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kommentar von Anja Maierüber Wolfgang Schäubles Angriff auf die KanzlerinMerkels Menetekel

Merkels loyaler Kassenverwalter rückt immer deut­licher von der Chefin ab

Stets war Wolfgang Schäuble der Mann weniger Worte an Angela Merkels Seite. Brav hatte der Bundes­finanzminister gegen seine eigene Überzeugung die Milliarden für Griechenland durchgeboxt. Und als wegen des Flüchtlingszuzugs die Frage aufkam, wie das alles bezahlt werden solle, beschwichtigte er: Am Geld werde die Sache jedenfalls nicht scheitern.

Doch jetzt scheitert „die Sache“ möglicherweise an Schäuble selbst. Aus Merkels Mann ist binnen weniger Wochen Merkels Menetekel geworden. Erst bezeichnete er die Stimmung an der CDU-Basis als „dramatisch“. Dann verteidigte er Innenminister Thomas de Maizière gegen die Kanzlerin: Deutschlands Aufnahmekapazität sei eben „nicht unbegrenzt“. Und nun hat der einflussreiche Unionspolitiker die nach Europa kommenden Flüchtlinge als „Lawine“ bezeichnet. Ausgelöst würden Lawinen bekanntlich, „wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt“. Es war deutlich, wer mit diesem Skifahrer gemeint war: die Kanzlerin selbst.

Man könnte dieses Bild einordnen in die Reihe jener sprachlichen Fühl­losigkeiten, die in diesen Monaten durch die Berichterstattung geistern. Wo im Zusammenhang mit Menschen auf der Flucht von Wellen, Fluten und unkon­trol­lierbaren Strömungen gesprochen wird, da ist die Lawine nicht weit. Die neue deutsche Härte findet ihren Ausdruck natürlich auch in unpassenden Sprachbildern.

Aber in diesem Konzert der Zweifler, Nörgler und Entmutiger ist Wolfgang Schäuble eine besonders wichtige Stimme. Merkels loyaler Kassenverwalter rückt – gemeinsam mit dem Innenminister – immer deutlicher, immer lauter von der Chefin ab. Der aktuelle Skifahrer-Vergleich offenbart die fast schon herablassende Sicht auf die Kanzlerin und Parteivorsitzende. Damit es auch der Letzte kapiert, setzte Schäuble nach: Eine so große Herausforderung wie diese Lawine „können wir Deutsche nicht alleine meistern“.

Die Frage ist nun, was die Absicht hinter all den Attacken sein könnte. Wollen Merkels wichtigste Minister die Kanzlerin stürzen? Schon ein flüchtiger Blick auf mögliche Nachfolger verursacht Ratlosigkeit. Wollen sie, dass Merkel in der Flüchtlingsfrage ihren Kurs ändert und die Grenze dicht macht? Allein das Ausmaß der Verantwortung für ein noch größeres Flüchtlingselend mitten im reichen Europa würde die CDU auf sehr lange Zeit unwählbar machen.

Wohlgemerkt, in der Kommentierung des Flüchtlingsthemas wechseln die Gefühle zwischen Resignation und Optimismus neuerdings in hoher Schlagzahl. Fehler passieren. Und auch Schäubles Ausfall könnte man als unbedacht abtun. Wäre das so, hätte der Politprofi das klarstellen können. Aber die CDU, in der noch bis vor Kurzem das Heben einer Augenbraue der Vorsitzenden als Zeichen äußerster Verstimmung interpretiert worden war, hat den zielführenden Diskurs offenbar verlernt. Dieser Tage erlebt Europa eine sich selbst blockierende Regierung im Pöbelmodus. Das ist tragisch, vor allem für die Flüchtlinge und ihre Unterstützer.

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