Abschiebung im Morgengrauen: „Integration erfolgreich vernichtet“
Trotz Integration und Arbeitsvertrag wird eine Familie aus Serbien zurück auf den Balkan geschickt. Dort drohen den Roma Diskriminierung und Gewalt.
Bereits 2014 war die fünfköpfige Familie nach Deutschland gekommen, weil die Roma in ihrem Heimatland diskriminiert wurden. Ihrem ersten Asylantrag gab das Bundesamt für Migration nicht statt. Aus Angst vor der Rückkehr nach Serbien tauchte die Familie in Deutschland zunächst unter, stellte später aber einen Folgeantrag.
Sie durfte für die Dauer des Verfahrens bleiben. Weil Serbien seit 2014 jedoch als sicherer Herkunftsstaat gilt, wurde die Familie Ende Dezember im frühen Morgengrauen abgeholt und in ein Flugzeug nach Serbien gesetzt.
In Niedersachsen sind im vergangenen Jahr laut Innenministerium fast 70 Prozent aller Abschiebungen abgelehnter Asylbewerbern gescheitert.
Die Stornokosten für nicht genutzte Rückflüge lagen nach Angaben des Ministerium 2015 bei rund 160.000 Euro.
Mögliche Ursachen für geplatzte Abschiebungen sind laut Ministerium, dass Betroffene untergetaucht oder aus medizinischen Gründen nicht reisefähig waren.
In diesem Jahr will das Land das Personal, das sich um Abschiebungen kümmert, um 50 Prozent aufstocken.
Mehr als 18.000 Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, lebten Ende November in Niedersachsen. Fast 80 Prozent davon wurden aber geduldet.
Klarer Fall für den Innenminister
Die Familie habe keinen Anspruch auf Asyl, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) dem NDR. Nach „ganz klarer Rechtslage“ sei nichts anderes als die Abschiebung möglich gewesen. Gegenüber der taz äußerte sich das Innenministerium bis Redaktionsschluss nicht.
Die niedersächsische Härtefallkommission, die in humanitären Notlagen ein Bleiberecht von Asylsuchenden erteilen kann, bestätigte die Einschätzung des Ministeriums. Die Abschiebung sei rechtlich korrekt und der Familie zumutbar.
Die ethnische Zugehörigkeit der Romafamilie und die damit einhergehende Diskriminierung durch staatliche Stellen und die Mehrheitsgesellschaft in den Balkanstaaten bleibt unerwähnt.
Familienmitglieder wurden angegriffen
Auch Familienmitglieder von Aleksandra wurden in Serbien angegriffen: „Aleksandras Bruder hat körperliche Gewalt erfahren. Er hat Verbrühungen und Narben von ausgedrückten Zigaretten an den Armen“, sagt Annelie van Haren, die die Familie als Integrationslotsin über Monate begleitet hat.
Dabei bemühten sich die Roma in Ditzum darum dazuzugehören und lernten in Eigeninitiative Deutsch. „Die Familie war gut integriert, die Jungs wollten eine Ausbildung zum Bäcker absolvieren“, sagt Sven Friebel von der Jugendfeuerwehr Ditzum, in der Aleksandra aktiv war. „Wir sind alle sehr bestürzt. Hier wurde Integration erfolgreich vernichtet.“
Sogar ein unterschriebener Arbeitsvertrag als Reinigungskraft in einem Hotel habe vorgelegen, so van Haren – das Ausländeramt des Landkreises Leer habe dies jedoch ignoriert.
Dass die Familie aus Ditzum abgeschoben wurde, findet ein Sprecher der Initiative „Alle bleiben“ vom Roma Center in Göttingen skandalös: „Roma werden in Serbien attackiert, sie müssen um ihr Leben fürchten“, sagt der Sprecher, der auch selbst aus Angst vor Anfeindungen seinen Namen nicht nennen möchte. „Wir verstehen die Politik nicht mehr.“
Zudem sei es besonders schlimm, wenn zwischen integrierten Familien und solchen, die unter sich blieben, nicht unterschieden werde.
Härtefall spielt keine Rolle
Im Falle von Aleksandras Familie gibt es weitere Gründe, die gegen die Abschiebung sprechen: Der taz liegen psychologische Gutachten für drei Geschwister vor, die ihnen eine Rückkehrunfähigkeit attestieren.
Die zwei Jugendlichen und Aleksandra leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen – hervorgerufen durch ihre Erfahrungen in Serbien. Bei einer Ausweisung, so heißt es in den Schreiben, bestehe die Gefahr „einer Verschlechterung des seelischen Gesundheitszustands bis hin zu akuter Suizidalität“.
Die Härtefallkommission und die Ausländerbehörde hätten den Fall der Familie genauer prüfen müssen, kritisiert der Sprecher des Roma Centers. „Dass der Rassismus in Serbien den Behörden nicht bekannt ist, heißt nicht, dass es ihn nicht gibt.“
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