: Zurück zum „Abschiebearzt“
MENSCHENRECHTE Abschiebung trotz einer psychischen Erkrankung – das soll bald Praxis werden. Kritik von Bremer Ärzten und Flüchtlingsorganisationen. Auch Abschiebeärzte würden wieder drohen
Flüchtlingsorganisationen und Ärzte in Bremen haben das von der Bundesregierung geplante und umstrittene Asylpaket II scharf kritisiert. Die darin vorgesehenen Maßnahmen, um Flüchtlinge schneller abschieben zu können, verstießen gegen EU-Richtlinien und Menschenrechte, sagte Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat. Der in Teilen auch im Kabinett umstrittene Gesetzesentwurf bagatellisiere psychische Krankheiten wie Kriegstraumata. Der Entwurf sehe vor, dass nur lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung verschlechtern könnten, berücksichtigt werden dürfen.
„Skandalös“ nennt das Karl Heinz Schrömgens, Präsident der psychotherapeutischen Kammer in Bremen, gegenüber der taz. Es sei „in keiner Weise angemessen“ posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) als eine nicht schwerwiegende Erkrankung anzuerkennen. Schwer traumatisierte Geflüchtete hätten eine besondere Schutzbedürftigkeit und das Recht auf medizinische Versorgung, so Schrömgens. Betroffene würden unter „wiederkehrenden Erinnerungen“ leiden: In Alpträumen, Angstzuständen und Flashbacks träten Vergewaltigungen, Folter und Krieg immer wieder in den Alltag von psychisch erkrankten Flüchtlingen.
Flüchtlingsrat-Sprecher Millies sieht in dem Asylpaket eine weitere gefährliche Entwicklung. Das neue Gesetz sei ein „Hohn gegen die ärztliche Ethik“. Aufgrund des beschleunigten Verfahrens würden die behandelnden Ärzte unter Befangenheit handeln. Es sei geplant, „Ärzte zu finden, die im Schnellverfahren prüfen“. Die Gutachten der MedizinerInnen könnten somit reine Gefälligkeit für die Behörden werden. Die Gefahr bestehe, dass besondere „Abschiebeärzte“ wieder zur Praxis werden.
2010 hatte es das in Bremen schon gegeben: Die Ausländerbehörde hatte drei ÄrztInnen eingestellt, die auf Abschiebungen spezialisiert waren. Regelmäßig stellen sie Geflüchteten eine Reisefähigkeit aus, obwohl diese psychisch erkrankt waren. Aufgrund großer öffentlicher Kritik wurde dieses Vorgehen eingestellt.
Im aktuellen Asylgesetz-Paket ist auch vorgesehen, dass medizinische Nachweise, die gegen eine Abschiebung sprechen, von Flüchtlingen binnen zwei Wochen vorgelegt werden müssen. Vera Bergmeyer von Medinetz Bremen sagte: „Es ist zynisch, davon auszugehen, dass sich Flüchtlinge so schnell Termine und Atteste vom Facharzt beschaffen können, wenn selbst langjährige Patienten wochenlang warten.“
Auch Björn Steuernagel vom psychosozialen Behandlungszentrum Refugio Bremen warnte davor, posttraumatische Belastungsstörungen nicht als schwerwiegende Krankheit zu werten. Aus fachlicher Sicht seien Folgeerkrankungen erlittener Traumata lebensgefährdend und müssten dringend behandelt werden. Würden die Patienten nicht behandelt, drohten Selbstverletzungen bis hin zum Suizid. jso
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen