lassen kann, ist mir ein Rätsel.