Andreas Fux über Aktfotografie: „Ein bisschen Berlin-Style in Moskau“
Der Künstler Andreas Fux stellt Aktfotos in der Berliner Galerie „cubus-m“ aus. Aalglatte Menschen, sagt er, fotografiert er nicht.
taz: Herr Fux, wie ist es, nackte Menschen zu fotografieren?
Andreas Fux: Was kann es Schöneres geben als jemanden, der sich dir und deiner Kamera ausliefert? In meinem privaten, intimen Studio im Prenzlauer Berg ist es meine Kunst, die den Ort mit den Models zum Leben erweckt. Menschen, die ich fotografiere, gehören mir. Ich muss aber damit leben, wenn jemand sagt: „Die Bilder habe ich zwar freiwillig gemacht, aber vor dem Ergebnis habe ich Angst.“ Das ist auch schon passiert.
In der Galerie cubus-m kann man derzeit eine interessante Mischung Ihrer Fotografien sehen: Aufnahmen vom Meer, Porträts und Aktfotos. Wie kommt man zur Aktfotografie?
1988 wollte die in der DDR beliebte und für ihre erotische Fotografie bekannte Zeitschrift Das Magazin unbedingt ein Aktfoto von einem nackten Mann haben, weil es damals nur Aktfotos von Frauen gab. Um den Männerakt zu produzieren, habe ich damals drei Rollfilme aus der Westproduktion bekommen, damit ich ein Farbfoto machen kann. Das erste Foto war so erfolgreich, dass ich noch einen Auftrag für zwei weitere Aktfotos mit Männern bekam.
Die Fotos, die jetzt in Tiergarten zu sehen sind, wurden bereits einen Monat lang in Moskau ausgestellt. Sie konnten nur über einen Umweg dort hingebracht werden. Warum?
Weil ich mich als Künstler hätte bewerben müssen und die Fotoarbeiten einreichen. Der russische Zoll hätte auch was mitzureden gehabt. Das wäre ein sehr großer Aufwand gewesen – dafür war das Zeitfenster zu klein. Die Bilder sind über einen Umweg via Zürich nach Moskau gekommen. In einem Koffer, der nicht kontrolliert wurde, ich selbst bin als Tourist eingereist.
Andreas Fux wurde 1964 in Ostberlin geboren und lebt in Prenzlauer Berg. Schon in der DDR-Zeit outete er sich als schwul und begann mit der Aktfotografie. Seine Foto-Ausstellung ist bis zum 5. März in der Galerie „cubus-m“ in der Pohlstraße 75, Tiergarten, zu sehen. Mittwoch bis Freitag von 14 bis 19 Uhr und Samstag von 11 bis 19 Uhr.
Den Koffer haben Sie per Post geschickt?
Der Koffer ist über einen Boten von Berlin nach Konstanz geschickt worden. In Konstanz wurde er von einem Züricher Galeristen abgeholt. Dieser hat die Fotorolle und den Koffer mit in Zürich an einen russischen Galeristen übergeben, der damit nach Moskau flog.
Wie sind Sie zu dem russischen Ausstellungsnamen – „Scham und Schönheit“ gekommen?
Der Titel ist für die Ausstellung in Moskau entstanden. Ich hätte den viel provokativeren Titel „Liebesgrüße aus Berlin“ genommen, aber der Galerist in Moskau war zurückhaltend und meinte, wir müssten die Hunde nicht noch rufen, wenn sie kommen wollen. Das hat mich an die DDR-Zeit erinnert, als man zwischen den Zeilen las.
Warum Moskau?
Bei einer Fotovernissage 2013 in Paris habe ich einen Moskauer Künstler kennengelernt. So planten wir die Ausstellung 2015 in Moskau. Ich habe mir die Galerie wie die Underground-Galerien in Ostberlin zur Wendezeit vorgestellt.
War es wie eine Underground-Galerie in Ostberlin?
Die Galerie lag auf einem Hinterhof, mit gesicherten Zugängen. Vergilbte Raufasertapete war an den Wänden. Als Berliner will man natürlich nicht so ausstellen. Ich habe den Galeristen überredet, dass wir die ganzen Tapeten runterholen und umarbeiten. Das haben wir an einem Abend gemacht: auch die Galerie mit anderen Lampen bestückt, damit das Licht spannender wird – ein bisschen Berlin Style.
In der Zwischenzeit bahnte sich jedoch ein anderes Drama an. Die Bilder wurden nicht ganz unbeschädigt aufgehängt.
Leider gab es in der Galerie einen kleinen Jack-Russell-Terrier namens Martin. Der hat auf die eingepackten Fotos gepinkelt. Ich war sprachlos.
Was passierte dann?
Die 19 Bilder waren alle mit Seidenpapier abgedeckt und jedes Foto mit diesem bepinkelten Seidenpapier vollgesaugt. Das passierte einen Tag vor der Eröffnung. Meine zwei Galeristen haben sich hingesetzt und das Seidenpapier abgezogen. So hingen die Bilder in Moskau und so hängen sie jetzt in Berlin. Es gibt in der Galerie cubus-m auch einen kleinen Fernseher, der den ersten Aufbautag zeigt, als das Drama erkannt wurde.
Zwischen den Porträtfotos und den Aktfotos finden sich auch Meeresfotos, wie passt das zusammen?
Ich habe 2001 eine Schifffahrt mit einem Segelschiff aus der Ukraine gemacht. Ich sollte eigentlich eine Reportage fotografieren. Als Stadtmensch fand ich die Horizonte der Nordsee so beeindruckend, dass ich jeden Morgen und Abend eine Aufnahme gemacht habe.
Sie haben selber auch Tattoos, haben Sie deshalb so großes Interesse an tätowierten Menschen?
Das Thema Tattoo hat sich irgendwie über mich gelegt. Der Tattoo-Laden „Blut und Eisen“ war fünf Jahre lang ein Katalysator für meine Fotoarbeit. 1988 hat ein Freund angefangen, mich zu tätowieren – ein kläglicher Versuch. Ich war trotzdem stolz darauf. Mein letztes Tattoo habe ich 2001 gemacht. Für mich ist das Thema durch.
Mit der Fotografie sind Sie aber noch nicht durch?
Keinesfalls, ich habe im vergangenen Jahr die Serie „Im letzten Viertel der Nacht“ angefangen. Sie hängt in cubus-m in einem dunklen Raum. Das ist eine Antwort auf digitale Fotografie, bei der alles glatt gebügelt wird. Ich will nur noch analoge Fotografie machen, bei der ich Fehler in Kauf nehme.
Auch Ihre Fotomodelle sind keine perfekten Models. Wie suchen Sie sich Ihre Models aus?
Mich interessieren keine aalglatten Menschen, sondern solche, an denen mein Auge hängen bleibt. Das kann jeder sein: Hauptsache man ist auf der Suche nach Identität, Körper und Zugehörigkeit.
Was heißt das – Identität?
Das war nach der Wende die Triebfeder in meinem Leben. Ich habe mich neu erfunden und bin froh, dass ich durch mein Schwulsein keine Frau und kein Kind habe, die mir zeigen, an welchem Meilenstein meines Lebens ich mittlerweile bin.
Sie sollen auch Fotos für die Stasi gemacht haben: Was ist da dran?
Auf einer Reise nach Prag haben sie mich gestoppt und fragten: „Was machen die Schwulen in Ostberlin? Wer aus Westberlin steuert sie?“ Sie hatten mich in der Mangel, weil ich keine Wohnung und keinen Job hatte, und drohten damit, mich einzusperren. Also habe ich drei, vier Mal Fotos bei Schwulentreffen gemacht, aber dann habe ich gesagt: „Ich kann keine Fotos mehr machen, weil ich meine Freunde verrate.“ Ich habe mir meine Stasi-Akte angeguckt. Darin ging es nur um die Schwulengruppen in Ostberlin.
Dann haben Sie doch Ihre Freunde verraten, oder?
Ich habe keine Freunde verraten. Ich habe die Treffen fotografiert und dann hatte ich ein schlechtes Gefühl.
Apropos Gefühl: Wie war das, sich in der DDR zu Homosexualität zu bekennen?
Damals war es natürlich noch schwieriger als heute, weil man keine Außenseiter wollte. Ostberlin hatte seine Nischen. Wir wollten damals anders sein und das haben wir auch geschafft. Outen ist immer schwer – egal wo.
Wie haben Sie das gemacht?
Als ich das meiner Mutter gesagt habe, hat sie einen Heulkrampf bekommen und meinte aber: „In den Urlaub fahren wir trotzdem noch gemeinsam.“ Dennoch waren meine Eltern nicht bereit genug. Nach einem Jahr bin ich ausgezogen – nach Prenzlauer Berg. Dort lebe und arbeite ich seit 27 Jahren. In meinem Studio in der Marienburger Straße sind fast alle Aufnahmen entstanden, die meine Identität ausmachen.
In Ihrem Studio wurde auch das Bild mit der nackten, tätowierten Frau aufgenommen, die vor der Kamera pullert. Wie kam es dazu?
Während eines Shoots musste sie auf die Toilette und hat mich gefragt, ob sie schnell gehen könnte. Dann habe ich gesagt: „Wieso? Lass doch einfach laufen.“ Ich mag das Bild, weil die Frau so befreit aussieht.
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