Nepal nach der Katastrophe: Ein Fest fürs Leben nach dem Beben
Der Tourismus kommt zaghaft wieder in die Gänge. Die Nepalesen warten darauf. Reiseveranstalter vor Ort unterstützen den Aufbau.
Schön war er, der Narayan-Tempel, so viel lässt sich sagen. Über der roten Backsteinpyramide schwangen drei viereckige Pagodendächer aus, getragen von filigran geschnitzten Dachsparren, die sich vor dem Weiß des Kerngebäudes abhoben – mehr ist auf dem Schwarz-Weiß-Foto eigentlich nicht zu erkennen, das vor dem übriggebliebenen Ziegelsockel hängt. Der Tempel selbst ist weg. Zusammengefallen wie eine Sandburg, als die Erde am 25. April zitterte. Der Schutt ist inzwischen weggeräumt.
Die Erdbeben von April und Mai dieses Jahres haben einige Lücken auf dem Durbar Square von Kathmandu hinterlassen. König Mallas ist von seiner Säule gekracht. Wo der Kasthamandap stand, der Tempel, in dem Touristen wie Einheimische ein und aus gingen und nach dem die Stadt ihren Namen hat, liegen heute Steinhaufen. Am einstigen Eingang hat sich ein Mönch mit Schale aufgebaut und wartet auf Spenden.
Frauen, die orangefarbene Blütenketten und Öllichter für den Shiva-Schrein verkaufen, sitzen im Staub, darüber sind bunte Fähnchen aufgespannt. Auch der alte Königspalast hat gelitten. Der rote Affengott Hanuman und die beiden Löwen, die den Eingang bewachen, sind unter einem Gerüst versteckt. Risse durchziehen die weiße Fassade, in den Höfen stapeln sich altersdunkle Balken.
In Kathmandu klaffen manchmal Lücken
Das Erdbeben: Am 25. April und am 12. Mai 2015 bebte in Nepal die Erde. 8.800 Menschen starben, über 700.000 Häuser und 20.000 Schulen wurden beschädigt. Betroffen waren vor allem die Regionen Langtang, Manaslu und Helambu.
Die Reiseveranstalter: Sie öffneten ihre Lager mit Schlafsäcken und Zelten und kauften Wellblech für Notunterkünfte. Kurz darauf beschlossen die 130 Mitglieder des forums anders reisen in Deutschland, künftig alle CO2-Kompensationszahlungen in das Projekt „Neue Energie für Nepal“ fließen zu lassen – um die 50.000 Euro pro Jahr. Davon werden Kleinbiogasanlagen und Solarkocher gefördert, um Holz und Geld zu sparen. In einem zweiten Schritt wird im Helambu-Gebiet eine besondere Trekkingroute entstehen. Entlang dieses „Climate trail“ sollen zukünftig alle Lodges, Krankenhäuser und Schulen mit erneuerbarer Energie ausgestattet werden. www.forumandersreisen.de
Wiederaufbau: Die österreichischen Reiseveranstalter weltweitwandern und die Alpinschule Innsbruck unterstützen den Wiederaufbau des Kinderheims „Bottlehouse“ in Nayapati. Derzeit werden dort 42 Kinder betreut. www.paroc.org.np
Und doch. Betrachtet man das Gesamtbild, hat das Herz Kathmandus nicht allzu sehr gelitten. Die meisten Heiligtümer sind an ihrem Platz, der Eindruck mittelalterlicher Ruhe ist erhalten geblieben. Nach wie vor stehen Tempel, Pagoden, Schreine und Säulen so dicht, dass der Besucher sich schwertut, sie zu unterscheiden.
In den Straßenzeilen der Innenstadt klaffen gelegentlich Lücken, manche Wände sind abgestützt, aber auch beim Blick vom Swayambhunath-Hügel mit seinem heiligen Affentempel wird noch einmal klar: Von Ruinenfeldern, wie sie manche Berichte zunächst beschworen, kann keine Rede sein.
Im Gegenteil: Kathmandu ist so laut, staubig, abgasgeschwängert und farbenprächtig-düster wie immer. Zweiräder, Fußgänger und Autos kämpfen um die Vorherrschaft in den engen Gassen, am Spiegel eines Shiva-Tempels richtet eine Schöne ihr Haar, Fahrradverkäufer bieten Äpfel aus Mustang an.
Und in den Geschäften stapeln sich die Waren, für die sich hoffentlich bald wieder Käufer finden: Gebetstrommeln, Pashmina-Schals, Schachspiele, Masken sowie eine ganze chinesische Jahresproduktion gefälschter Marken-Fleecejacken, -Bergstiefel und -Rucksäcke. Für Souvenirsammler ist die Stadt immer noch eine geheimnisvolle Grabbelkiste.
Große Schäden in Bhaktapur
Den Nachbarn Bhaktapur hat es heftiger erwischt. Das Tor in die alte Königsstadt ist eingestürzt, ebenso zwei wichtige Tempel im Zentrum. Sie gehören zum Unesco-Weltkulturerbe, wurden in den 70er Jahren mit deutscher Hilfe restauriert und werden wieder aufgebaut. Im Süden der Stadt aber, wo die Armen wohnten, brachen fast 80 Prozent aller Häuser zusammen. Nahe dem Zentrums, und doch nur zu finden, wenn man hingeführt wird, hausen immer noch bis zu 500 Menschen in einer Ansiedlung aus halbrunden Wellblechhütten.
Tata, ein indischer Konzern, hat sie und viele andere drei Monate lang mit Lebensmitteln versorgt. Inzwischen muss sich jede Familie selbst darum kümmern, Wasser in Tanks stellt das Rote Kreuz. Ein halbes Jahr, hat der Besitzer der Felder zugesagt, dürfen sie noch bleiben. Die eben zu Ende gehende nasse Monsun-Zeit haben sie genutzt, um den Schutt ihrer Häuser wegzuräumen. Mit dem Neuaufbau aber können sie nicht beginnen, weil die staatliche Planung, der zufolge künftig nur noch erdbebensichere Häuser gebaut werden dürfen, nicht abgeschlossen ist.
Ohnehin besitzen die wenigsten besitzen das Geld dafür. Angst vor einem weiteren schlimmen Beben haben nur wenige. Die Schildkröte, die nach altem Hindu-Glauben die Erde trägt, hat kurz gezuckt und ist wieder eingeschlafen. Und auch die Geologen beruhigen: Die unterirdischen Spannungen hätten sich abgebaut. Nun könne es wieder 60, 70 Jahre bis zum nächsten Crash dauern.
Und plötzlich war keiner mehr da
Nur zwei Straßen weiter sind wieder erste Touristen unterwegs. Sie bestaunen das berühmte geschnitzte Pfauenfenster, das das Beben unbeschadet überstanden hat. Sie hören sich Klangschalen an und blättern in Kalendern aus handgeschöpftem Papier. Und sie beobachten von den Dachterrassen der Restaurants aus bei einem kühlen Everest-Bier, wie Inderinnen in bunten Saris sich fotografieren. Die Wohnungslosen betrachten die Sorglosen ohne Neid.
Im Gegenteil: Sie sind froh, dass wenigstens einige der Blassen in Funktions-T-Shirts, Khakihosen und Wanderschuhen wieder zurück sind. Der Bruder arbeitet am Flughafen, eine Kusine in einer Wäscherei … Fünf Prozent aller Einwohner Nepals sind direkt im Tourismus tätig, unzählige andere leben indirekt davon. Das Erdbebenunglück hat auch von einem zum anderen Moment den Tourismus sozusagen abgestellt. 800.000 Besucher hatte das Land zuletzt Jahr für Jahr gezählt, darunter etwa 21.000 Deutsche. Und plötzlich war keiner mehr da.
Doch jetzt kommen sie zurück und finden ein nach wie vor großartiges Reiseland. Im Everest-Gebiet wurden viele Wege überprüft und sind wieder begehbar, die Lodges hat man, so weit nötig, instandgesetzt. Die Stadt Pokhara, 200 Kilometer westlich von Kathmandu, und der ganze Westen dahinter waren gar nicht betroffen. Von hier starten die Gruppen zur Annapurna-Umrundung.
Die Götter gnädig stimmen
An klaren Morgen steigen die Eisriesen wie schneebepuderte Kathedralen 6.000, 7.000, 8.000 Meter in den Himmel, weiß erhaben und bläulich glitzernd: Annapurna I, Machhapuchhare, Manaslu, Himachuli … In der Hauptstraße von Patan, der dritten großen Stadt im Kathmandu-Tal, setzt an diesem Nachmittag plötzlich ein schrilles Pfeifen und dumpfes Trommeln ein.
Eine hohe, grün ummantelte Säule ragt in den Himmel, die auf einem Wagen aus groben Holzblöcken festgezurrt ist, mit Tauen so dick wie Feuerwehrschläuchen. Davor sind Schalen mit Feuer entzündet, schwarze, fettige Schwaden steigen auf, jeder versucht, den Wagen oder seine mannshohen, rosa bemalten Räder zu berühren.
Patan feiert Machhendranath Jatra, das Fest des Schutzpatrons des Tales. Immer im April findet dieses Ereignis statt, bei dem die Bauern den nötigen Regen für ihre Reisfelder erbitten. In diesem Jahr machte die Natur einen dicken Strich durch die Rechnung. Doch jetzt im Herbst, auch wenn viele alles verloren haben und darüber hinaus zu wenig Regen fiel und die Ernte bescheiden ausfallen wird – jetzt feiern sie trotzdem. Man muss den Göttern dankbar sein und sie gnädig stimmen. Und außerdem: Ein Fest ist Leben. Und das Leben muss weitergehen.
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