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Bundesregierung berät über Pointe

Diplomatie Die türkische Regierung verlangt, dass die deutsche Justiz strafrechtlich gegen ZDF-Moderator Jan Böhmermann vorgeht. Die Bundesregierung muss jetzt entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft ermitteln darf

Marl, Nordrhein-Westfalen: Böhmermann-Demonstration anlässlich der Verleihung des Grimme-Preises am Freitag Foto: Henning Kaiser/dpa

Aus Berlin Tobias Schulze

Am Mittag meldete sich auch noch Bernd Lucke. Der Professor aus Hamburg, der einst die AfD gründete und heute für eine Splitterpartei im Europaparlament sitzt, wollte auch noch etwas zur Strafsache Böhmermann sagen. Also ließ er seine Sprecherin eine Pressemitteilung abschicken: Fernseh-Showmaster dürften türkische Präsidenten jederzeit kritisieren, steht darin. „Aussagen über den Geruch von Erdoğans Geschlechtsteilen“ hätten mit Kritik aber nichts mehr zu tun.

Irre. Eine Woche und vier Tage ist es jetzt her, dass Jan Böhmermann die Bühne seines TV-Studios in Köln-Ehrenfeld verlassen hat. Unter normalen Umständen wäre seine Sendung vom 31. März längst in der ZDF-Mediathek verschwunden – hätte er nicht einen derben Witz gerissen, der sich nach Sendeschluss selbstständig machte und seitdem Dutzende Institutionen auf zwei Kontinenten beschäftigt, darunter die Staatsanwaltschaft Mainz, die Regierung in Ankara, die Regierung in Berlin, die Redaktion von Anne Will und das Büro eines gescheiterten Rechtspopulisten in Brüssel.

Und damit ist der Witz noch lange nicht zu Ende.

„Ich wollte Sie darüber informieren, dass die Botschaft der Türkei im Zusammenhang mit der ZDF-Sendung ‚Neo-Magazin-Royal‘ eine Verbalnote an das Auswärtige Amt gerichtet hat“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert auf der Bundespressekonferenz. „Das ist ein förmliches Verlangen der türkischen Regierung nach Strafverfolgung. Das weitere Vorgehen der Bundesregierung wird jetzt sorgfältig geprüft. Das wird ein paar Tage dauern.“

Die Angelegenheit ist ja auch kompliziert: Böhmermann hatte seinen Zuschauern im ZDF erklärt, dass Schmähkritik im Gegensatz zu Satire nach deutschem Recht verboten sei. Als Beispiel für eine solche Schmähkritik las er eine Reihe von Beleidigungen gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor. In der mittlerweile durch das ZDF gelöschten Passage heißt es unter anderem, dass Erdoğan „am liebsten Ziegen fickt“ und dass dessen „Gelöt schlimm nach Döner riecht“.

Der türkische Präsident will sich das nicht gefallen lassen und fordert deswegen Ermittlungen gegen Böhmermann – und zwar nicht wegen normaler Beleidigung, sondern wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Dafür sieht das Strafgesetzbuch einerseits höhere Strafen vor und andererseits eine besondere Bedingung: Die Bundesregierung muss zustimmen, bevor die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen weiterführt.

Ob sie das macht, muss die Regierung nun entscheiden. Am Montag trafen sich Vertreter des Kanzleramts, des Justiz- und des Außenministeriums zu einer ersten Beratung. Ein Votum fällten sie zunächst nicht. Nur eines teilte Regierungssprecher Seibert im Auftrag der Bundeskanzlerin noch mit: Die Meinungs- und Pressefreiheit sei für Angela Merkel „selbstverständlich höchstes Gut und nicht verhandelbar“. Das gelte auch mit Blick auf den „Text von Herrn Böhmermann“.

Die Meinungs- und Pressefreiheit ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel „selbstverständlich höchstes Gut und nicht verhandelbar“

Regierungssprecher Steffen Seibert

Demnach könnte die Bundesregierung bald verkünden, zuliebe der Meinungsfreiheit ein Veto gegen die Ermittlungen einzulegen. Damit würde sie allerdings die türkische Regierung verärgern, mit der sie in der Flüchtlingspolitik kooperieren möchte.

Um Letzteres zu verhindern, könnte die Bundesregierung stattdessen verkünden, die Ermittlungen zuzulassen; verbunden mit dem freundlichen Hinweis an die Staatsanwaltschaft, den hohen Wert der Meinungsfreiheit in ihre Erwägungen miteinzubeziehen.

Innenpolitisch sähe dieser Zug dennoch blöd aus – ganz so, als traue sich Merkel nicht, Erdoğan einen Wunsch zu abzuschlagen. Dennoch plädieren Vertreter der Regierungsparteien für diesen Weg. Die Beleidigung ausländischer Staatschefs sei strafbar, sagt zum Beispiel CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Man könne also „nicht einfach sagen, wir haben zwar eine Rechtsnorm, aber die interessiert uns nicht“.

Während Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht diese Haltung verurteilt („Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung sich ständig durch Ankara erpressen lässt“), ist man bei den Grünen gelassener. Die Abgeordnete Tabea Rößner betonte zwar den Wert der Pressefreiheit. Sie sagte aber auch: „Die Erteilung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung würde keinesfalls eine Vorverurteilung sein. Daher stelle ich mir die Frage, ob es nicht sogar besser wäre, wenn ein freies und unabhängiges Gericht darüber urteilen würde.“ Grünen-Chefin Simone Peter schlug eine andere Lösung vor: Sie forderte die Abschaffung des Paragrafen zur „Majestätsbeleidigung“.

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