: Putin gibt den Friedensfürsten
Syrien Mit dem Teilabzug seiner Truppen gibt Russland den Friedensgesprächen einen positiven Impuls. Und macht klar, dass es am Kampf gegen den IS kein Interesse hat
Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Der Abzug aus Syrien kommt überraschend. So wie schon Moskaus Intervention Ende September auf Seiten Baschar al-Assads. Am Montagabend gab Russlands Oberkommandierender Wladimir Putin einen Teilabzug seiner Streitkräfte bekannt.
Der Kremlchef hatte Außenminister Sergei Lawrow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu einbestellt. Beide Minister hinterließen den Eindruck, als seien auch sie gerade erst in die Pläne des Kremlchefs eingeweiht worden. Noch vor einigen Tagen hatte Lawrow versichert, Russland werde Syrien erst verlassen, wenn der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) erfolgreich abgeschlossen sei.
Im Erfolgsbericht des Kremlchefs tauchte der IS gar nicht mehr auf, der im Herbst noch offiziell Anlass zum Eingreifen gewesen war. Sergei Schoigu erwähnte allerdings 2.000 „russische Banditen“, die von Moskaus Luftwaffe vernichtet worden seien. Da Russland auch die gemäßigte Opposition als Terroristen bezeichnet, ist nicht klar, wen es tatsächlich traf. Zumal russische Militärs nur aus der Luft zählen konnten, wie es der russische Militärexperte Alexander Golts formulierte.
Russland wird einen Teil der Luftwaffe abziehen, darunter die Hälfte seiner Bomberflotte. Das neue Raketenabwehrsystem S-400 bleibt vor Ort. Auch die Basis in der Nähe von Latakia und der Hafen in Tartus werden am Laufen gehalten. Sollte sich die Lage verschärfen, könnte Russland schnell wieder eingreifen.
Wladimir Putin macht sich als Friedensfürst einen Namen. Mit Beginn der Syriengespräche in Genf zieht sich Russland zurück und verleiht den Verhandlungen noch positiven Aufwind. Putin präsentiert sich als konstruktive Kraft, der die Wende zu verdanken ist. Nach dem Motto, zumindest sei es gelungen, den Krieg einzuhegen.
Taktiker Putin verblüfft immer wieder. Was den USA nicht gelang, nahm Moskau erfolgreich in die Hände. Putin ging es in Syrien um die Anerkennung als gleichwertiger Partner der USA. Die Bipolarität des Kalten Kriegs ist vorübergehend wiederhergestellt. So oft wie in den letzten Monaten haben US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege lange nicht mehr konferiert. Für Russland eine Aufwertung. Schließlich gelang es, den Diktator zu retten und die Opposition so lange zu bombardieren, bis sie dezimiert und bereit war, sich mit Assad an einen Tisch zu setzen.
Der Sieg ist unser, kann Putin behaupten. Auch sandte er damit Signale an Autokraten in der arabischen Welt und im postsowjetischen Raum: Im Gegensatz zu Washington duldet Moskau keine Revolutionen und gibt Verbündete auch nicht preis. Der Kreml intervenierte im Herbst, weil er die Isolation nach dem Krieg gegen die Ukraine überwinden wollte. Der jetzige Rückzug könnte unter Pragmatikern im Westen dazu beitragen, dass die Front der Sanktionsgegner gestärkt wird.
Nicht zu übersehen ist die Warnung an den syrischen Diktator, die der Rückzug beinhaltet. Dass Assads Sturheit Moskau verärgerte, ist kein Geheimnis. Assad unterlief eine Übereinkunft zwischen Moskau und Washington, indem er einen eigenen Wahltermin ankündigte oder torpedierte die Friedensgespräche in Genf im Voraus.
Offensichtlich wird Moskau auch die Säuberung des noch nicht rückeroberten Territoriums nicht mehr übernehmen. Assad müsse selbst etwas machen, meinte der russische Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow. Auf eine Bodenoffensive will sich der Kreml ohnehin nicht einlassen. Der Rückzug bedeutet daher wohl auch, dass Russland an der Bekämpfung des IS kein Interesse mehr hat.
Wenn Moskau aus der Verantwortung ausscheidet, überlässt es die Probleme den USA und den Verbündeten. Es hat die Früchte eingefahren, wird zuschauen und die Fehler vom Spielfeldrand aus kritisieren. Entscheidend ist für Putin die Reinthronisierung als zweite Supermacht. So hofft Moskau, dass es auch in der Ukrainefrage gelingt, mit den USA zu verhandeln statt mit den Europäern. Nach alten Regeln. Moskau verkennt, dass ihm Mittel einer Supermacht fehlen. Noch ist auch der Westen nicht bereit, sich auf ein zweites Jalta einzulassen.
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