: Wir haben’s in der Tatze
Wahl in einem Jahr Die drängendsten politischen Themen sind Flüchtlinge und Wohnen. Können die Parteien damit um Wähler werben?
Text Bert SchulzIllustration Eleonore Roedel
In einem Jahr wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt, der zuständige Innensenator Frank Henkel (CDU) wünscht sich den 18. September 2016 als Wahltag. Voraussetzung ist natürlich, dass die Koalition aus SPD und CDU noch so lange hält. Derzeit deutet wenig auf einen früheren Bruch hin: Zwar haben sich Rot und Schwarz nicht viel zu sagen, aber das ist kein neuer Zustand. Zum anderen ist man sich im Senat bewusst, dass die Herausforderungen durch die steigende Zahl der Flüchtlinge zu groß sind, um gerade jetzt ein Machtvakuum zu provozieren. Doch wie werden die Parteien das Thema 2016 behandeln? Darf man mit Flüchtlingen Wahlkampf machen?
Natürlich nicht, so die schnelle Antwort. Es geht um Menschen, um Schicksale, um Würde. Und bei keinem Thema ist die Angst so groß, dass rechtspopulistische Töne ganz schnell über den Stammtisch hinaus eine Stimmung erzeugen könnten, aus denen reaktionäre Gesinnung und Gewalt entstehen.
Tatsächlich wird natürlich das Thema Flüchtlinge – das durch die Besetzung des Kreuzberger Oranienplatzes im Herbst 2012 fast die gesamte Legislaturperiode präsent ist – längst politisch genutzt. Die stete Kritik vor allem der Opposition an Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und dem ihm unterstellten Landesamt für Soziales und Gesundheit (Lageso) ist dafür ein Beispiel. Andere sind die „Das Boot ist voll“-Thesen von Innensenator Frank Henkel (CDU).
Zu diesem Zeitpunkt betont die Politik vor allem die Herausforderungen der Verwaltung und die Verantwortung des Bundes. Was auch daran liegt, dass sich so viele Menschen für Flüchtlinge engagieren. Und da niemand so genau weiß, wie umfassend die Empathien für Menschen aus Syrien oder dem Irak verbreitet ist, wird kein Politiker den Fehler begehen, diesen Einsatz zu diskreditieren. Es ist dieses Engagement, das Senat und Opposition nach dem missglückten Tempelhof-Volksentscheid fördern wollten.
Die absehbare Auseinandersetzung beim Thema Flüchtlinge wird also eine schwierige Gratwanderung. Viel wird davon abhängen, wie sich der bisherige und wohl auch künftige Regierende Bürgermeister positioniert: ob er das Trennende oder das Verbindende betont, ob er sich als geschickter Verwalter des Chaos präsentiert. Und ob bis zur Wahl nicht noch etwas Unvorhergesehenes passiert.
Das zweite große Thema der vergangenen Jahre waren die steigenden Mieten und die damit verbundene Verdrängung. Doch auch damit können nicht alle um Stimmen werben. Aus einem ganz anderen Grund: Während die SPD bis 2011 in dieser Hinsicht so gut wie alles falsch gemacht und Ausverkauf betrieben hat, haben ihre beiden Stadtentwicklungssenatoren Müller und Andreas Geisel seitdem alle landespolitischen Möglichkeiten ausgeschöpft und sogar radikal linke Forderungen aufgegriffen. Dagegen anzugehen wird für Grüne und Linkspartei schwierig.
So oder so: Bleibt es beim 18. September, wird die heiße Phase des Wahlkampfs sehr kurz ausfallen: Im Kommenden Jahr 2016 dauern die Schulferien bis zum 4. September. Danach sind es nur noch zwei Wochen bis zur Entscheidung.
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