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Justiz in RusslandZwangsernährung oder Tod

Die inhaftierte ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko ist entschlossen, ihren trockenen Hungerstreik fortzusetzen.

Will weiter hungern: die ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko. Foto: reuters

Kiew taz | Mit Sprechchören wie „Freiheit für Nadja“, „Putin, ein Faschist“ und „Tod den Feinden“ haben am Mittwoch zweihundert Demonstranten vor der russischen Botschaft in Kiew ihre Solidarität mit der ukrainischen Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko, die in Russland vor Gericht steht, bekundet.

In einem kämpferischen Schlusswort im russischen Donezk hatte Sawtschenko am Mittwoch die Anschuldigung, am Tod zweier russischer Journalisten mitschuldig zu sein, von sich gewiesen. Zuvor hatte der russische Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 23 Jahren gefordert.

Sollte sie verurteilt werden, werde sie auf keinen Fall in Berufung gehen. Dies würde das Gericht und das Urteil nur legitimieren, sagte Sawtschenko zur Begründung. Gleichzeitig kündigte sie aus Protest gegen eine erneute Verschiebung der Urteilsverkündung eine Fortsetzung ihres am 4. März begonnenen trockenen Hungerstreiks an. Am Ende ihrer Rede zeigte die Navigationsoffizierin den Richtern den gestreckten Mittelfinger und sang die ukrainische Nationalhymne.

Ihr Anwalt fürchtet um ihr Leben. Derzeit habe seine Mandantin Fieber. „Jetzt wird sie entweder zwangsernährt oder sie stirbt“, zitiert die in Moskau erscheinende Nowaja Gaseta den Anwalt Nikolaj Polosow.

Illegaler Grenzübertritt

Die russische Anklage beschuldigt Sawtschenko, am 17. Juni 2014 bei der Ortschaft Metallist im Gebiet Luhansk von einem Sendemast aus ukrainische Lufteinsätze telefonisch koordiniert zu haben. Deswegen sei Sawtschenko, die noch am selben Tag in Gefangenschaft von Aufständischen der „Volksrepublik Luhansk“ geraten sei, für den Tod von zwei russischen Journalisten bei Metallist mitverantwortlich. Wenige Tage später habe Sawtschenko nach ihrer Freilassung illegal die ukrainisch-russische Grenze übertreten.

Sawtschenko und ihre Anwälte bestreiten das. Die erste Stufe des 35 Meter hohen Sendemasts sei als Schutz vor Vandalismus in einer Höhe von 6 Metern angebracht. Deswegen könne man ohne eine Behelfsleiter den Mast nicht besteigen. Ihre Mandantin, die an diesem Tag an der Hand verletzt gewesen sei, sei dazu physisch nicht in der Lage gewesen, so die Verteidigung.

Ich komme in die Ukraine zurück. Lebend oder tot

Nadeschda Sawtschenko

Auch das von der Verteidigung beantragte Gutachten der Moskauer Astronomieexpertin Olga Wosjakowa hatte das Gericht nicht gelten lassen. Bei der Untersuchung des Videos von der Gefangennahme von Sawtschenko war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Gefangennahme bereits vor den tödlichen Schüssen erfolgt war.

Ebenfalls widerspricht die Verteidigung dem Vorwurf eines illegalen Grenzübertritts. Sawtschenko sei nach Russland verschleppt worden.

Besuch von Verwandten verboten

Die Signale der russischen Behörden lassen kein Nachgeben erwarten. Weder die Mutter noch die Schwester der Inhaftierten, die zu dem Prozess angereist waren, durften sie besuchen. Auch ukrainische Ärzte durften bisher die Gefangene nicht untersuchen.

Ein Tausch von Sawtschenko gegen in der Ukraine inhaftierte Russen scheint nicht in Sicht. Derzeit fänden keine Verhandlungen über einen Tausch statt, erklärte am Mittwoch die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Am 21. und 22. März soll das Urteil verlesen werden. Bis dahin könnten die Worte von Sawtschenko: „Ich komme auf jeden Fall in die Ukraine zurück, lebend oder tot“, auf schreckliche Weise wahr werden.

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1 Kommentar

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  • Sie wäre wohl eine Heldin ganz nach dem Geschmack Stalins gewesen, diese ukrainische Kampfpilotin. Lieber tot als in der Hand des Feindes! Das "Väterchen" hätte sich diverse Lager hinter dem Ural, in denen russische Soldaten nach ihrer Rückkehr aus nazideutscher Kriegsgefangenschaft auf Staatskosten ernährt werden mussten, glatt sparen können, wären all seine Jungs so loyal gewesen ihm und seinen Erwartungen gegenüber, wie Nadeschda Sawtschenko der Ukraine gegenüber ist.

     

    Die Frau will also lieber tot in ihre Heimat zurückkehren, als nach über 20 Jahren. Sehr ehrenhaft, gewiss. So richtig soldatisch. Aber vielleicht bewahrt sie ja der frühe Tod durch Dehydrierung wenigstens vor einer unangenehmen Lebenserfahrung. Vor der Erfahrung, nämlich, dass Staaten selten so loyal wie Menschen sind. Und womöglich ist ja selbst der Tod noch immer besser als ein Leben in einem russischen Gefängnis. Was man so hört darüber, ist jedenfalls nicht eben attraktiv.