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Koalitionsstreit um Asylpaket IIAuf dem Rücken der Kinder

Der Gesetzentwurf verstößt gegen die UN-Konvention der Kinderrechte. ​Das Familienministerium räumt Fehler ein. Die CSU fordert neue Verschärfungen.

Flüchtlingskinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hameln, Niedersachsen Foto: dpa

Berlin taz | Die Schuldfrage ist geklärt: Ein Staatssekretär im Familienministerium soll die Tragweite des Gesetzentwurfs zum Familiennachzug von Flüchtlingen falsch eingeschätzt haben. Deshalb habe das SPD-geführte Ministerium den Entwurf aus dem von Thomas de Maizière (CDU) geführten Innenministerium abgenickt, heißt es aus dem Haus von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Der Entwurf war vor dem Kabinettsbeschluss vom Mittwoch auf Fachebene geprüft worden. Das Familienministerium hatte keine Einwände geltend gemacht. Personelle Konsequenzen wird es deshalb aber wohl nicht geben. „Da würde ich jetzt nicht von ausgehen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums am Montag.

Die Bundesregierung hat am Mittwoch im Rahmen ihres „Asylpakets II“ beschlossen, den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiären Schutz für zwei Jahre auszusetzen. Doch seit Tagen streiten sich die Koalitionspartner nun schon, ob diese Einschränkung auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten soll. In der SPD pochen viele auf eine Ausnahmeregelung. Der SPD-Bundesvize Ralf Stegner warnte im Bayerischen Rundfunk davor, in einen „Schäbigkeitswettbewerb“ gegen Kinder und Jugendliche einzutreten.

Auch Menschenrechtsorganisationen wie terre des hommes kritisieren, dass unbegleitete Flüchtlingskinder ihre Eltern frühestens nach zwei Jahren nachholen dürfen. Mit diesem Passus verstoße das Asylpaket II gegen die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert habe, betont die Kinderrechtsexpertin Barbara Küppers. Viele der Kinder und Jugendlichen seien von Krieg und Flucht traumatisiert: „Sie sehnen sich nach Mama und Papa. Da wäre es fatal, wenn sie jetzt die Aussicht verlören, ihre Eltern jemals wieder zu sehen.“

Ende Januar 2016 kamen nach Angaben des „Bundesfachverbands Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge“ rund 68.000 unbegleitete Minderjährige und junge Erwachsene nach Deutschland. Im gesamten Jahr 2015 seien ihnen nur 442 Väter und Mütter per Familiennachzug nach Deutschland eingereist.

CSU will Verschärfungen

„Es ist eine Mär, dass Jugendliche auf den Weg nach Deutschland geschickt werden, um dann ihre Großfamilien nachzuholen“, sagt Küppers. Die meisten Eltern schickten ihre Kinder weg, um wenigstens sie in Sicherheit zu bringen. „Sie wollen selbst möglichst lange in ihren Heimatländern bleiben – auch um dort noch ein Standbein zu behalten. Andere haben auch einfach nicht das Geld, um die Flucht für alle zu finanzieren.“

Eine Lösung in dieser Frage sollen nun Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) finden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüße dieses Verfahren, ließ sie dazu am Montag durch eine Regierungssprecherin verlauten. Die CSU wirft der SPD dagegen Unzuverlässigkeit vor: „Absprachen mit der SPD werden zur Zitterpartie“, ließ sich deren Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in der Passauer Neuen Presse zitieren.

Es stelle sich die Frage, „was Absprachen und Treffen mit dem SPD-Parteivorsitzenden eigentlich noch wert sind“, sagte die CSU-Politikerin. Und aus den Reihen der CDU machen sich manche bereits für weitere Verschärfungen stark. So forderte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl in der Welt, Asylbewerbern das unbefristete Aufenthaltsrecht künftig frühestens nach fünf Jahren und nur unter klaren Bedingungen zu ermöglichen - und zwar nur dann, wenn sie „einigermaßen ordentlich Deutsch sprechen können“, keine Straftaten begangen haben und wenn sie „mit 60 Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen können, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können“.

Nach geltendem Rechtslage sind für einen Daueraufenthalt allerdings schon jetzt Sprachkenntnisse sowie Nachweise über die Sicherung des Lebensunterhalts und geleistete Sozialversicherungsbeiträge nötig - und er wird frühestens nach fünf Jahren gewährt, heißt es dazu aus dem Innenministerium.

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7 Kommentare

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  • Das muss endlich aufhören, dass für Wählerstimmen CSU vs AfD mehr Unmenschlichkeit durchgesetzt wird!

  • Merkwürdigerweise zetert man in CDU und CSU laut herum, dass ein Kind doch Vater und Mutter (und zwar genau in dieser Kombination!) braucht, wenn es darum geht, ob gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren dürfen.

    Bloß Kinder, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, die brauchen anscheinend weder Vater noch Mutter, sondern erstmal ein paar Jahre lang gar keine Eltern.

    Eine ekelhafte Einstellung.

  • Nur weil sich die SPD vielleicht doch noch Menschenrechten und in diesem Falle insbesondere der UN-Konvention der Kinderrechte besinnt wird sie von der CDU und CSU diffamiert. Ist wirklich traurig das eine klare Politische Liniene wichtiger scheint als Fehler zuzugeben.

  • So etwas nennt man, glaube ich, organisierte Verantwortungslosigkeit.

     

    Wer keine Verantwortung übernehmen möchte für ein Unrecht, das mit seiner Billigung "passiert" in seinem Ressort, der sucht sich einen Untergebenen, der entweder besonders loyal ist, besonders dumm oder besonders unbeliebt. Dem schiebt er die angebliche Schuld dafür in die vermeintlich (noch) zu großen die Schuhe, dass er selbst nicht anders konnte. ("Ich bin als Chef abhängig von meinen Mitarbeitern", soll das wohl heißen und wird nur zu gern geglaubt). Anschließend braucht nur noch öffentlich erklärt werden, dass der "Unglücksrabe" von einem Sekretär noch eine zweite Chance verdient hat. Fast immer kommt der Vorgesetzte damit durch. Leider.

     

    Übrigens: Die CSU ist ganz schön geschichtsvergessen, finde ich. Es ist noch keine 80 Jahre her, da gab es in Deutschland die sogenannte Erweiterte Kinderlandverschickung. Ab Oktober 1940 sollen bis zu 2 Millionen deutsche Kinder und Mütter von Kleinkindern aus den vom Luftkrieg betroffenen deutschen Städten aufs Land verschickt worden sein. (Man forscht noch, habe ich gelesen.) Aber nicht, um den Eltern einen Vorwand für die eigene Flucht zu liefern, sondern um für die Zeit nach dem erhofften "Endsieg" vorzusorgen. Unter den aufs Land verschickten Kindern sollen auch rund 850.000 Schüler ab zehn Jahre gewesen sein. Erst gegen Kriegsende wurden sogar die zum sogenannten Volkssturm eingezogen. Geholfen hat das aber auch nichts mehr.

  • Die Christen, deren Abendland ja so verteidigt wird, halten sich für gottgefällig, indem sie - sonntags oder wenn jemand guckt - von Kinderrechten und Menschenrechten faseln. Wenn jemand es wagt, diese Rechte auch in Anspruch zu nehmen, lassen sie allerdings nicht mehr mit sich spaßen. Eher heulen sie dann herum, die anderen seien unzuverlässig, wenn es ums Abnicken der Verweigerung universeller Rechte geht. Eine Sintflut in der Parteizentrale wäre nach meinem Geschmack. Pack.

    • @Karl Kraus:

      Guter Beitrag

    • 1G
      1714 (Profil gelöscht)
      @Karl Kraus:

      Besser kann man es nicht ausdrücken!