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Kommentar Merkels FlüchtlingspolitikAbschottung mit menschlichem Antlitz

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Angela Merkels perfekt inszenierter Auftritt verblasste schon nach einem Tag. Seehofer und Frontex holten die Kanzlerin in die Realpolitik zurück.

Griechische Grenzpolizistinnen und ein Frontex-Mitarbeiter an der griechisch-türkischen Grenze (Archivbild von 2010). Foto: reuters

S ie strahlte nur einen Tag. So schnell ist das schöne Bild einer konsequenten Kanzlerin mit komplett zufriedener Gefolgschaft selten in seine weniger schönen, komplizierten Einzelteile zerfallen wie bei diesem CDU-Parteitag.

Schon einen Tag nach Angela Merkels perfekt inszeniertem Auftritt samt Kuscheln mit Plüschwolf traten zwei eher unsympathische Wachhunde ins Bild, die all die Widersprüche der deutschen Flüchtlingspolitik deutlich machten: Horst Seehofer und die EU-Grenzschutzbehörde Frontex.

Direkt nachdem die CDU das unfreundliche Wort „Obergrenze“ rhetorisch umschifft hatte, forderte sie der Chef der Schwesterpartei wieder ein. Was auch sonst, da die CSU dies gerade erst beschlossen hatte? Und direkt nachdem Merkel ihre sommerliche Grenzöffnung mit einem „humanitären Imperativ“ begründet hatte, kündigte die EU-Kommission neue „Eingreiftruppen“ zum Schutz der Außengrenzen an, die im Notfall auch gegen den Willen der Grenzstaaten eingesetzt werden sollen.

Wer sich nun fragt, wie das alles zusammenpassen soll und wo da Merkels Linie verläuft, wird feststellen: Die gibt es nicht mehr. Merkel ist wieder ganz die Alte: die Einerseits-andererseits-Kanzlerin und Sowohl-als-auch-Parteichefin, die sich so wenig wie möglich festlegt.

Merkel ist fast wieder ganz die Alte: die Einerseits-­andererseits-Kanzlerin

Einerseits: Keine Abschottung! Andererseits: Mehr Abschiebungen, mehr Grenzschutz!

Nach monatelanger Kritik hat Merkel nun versprochen, zu versuchen, die Zahl der Flüchtlinge „spürbar zu verringern“. Das ist der kleinste Nenner, der die Union halbwegs eint. Aber wie sie die Zahl verringern will?

Tja. Vorerst nicht mit harten Maßnahmen an den deutschen Grenzen, dafür an den EU-Grenzen. Ist das humaner? Wohl kaum. Aber: Wer in Europa könnte eine humanere Politik durchsetzen?

Was Merkel versucht, ist im EU-Vergleich immer noch ehrenwert: Zu retten, was zu retten ist vom guten Willen aus dem Sommer – aber die Grenzen des politisch und praktisch Machbaren beachten.

Das ist zu wenig, um alle Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Aber viel mehr als die anderen zu leisten bereit sind. Und auf eine Kanzlerin zu hoffen, die mehr als Merkel schafft, ist Utopie.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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16 Kommentare

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  • Mit menschlichem nicht Antlitz

    Kann frauman das auch so sehen: ->

     

    Multikulti ist gescheit;

    Multikulti ist gescheiter;

    Muttikult ist gescheitert.

    • @Lowandorder:

      Und Monokulti? Auch gescheitert.

      • 1G
        12294 (Profil gelöscht)
        @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Wie wärs denn mit transkulti? Das war ja auch das, was Merkel damals als Gegenvorschlag präsentiert hatte. Hat nur keinen gejuckt, weil alle sich darüber aufgeregt haben, dass sie multikulti ablehnt.

  • Jaja, und dann wird sie bei der nächsten Bundestagswahl mit noch mehr Stimmen wieder gewählt. Kann man nichts machen. Ist halt so. Vielleicht auch besser so. Mir egal.

     

    Resignation macht sich bei mir breit.

  • Der entscheidende Punkt ist doch, was Frontex überhaput machen soll. Auf Schlauchboote schießen, ist ja wohl keine Option. Also Flüchtlinge in Empfang nehmen und ...? Dann bleiben nur die Optionen "auf die Mitgliedsländer verteilen" (was ja von der Mehrheit abgelehnt wird), "in Griechenland versorgen" (Schwachsinn bei den hohen Zahlen), oder "in die Türkei zurückbringen" (was an der Türkei hängt, und mit ihr entweder ausgehandelt werden muss -wird gerade versucht, gegen Aufgabe vieler wichtiger Prinzipien- oder ihr abgezwungen werden muss -wurde noch nicht versucht, geht aber nur, wenn man bereit ist, zu harten Druckmitteln wie Handelsboykotten zu greifen).

  • Hmm? Vielleicht ist die `deutsche Mutti´ also Frau Dr. Merkel, zu sehr den Vidionen/Forderungen der zivil/friedlichen/humanen Wirklichkeit der BRD/EU erlegen?

    Und nun läuft die gute Frau, wie ein Schiff, auf ein `realpolitisches, demokratisches Riff´...!

    "Fortress Europa" mit FRONTEX als `special forces´ ... entmündigtes Griechenland, beförderte Türkei etc. Relativierte, allgemeine U.N.O. Menschenrechte...

    Schöne Scheisse ist das!!

    ..ist aber im Sinne politisch geltender neoliberaler Ideologie kapitalistischer Doktrinen erklärbar...

    Was tun? Wo bleibt die kosmopolitisch/friedliche Graswurzel- Bewegung ???

  • Jetzt behauptet schon ein TAZ-Fanboy es gäb keine Alternative zur Mutti. Vielleicht erwartbar bei all den propagandistischen Aktionen die mehr guten Willen zeigen als tatsächlichen Nutzen, nur leider heisst 'besser' als manch andere noch lange nicht gut und ja: auch noch lange nicht, dass alles 'Bessere' Utopie sei. Das ist nichts anderes als den Kopf in den Sand zu stecken.

  • Meine Rede seit Merkel-Gedenken. Diese Frau ist nichssagen, widerspricht sich ständig, verbiegt sich und glaubt, mit angepaßten Formulierungen Politik machen zu können. Das Unglaubliche ist, daß die Mehrheit der dummen Bürger ihr das noch abnimmt. Noch schlimmer ist es, wenn die sog. Intelligenzia mitsamt der sog. "Qualitätsmedien" auch noch darauf abfahren.

     

    Nichts von dieser Frau und ihrem Gefolge ist echt, authentisch, ehrlich, kommt von Herzen oder oder hat nur ansatzweise einen konkreten Plan, wie die sich anhäufenden Probleme gelöst werden könnten. Vernebelung, Täuschung und Ablenkung, das ist die Taktik!

  • ich bin immer wieder verwundert!

    abschottung mit menschlichem (nu ja) antlitz ist offizielle asyl+flüchtlingspolitik seit die (damals noch west-)deutschen spätestens mit dem putsch in Chile feststellen mußten, dass ihr einmalig schönes asylrecht nicht nur für stramme antikommunisten aus dem ostblock, sondern gleichermaßen für sozialdemokraten, sozialisten+kommunisten aus aller welt gemacht wurde+ist.

    seitdem wird - ablesbar an den mehr oder weniger gesetzlichen eingriffen ins asylrecht - daran gearbeitet, das asylrecht für die sog. wirklich verfolgten zu bestandserhalten bei gleichzeitiger abwehr aller sog. nicht wirklich verfolgten.

    wie auch nur eine*r auf die idee kommen kann, frau Merkel sei da eine ausnahme, ist mir reineweg schleierhaft!

  • Hallo,

    ich könnte auch zu dem gesamten Problem kurz mal fragen: " was würde Peter Scholl-Latour dazu sagen?" Da würde man dann klare und deutliche Worte hören. Leider.......

    Hans-Ulrich Grefe

  • Ich bin mal gespannt, wie das alles klingt, wenn die türkischen Sicherheitskräfte wirklich ihren Job so machen, wie Merkel das von ihnen erwartet.

  • Es nervt wirklich... anstatt in Europa auf dem Tisch zu hauen, klare Kante zeigen...wer nicht solidarisch ist... keine Hilfe mehr aus Brüssel...wird dem Diktator Milliarden in den Rachen gestopft.Glaubt wirklich auch nur EINER dran das die Türken das geld in die Versorgung der Flüchtlinge steckt? EUROPA IST GESCHEITERT

    • @elmer vogelbein:

      Klare Kante, auf den Tisch hauen....

       

      ... so wie in Griechenland? Oh halt, wir wollen kein deutsches Europa, uns gehen Entscheidungen demokratische gewählter Regierungen nichts an.

      So war doch der Sound hier.

       

      Und nicht zu früh freuen, der Brüssler Wanderzirkus wird immer noch durchgefüttert.

  • Es ist merkwürdig was von Griechenland, ausgeblutet u.a. durch deutsche Merkel-Schäuble-Gringo-Politik, erwartet wird: dort wo viele Menschen, Bürger der angeblich geordneten und zivilisierten christlichen EU, nicht einmal Geld für normale Medikamnte haben, dort soll ein perfekter Grenzschutz statfinden. - Daß jetzt deswegen auch noch die Aushebelung der politischen Souveränität angedacht wird, das paßt vollkommen ins Bild der heuchlerischen und auch kriminellen Merkel-Politik.

  • Ja, genau.-Bingo-

    ....sowohl-als-auch.......wir haben viel ereicht, es ist noch viel zu tun....

    Dieses sind doch die eingeübten Sätze, auf die man viele Reden von Frau Merkel reduzieren kann. Was für ein Reden,; was für eine Politik.

    Das ist alles weich, wie Pudding, den man nicht an die Wand nageln kann.

    Aber , wen wundert es denn, wenn die Wähler damit zufrieden sind und sie noch als die Frau des Jahren bezeichnet wird.

    Hans-Ulrich Grefe

    • @Grefe Hans-Ulrich:

      Im TIME-Magazin wurde Merkel als "Frau des Jahres" lediglich von der Redaktion gewählt (und das kann eingefädelt worden sein) - die TIME-Leserschaft hat Bernie Sanders zum Mann des Jahres gewählt und davon wurde hierzulande so gut wie nicht berichtet.