Jürgen Gottschlich über die EU und die türkische Perspektive: Die wahren Probleme des Deals
Viele in Europa geben sich empört darüber, was die türkische Regierung aus der angeblichen „Notsituation“ vieler EU-Länder herausschlagen will. Doch tatsächlich ist es genau andersherum: Seit 2005 halten die EU und allen voran Deutschland und Frankreich ihre Versprechen nicht ein und unterlaufen damit einen fairen Beitrittsprozess.
Nehmen wir die Forderung nach visafreien Reisen für türkische Staatsbürger in den Schengen-Raum. Keinem anderem Beitrittskandidaten wurde bisher die Visafreiheit verwehrt, wie rechtfertigt die EU eigentlich die Diskriminierung der türkischen Bürger? Oder das liebe Geld. Sechs Milliarden Euro will die Türkei bis 2018 nun für die Unterbringung der syrischen Flüchtlinge haben, statt der bislang angebotenen drei Milliarden für 2016 und 2017. Man muss nur einen Blick auf die Summen werfen, die die deutschen Bundesländer für die Integration weit weniger syrischer Flüchtlinge veranschlagen, dann sieht man, dass es um Peanuts geht.
Problematisch an dem EU-Türkei-Deal sind ganz andere Teile. Ohne Prüfung des Einzelfalles soll die Türkei alle Flüchtlinge von Griechenland zurücknehmen. Wie wird da eigentlich noch das Recht auf Asyl gewahrt? In welchem Verfahren werden syrische Flüchtlinge aus der Türkei zukünftig legal nach Europa kommen können? Stellen sie Asylanträge bei EU-Außenstellen, werden sie von EU-Vertretern nach Gutdünken ausgesucht, und vor allem, in welcher Größenordnung ist die EU eigentlich bereit, eine legale Einreise zuzulassen?
Die Türkei ist bereits auf dem Weg in eine De-facto-Diktatur. Ein funktionierender Deal mit der EU würde die Position Erdoğans weiter festigen – wenn die EU nicht endlich im Gegenzug auch darauf besteht, dass die Werte der Gemeinschaft in der Türkei eingehalten werden. Das und die Verfolgung der Kurden, die die EU ignoriert, sind die wahren Probleme des Paktes von Merkel mit Davutoğlu und Erdoğan.
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