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Social Freezing in den USAErst Karriere, dann Kind

Eine Ärztin veranstaltet im Silicon Valley Social-Freezing-Partys. Sie will Frauen überzeugen, für viel Geld ihre Eizellen einfrieren zu lassen.

Social Freezing kann für Frauen mit möglichem Kinderwunsch eine Freiheit bedeuten – aber eine, die sie sich leisten können müssen Foto: MANÜ!/photocase.de

San Francisco/San Ramon taz | Doktor Aimee Eyvazzadeh verkauft Träume bei Häppchen und Wein. Den Traum vom eigenen Kind – zu einem selbst gewählten Zeitpunkt. Doch die Ärztin spricht lieber von Chancen als von Träumen. Natürlich erfüllt sich nicht für jede Frau der Kinderwunsch – egal, wie viele Eizellen sich vielleicht einfrieren und lagern lassen. Aber in einer netten Atmosphäre im Restaurant spricht es sich sehr viel entspannter über Fruchtbarkeit, Hormontests und Kosten für „Social Freezing“.

Die Reproduktionsmedizinerin aus dem Silicon Valley wirbt nicht mit ihren medizinischen Abschlüssen von Eliteuniversitäten, sondern nennt sich “egg whisperer“, die „Eiflüsterin“. Den Namen hat sie sich patentieren lassen. Tupper oder Sexspielzeug war gestern, in Kalifornien geht man nach der Arbeit zur „Social Freezing Party“ von Dr. Aimee.

Seit Tech-Unternehmen wie Apple und Facebook im November 2014 ankündigten, für Mitarbeiterinnen die Kosten für das Einfrieren und die Lagerung von Eizellen zu übernehmen, lässt sich die Debatte darüber in zwei Lager teilen: die einen, die die neue Selbstbestimmung von Frauen und die Möglichkeit feiern, „alles zu haben“. Kind und Karriere – endlich kein Widerspruch mehr, wenn erst die Karriere und dann das Kind kommen kann.

Die anderen kritisieren den Eingriff in die Biologie, sehen ältere Mütter nicht unbedingt als Errungenschaft an und überhaupt, der mögliche Einfluss von Unternehmen auf die private Lebensplanung von Frauen ginge gar nicht. Kaum ein Bereich wirft so viele moralische Fragen auf wie die Reproduktionsmedizin.

„Mehr als ein Becher und ein Porno“

Über Argumente dagegen lacht Dr. Aimee. Was nur ein wenig überspielt, dass sie sich eigentlich ein bisschen aufregt. „Die Ankündigung von Facebook und Apple ist das Beste, was Frauen passieren konnte, denn jetzt können wir endlich offen darüber reden.“ Schon ihr Vater und ihr Großvater waren Reproduktionsmediziner, ihre Praxis in der Bay Area, eine knappe Autostunde von San Francisco entfernt, eröffnete die 39-Jährige vor sieben Jahren. „Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft“, sagt sie.

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Samenspenden von Männern, darüber werde nicht hinter vorgehaltener Hand gesprochen. „Aber bei Frauen braucht es halt mehr als einen Becher und einen Porno.“ Hormontests, Medikamente, ein 20-minütiger Eingriff und keine Garantie, wie viele Eizellen tatsächlich verwertbar sind – das sind die medizinischen Fakten beim „Social Freezing“.

Wer sich bei Dr. Aimee behandeln lässt, braucht Geld. 10.000 Dollar kostet es, Eizellen einfrieren zu lassen, dazu kommen 400 bis 500 Dollar jährlich für die Lagerung. Wenn Frauen sich entscheiden, die Eier tatsächlich zu benutzen, folgen weitere Kosten. 25.000 Dollar ist in etwa der Endpreis für die Chance auf ein Kind. Eine künstliche Befruchtung koste ähnlich viel, argumentiert Dr. Aimee. In Deutschland kostet das Einfrieren der Eizellen etwa 3.000 bis 4.000 Euro pro Zyklus plus Lagerung. Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.

Stephanie Young hat sich entschieden, das Geld auszugeben – nachdem sie eine der „Social Freezing Partys“ besucht hat. Young ist im Herbst 40 geworden, sie sieht jünger aus, sportlich. Im Juni hat sie sich von Dr. Aimee behandeln lassen. Die beiden kennen sich aus Schulzeiten, hatten sich lange nicht gesehen, eigentlich wollten sie nur nach einer der Partys etwas trinken gehen. Dann hörte Young den Vortrag der Ärztin, sprach mit den anderen Frauen und machte am nächsten Tag einen Termin in der Praxis. Warum haben Männer eine fast unbegrenzte biologische Uhr und Frauen nicht, fragte sie sich. „Ich weiß nicht, wohin mein Leben mich führt, aber ich wollte diese Tür einfach ein bisschen länger offen lassen.“

„Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft“, sagt Dr. Aimee Eyvazzadeh Foto: privat

Young arbeitet in San Francisco als Beraterin für IT-Unternehmen, das „Social Freezing“ ist eine Option für die Zukunft. Aber keine für die Ewigkeit, die 40-Jährige ist da sehr klar. So klar, wie sie sich dafür entschieden hat, offen über ihre Entscheidung zu sprechen und im Café auf ihrem Telefon Bilder von den Medikamenten und Spritzen zeigt, die sie sich selbst setzen musste, so klar sagt sie: „Das Zeitfenster wird sich irgendwann schließen.“ Die älteste Patientin von Dr. Aimee ist 48 Jahre, eine Schwangerschaft extrem unwahrscheinlich. „Ich sage allen Frauen, wie ihre Chancen stehen, aber es ist nicht an mir, irgendjemanden zu diskriminieren“, sagt die Ärztin.

„Ich will eine aktive, junge Mutter sein“, sagt Stephanie Young. Acht Eizellen wurden ihr entnommen und eingefroren, Dr. Aimee empfahl eine weitere Behandlung, um noch mehr Eizellen zu gewinnen. Young hat sich dagegen entschieden. „Ich habe einen ehrlichen Versuch unternommen, aber ich will es auch nicht erzwingen“, sagt sie. Da sie selbstständig ist, trägt sie die Kosten selbst.

Dass Unternehmen Frauen den Eingriff finanzieren, findet sie nicht problematisch. „Jeder ist verantwortlich für sich, Unternehmen eröffnen damit nur Chancen, entscheiden muss jede Frau für sich.“ Immer wieder: Chancen, Entscheidungen. Danach lebt Young. 40, derzeit Single und noch keine Mutter? Na und, sagt Young. „Ich bin, wer ich bin, weil ich Entscheidungen getroffen habe.“ Eine davon ist auch das „Social Freezing“.

Kein Nachfrage-Boom

Nicht jede Frau agiert so selbstbewusst. Zurück in Dr. Aimees Büro fehlen sämtliche Bilder von glücklichen Babys, die in anderen Praxen zum Standard gehören. Die 39-Jährige, die selbst drei Kinder hat, mag die Bilder nicht. Außerdem sind die Gesprächssituationen mit Frauen, die sich für das Einfrieren von Eizellen entscheiden, nicht immer einfach.

Es geht für viele dann doch um mehr als Chancen und offene Türen. „Viele meiner Patienten realisieren erst hier, dass der Kindheitstraum, den sie vielleicht einmal hatten, ausgeträumt ist.“ Der Weg zum Kind, er ist nicht mehr das 50er-Jahre-Klischee inklusive rosa Babytapete. Das erste Kind, das über den Weg des Social Freezing in Eyvazzadehs Praxis geboren wurde, ist heute fast fünf Jahre alt.

30 bis 40 Frauen kommen in der Regel zu den Partys von Dr. Aimee. Sie sagt: „Ich will aufklären und eine gute Atmosphäre schaffen, aber keine falschen Hoffnungen wecken.“ Drei Gäste machen im Schnitt einen Termin in der Praxis. Die erste Party fand kurz vor den Ankündigungen von Facebook und Apple statt. Einen Boom in der Nachfrage erlebt die Ärztin nach eigenen Angaben noch nicht.

Freiheit, Versprechen, Chance? Eingefrorene Eizellen Foto: dpa

Andere Praxen in den USA verzeichnen mehr Patienten, seit die Behandlung in den USA seit 2012 nicht mehr als experimentell gilt. Doch der öffentliche Diskurs ist erst jetzt breiter geworden, und die „Eizellenflüsterin“ vermarket ihre Dienste geschickt. 100.000 Dollar hat sie in die Partys gesteckt. Von Medizinfirmen lasse sie sich, so sagt sie, nicht sponsern, aber die Gäste sollen schon in ihrer Praxis landen. Im Februar steht die nächste Party an, die Nachfrage ist groß. Und sie plant, Firmen ihre Dienste anzubieten, ein Markt für die Kinder-nach-Karriere-Wünsche.

Stephanie Young ist sich nicht sicher, ob sie ihre Eizellen jemals nutzen will oder wird. Sie strahlt große Gelassenheit aus, wenn sie entspannt ihre Geschichte erzählt. Das „Social Freezing“ ist für sie Freiheit, die sie sich leistet. Anderen Frauen geht es anders, der Druck kann groß sein. Dr. Aimee sieht in ihren Patientinnen die besten Eltern, „denn sie wollen es so unbedingt.“ Und dafür zahlen sie einen hohen Preis – die Erfüllung des Traums nicht ausgeschlossen, aber auch nicht garantiert.

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5 Kommentare

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  • Ein schönes Beispiel wie man Menschen, hier im Speziellen Frauen, auf perfideste Weise gegen ihre eigenen Interessen konditionieren kann.

    Statt eine Gesellschaft zu fördern und zu verwirklichen, in welcher das Gründen einer Familie, auch schon in jungen Jahren und die berufliche Selbstverwirklichung eben KEIN Widerspruch oder Karriereknick darstellt, wird hier versucht, dass Abgreifen der leistungsfähigsten Lebensphase zugunsten neoliberaler Konzerninteressen auch noch als sozial und feministisch zu verkaufen. Zynischer und perfider geht es kaum noch!

     

    Verwunderlich, dass ausgerechnet gut ausgebildete Frauen diese Propaganda nicht sofort erkennen.

     

    Das auch hier bemühte Stereotyp vom potenten Mann, welcher ja auch noch mit 65 Jahren anfangen könne, seine Familienplanung zu realisieren, was ja gegenüber der Frau sooo ungerecht und sexistisch sei, hält selbst einer Kurzrecherche nicht einmal 5 Minuten stand, von einigen wenigen prominenten Beispielen älterer Männer mit erheblich jüngeren Frauen einmal abgesehen.

     

    Insgesamt scheint sich in der Evolution ja irgendetwas als vorteilhaft für die Reproduktion erwiesen zu haben, die fruchtbarste Lebensphase mit der körperlich leistungsfähigsten Lebensphase zusammen zu legen, aller neoliberaler Ideologie zum Trotz!

     

    Super. Nach der "marktkonformen Demokratie" bekommen wir jetzt auch noch die "marktkonforme Biologie".

  • Ganz grausam was sich da entwickelt hat, aber da ich weiß, dass hier jeder Widerstand verhallen wird, weil eben auch sehr viel Geld damit verdient werden kann, sehe ich schwarz. Die Menschheit weiß doch wie sie Kunden gewinnen kann. Es scheint hier auch kein Mensch Angst vor Missbrauch zu haben, denn es könnten ja auch andere diese Eizellen eingepflanzt bekommen, wer will das garantieren. Krnkenhäuser stehen zuhauf in den medien mit schlimmsten Missbrauch. Auch schließe ich nicht aus, dass sich minderwertig fühlende Männer, wie die bei dem IS, davon profitieren könnten. Da sie sich dadurch, dass sie keine Kinder bekommen können, im Nachteil sehen. Die einzigen, die ein Verstärken verhindern können, sind die potenziellen Kunden.

    • @streitbar:

      Würde gerne meine Fehler korrigieren, geht leider nicht, sorry dafür!

  • Es sollte wohl eher „Asocial Freezing“ heißen. Denn "sozial" ist dieser Wahnsinn nicht. Die gesundheitlichen Risiken für "alte" Mütter und deren Kinder werden zu Gunsten der Verfügbarkeit von Arbeitskraft bewusst ausgeblendet. Mal abgesehen davon, dass es für das Kind auch nicht toll ist, wenn die Eltern den Kinderwagen als Rollator nutzen müssen.

  • Wer den Begriff durchsetzt, bestimmt auch, wonach eine Sache klingt. "Social Freezing" ist ein perverser Begriff. Wo es sozial ist, da fühlt sich niemand gezwungen, seine Kinder mit einem medizinisch unnötigen operativen Eingriffen in den Mutterleib zu implantieren. Die TAZ setzt "Social Freezing" in Anführungsstriche - ich finde, das reicht nicht. Wie wäre es mit "medizinisch nicht indizierter künstlicher Befruchtung"?