: Natur aus der Tube
Kosmetik Die Fülle an Zertifizierungen mit zudem unterschiedlich strengen Standards ist für Verbraucher verwirrend
Von Kristina Simons
Naturkosmetik ist längst keine Bückware mehr. Immer mehr Menschen entscheiden sich gegen synthetische Inhaltsstoffe auf ihrer Haut und stattdessen für „grüne“ und häufig auch ethisch unbedenkliche vegane Produkte. Drogerieketten wie DM oder Rossmann haben neben den altbekannten Marken wie Weleda oder Lavera längst ihre eigenen und vergleichsweise günstigen Naturkosmetik-Linien. Der Markt für zertifizierte natürliche Kosmetik macht zwar aktuell nur acht Prozent des gesamten Kosmetikmarktes aus, wächst aber jährlich zwischen fünf und zehn Prozent. Über eine Milliarde Umsatz hat die Branche 2014 gemacht, während der konventionelle Kosmetikmarkt stagniert. Dazu dürften auch Meldungen über gesundheitsschädliche Stoffe in herkömmlicher Kosmetik beitragen. So hat die Stiftung Warentest im vergangenen Jahr in Cremes und Haarstyling-Produkten, Lippen- und sogar Babypflege auf Mineralölbasis unerwartet hohe Mengen an bedenklichen aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOAH) entdeckt, von denen einige sogar als krebserregend gelten.
Produkte mit rein natürlichen Inhaltsstoffen sind hingegen meist gut verträglich, da sie nicht so irritierend und dadurch reizend auf die Haut wirken. „Viele Pflanzenstoffe sind spannend für die Dermatologie“, sagt die Wiesbadener Hautärztin Christiane Bayerl. „Trauben, orange Früchte, Grüntee oder Hopfen sind beispielsweise gute Radikalenfänger, Fruchtsäuren schälen überflüssige Hautschuppen ab.“ Oft seien die Effekte allerdings sehr mild, sodass mehrere Phytotherapeutika kombiniert werden müssten, um überhaupt einen Effekt zu erzielen. Doch auch Naturkosmetika können allergische Reaktionen wie Jucken, Brennen oder Schwellungen zur Folge haben oder eine bestehende Dermatitis verschlechtern, wie italienische Forscher 2013 herausgefunden haben. „Allergien können zum Beispiel durch Korbblütler wie Arnika und Kamille ausgelöst werden“, so Bayerl. Zudem vertrügen sich einige Präparate nicht mit dem natürlichen Sonnenlicht. „Es kann dann zu photoallergischen Reaktionen kommen.“ Ein Test an einer kleinen Hautstelle ist deshalb auch bei Biokosmetik zu empfehlen.
Doch eine Olive auf der Packung macht ein Duschgel noch lange nicht öko. „Greenwashing“ ist auch im Kosmetikbereich ein Problem. Pflegeprodukte werden als „natürlich“, „bio“ oder „organic“ feilgeboten, enthalten aber gleichzeitig künstliche Duft- und Konservierungsstoffe oder Fette auf Erdölbasis. Trotz Olive auf der Verpackung ist tatsächlich nur ein Minimum davon im Produkt. Das Problem: Der Begriff „Naturkosmetik“ ist nicht geschützt. „Naturkosmetik kann auch chemische, der Natur nachgeahmte Inhaltsstoffe beinhalten“, sagt Hautärztin Bayerl. „Ein Beispiel ist Bisabolol, ein Inhaltsstoff der Kamille, der auch synthetisch hergestellt wird.“ Doch auch selbstgemixte Rezepturen hält Bayerl für bedenklich, ebenfalls solche aus freien Märkten, die keiner Herstellungskontrolle unterliegen. „Sind diese Mischungen nicht konserviert und werden zu lange genutzt, besteht ein Infektionsrisiko.“ Zubereitungen, die aus der Natur stammen und zum Beispiel selbst gesammelt wurden, seien zudem nicht auf Belastung mit Pestiziden, Schadstoffen und Verunreinigungen überprüft.
Verbraucher greifen deshalb besser zu zertifizierter Naturkosmetik, zu erkennen an Gütesiegeln wie denen von BDIH, Natrue, Demeter, Ecocert, Icada, Eco-Control, Fairtrade oder Naturland. Für garantiert tierstofffreie Kosmetik steht zudem das Vegan-Siegel der Vegan Society England. Die Fülle an Zertifizierungen mit zudem unterschiedlich strengen Standards ist für Verbraucher allerdings verwirrend. „Wer sich für echte Naturkosmetik interessiert, muss zahlreiche Siegel kennen, um nicht auf Werbetricks hereinzufallen“, sagt Hilmar Hilger, Sprecher des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN). Der BNN hat deshalb 2012 in seiner „Sortimentsrichtlinie für Naturkosmetik“ für alle Verbandsmitglieder verbindlich festgelegt, dass sie ausschließlich zu 100 Prozent zertifizierte Naturkosmetik verkaufen dürfen. Aktuell 13 Siegel hat der BNN anerkannt. „Damit erhalten Kunden im zertifizierten Naturkostfachhandel – erkennbar am SRL-Logo – nur echte Naturkosmetik“, so Hilger. Drogerien und Reformhäuser gehören allerdings nicht dazu, auch wenn sie ebenfalls echte Naturkosmetik führen. Klarheit für Verbraucher würde ein einheitliches Siegel schaffen. Bereits seit 2011 arbeitet die Internationale Standard Organisation (ISO) an einer weltweiten Norm. Doch die Naturkosmetikbranche ist eher skeptisch und befürchtet ein Aufweichen der Kriterien, denn an der Erarbeitung ist nicht nur sie, sondern sind auch multinationale Kosmetikverbände beteiligt. „Der momentane Entwurf einer ISO-Norm für Naturkosmetik bleibt weit hinter dem zurück, was europäische und amerikanische Verbraucher unter echter Naturkosmetik verstehen und die privaten Label bereits zertifizieren“, konstatiert Hilger. „Beispielsweise sind darin auch Zutaten erlaubt, die aus oder durch gentechnisch veränderte Organismen (GVO) hergestellt wurden.“ Nach Ansicht von Branchenexperten kann es noch Jahre dauern, bis das Regelwerk fertiggestellt ist.
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