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Islamwissenschaftler über IS im Sinai„Ausweitung des Aktionsradius“

Guido Steinberg über die These, dass der IS für den Absturz des russischen Flugzeuges verantwortlich ist, Ableger der Terrorgruppe und ihre Strategien.

Wer oder was ist für den Absturz der russischen Maschine verantwortlich? Foto: dpa
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Steinberg, der Absturz eines russischen Passagierflugzeugs auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel scheint auf eine Bombe zurückzugehen. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hat sich zu der Tat bekannt. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario?

Guido Steinberg: Obwohl es noch eine Arbeitshypothese ist, müssen wir wohl von einem Bombenanschlag ausgehen. Der IS hat sich dazu bekannt, allerdings nicht die Zentrale, sondern einer der sogenannten Ableger, die „Provinz Sinai“. Das ist letztendlich eine unabhängige Gruppe, die sich dem IS angeschlossen hat.

Was spricht dafür, dass es die „Provinz Sinai“ war?

Zunächst einmal gibt es zwei Bekennungen. Die erste ist auf Twitter erschienen, auf einer einschlägigen Seite im üblichen Layout und mit einem Vokabular, das man von einer solchen Gruppe erwartet. Und natürlich spricht der Abflugort Scharm al-Scheich dafür. Die „Provinz Sinai“ ist die einzige starke dschihadistische Organisation auf dem Sinai. Mittlerweile gibt es eine zweite Bekennung der „Provinz Sinai“, aber die hat auch nicht dazu beigetragen, letzte Zweifel auszuräumen. Denn auch dort hat die Gruppe keine Informationen, die nur den Attentätern vorliegen können, präsentiert.

Was weiß man über diese Organisation?

Es ist ursprünglich eine ägyptische Gruppe, die es seit etwa 2004 gibt. Sie ist auf dem Sinai entstanden und hat schon 2005 große Anschläge auf Touristenzentren verübt, unter anderem einen Anschlag in Scharm al- Scheich, dem fast 100 Touristen und Ägypter zum Opfer gefallen sind. Seit 2011 heißt sie „Helfer Jerusalems“, im November 2014 hat sie sich dem IS angeschlossen. Seit dem Staatsstreich des Militärs 2013 ist sie immer stärker geworden und operiert nicht mehr nur auf dem Sinai, sondern auch im ägyptischen Kernland. Ihre Aktivitäten haben enorm zugenommen. Die Terrorismusbekämpfung der Ägypter ist gescheitert.

Inwiefern?

Das Sisi-Regime, das ja angeblich für Stabilität sorgen will, bekämpft die gesamte islamistische Szene einschließlich der Muslimbruderschaft als Terroristen. Das ist absurd und hat unter anderem dazu geführt, dass die „Provinz Sinai“ sehr viel stärker geworden ist.

SWP
Im Interview: Guido Steinberg

ist promovierter Islamwissenschaftler und arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zu den Schwerpunkten Naher Osten und Islamismus. Bis Oktober 2005 war er Terrorismus-Referent im Bundeskanzleramt.

Wenn die „Provinz Sinai“ diesen Anschlag durchgeführt hat, was war das Ziel?

Zum einen will der Ableger zeigen, dass er der Unterstützung durch den IS wert ist, und greift ein russisches Ziel an, weil Russland den IS in Syrien bekämpft. Zum anderen will er den ägyptischen Staat schwächen, und das geht am besten mit einem Angriff auf den Tourismus, der für die Wirtschaft so wichtig ist.

Es wäre der erste IS-Anschlag auf ein Passagierflugzeug. Ändert der IS gerade die Strategie?

Der IS konzentriert sich weiterhin auf den Irak und auf Syrien; er hat immer klargemacht, dass Anschläge in der westlichen Welt keine Priorität sind. Allerdings haben sich 2014 mehrere kleinere Gruppen angeschlossen, und die „Provinz Sinai“ ist neben libyschen Gruppierungen die Gruppe mit der engsten Bindung an die IS-Zentrale. Sie ist einerseits sehr stark lokal verankert und bekämpft den ägyptischen Staat, andererseits hat sie sich an den IS gebunden, der eine weitergehende Agenda hat.

Dass aber gezielt ein russisches Flugzeug ausgewählt wurde, spricht dafür, dass die Organisation jetzt auch die weiter entfernten Feinde angreifen möchte. Aber wir wissen ja noch gar nicht sicher, ob die „Provinz Sinai“ den Anschlag wirklich verübt hat. Und schon gar nicht, ob die IS-Führung informiert war oder sogar entschieden hat. Wenn es aber eine Entscheidung der Führung war, dann haben wir es mit einer enormen Ausweitung des Aktionsradius des IS zu tun.

Was würde solch ein Strategiewechsel für Europa bedeuten?

Den großen Strategiewechsel hin zum Kampf gegen Europa in Europa gibt es noch nicht. Eher nutzt die Organisation, dass sie Ableger hat, die auch mal ein russisches Flugzeug angreifen können. Ich glaube immer noch, dass der IS vor allem im Irak und in Syrien Anschläge verüben will, dass er aber Gelegenheiten nutzt. Es hat ja bereits Anschläge in Europa gegeben. Ich glaube, dass das noch eine Weile so weitergeht. Aber in der Ideologie der Organisation ist eine Internationalisierung angelegt.

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1 Kommentar

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  • Meiner Meinung nach zeigt Herr Steinbach sehr klar auf, welches "Konfliktpotenzial" besteht. Der "IS", oder einer seiner "angedockten" Organisationen "vor Ort" haben die Möglichkeit, immer und überall zuzuschlagen.

     

    Und der militärisch hochgerüstete, mit allen modernen Waffentechniken ausgestattete Westen versucht, das Problem mit Bombenangriffen, jetzt auch in Landstrichen, die für die Rohöl-Gewinnung und -verarbeitung wichtig sind, zu lösen. Dass damit diese Auseinandersetzung nicht zu gewinnen, sondern wiederum nur zu verlieren ist, scheint mir klar zu sein ... - brennt der erste Öl-Komplex, verursacht durch eine Bombe oder Splitter davon, fliegt uns "der Laden um die Ohren".

     

    The same procedere every year ... - der Westen hat kein Konzept. Bomben abwerfen bringt Fernsehbilder, die in der Heimat zeigen (sollen), dass man es "im Griff" hat, aber die Gemengelage wird komplexer, komplizierter und das Problem immer unlösbarer.