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Zum Umgang mit FlüchtlingenDen Letzten beißen die Hunde

Die Politik versagt und schiebt Überforderung als Grund vor. Dadurch wird die Hilfe von Ehrenamtlichen notwendig und das dürfte nicht so sein.

Ein Leben in der Warteschleife: Flüchtlinge am Hauptbahnhof in München Foto: dpa

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán behauptet, an der Flüchtlingskrise seien nicht etwa seine Politik oder die EU schuld. Sondern Deutschland. Weil es den Hilfesuchenden dort zu gut geht. Wenn man diese unmenschliche Logik zu Ende denkt, dann lässt sich auch sagen: Die Verhältnisse in Syrien sind kein syrisches Problem, sondern ein deutsches – was sich unschwer daran erkennen lässt, dass derzeit sehr viel mehr Leute lieber in Hamburg als in Aleppo leben wollen.

So offen wie Orbán hat nur selten ein Spitzenpolitiker zum Rechtsbruch aufgerufen. Er bemüht sich nicht einmal mehr um den Anschein, die Genfer Flüchtlingskonvention – also geltendes Völkerrecht – beachten zu wollen. Ein großes Risiko geht er damit nicht ein. Selbst wenn Ungarn von einem anderen Staat verklagt werden sollte: Dann wird man eben behaupten, „überfordert“ zu sein.

Das ist ja derzeit überall die Entschuldigung für das Versagen von Politik und Adminis­tration. Dabei entpuppt sich der Begriff der Überforderung täglich mehr als scheinheilig. Die Bilder gestrandeter Flüchtlinge, denen es am Nötigsten mangelt, wirken inszeniert. Auch und gerade in Deutschland.

Kommunen scheinen damit dem Bund deutlich machen zu wollen, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt werden muss; der Bund will offenbar den Druck auf die EU-Partner erhöhen. Den Letzten beißen die Hunde. Das sind in diesem Fall: die Flüchtlinge.

Ohne die eindrucksvolle Hilfe erstaunlich großer Teile der Bevölkerung müssten noch mehr Notleidende im Freien übernachten oder ohne warme Mahlzeit auskommen. Deshalb ist die Hilfe notwendig. Was nichts daran ändert, dass sie es nicht sein dürfte. Es ist absurd, dass die Erstversorgung von Kriegsvertriebenen in Europa man­cher­orts schlechter ist als in den ärmsten Regionen dieser Welt. Derzeit ist man zunächst oft besser dran, wenn man in Afrika strandet, als wenn man in Berlin landet.

Zugegeben: In einigen Bereichen kommen selbst reiche Staaten wie Deutschland vermutlich nicht ohne Ehrenamtliche aus. Beim Sprachunterricht für Flüchtlingskinder, beispielsweise. Dafür kann kein Bundesland in einer Situation wie dieser genügend Lehrkräfte „vorhalten“; jede entsprechende Forderung wäre unrealistisch.

Aber Wohnraum, Nahrung, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung von Notleidenden: Das sind staatliche Aufgaben, dafür werden Steuern gezahlt. Wenn Ehrenamtliche erst einmal damit angefangen haben, die öffentliche Hand zu entlasten, dann ist der Weg zum Nachtwächterstaat nicht mehr weit. Auch das ist eine der Gefahren, die hinter der gegenwärtigen Situation lauern.

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8 Kommentare

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  • 350 000 Flüchtlinge - 750 Mio Europäer das sind schlappe 0.04% Krise ? Echt jez ?

  • Sprachen lernen nach der Vera F. Birkenbiehl Methode.

  • Wenn Ehrenamtliche Deutsch unterrichten können, dann können das auch Menschen machen, die vom Staat bezahlt werden.

     

    Ich würde mich sehr wundern, wenn unter den Massen an über 50jährigen Arbeitslosen, die von HartzIV leben, nicht ausreichend Menschen wären, die mit ein bisschen Zusatzqualifikation das schnell hinbekommen würden.

  • Warum gibt es keine Sprachkurse im Fernsehen (3.Programme) und in der Mediathek-online abrufbar nach dem Vorbild des Telekollegs in den 70iger Jahren (man konnte damals die mittlere Reife per Tv-Kurs erwerben). Selbst verschiedene Varianten nach Herkunftssprachen für Grammatikerläuterungen wären kostengünstig machbar. Es gibt doch bereits ein von zwei pensionierten Lehrern entwickeltes Kurskonzept für Flüchtlinge. Das kann doch nicht so schwer sein!!!!!!!!!!!!!!

  • tja nachdem man sich monatelang ums Geld gekümmert hat, hatte man keine Zeit für andere Probleme und in D hat man aus der Wiedervereinigung auch nix gelernt , mit einem Wort unssere Politik nicht nur in D sondern auch weltweit. ist eben Chaos, da hilft niemand

  • Die Sprache lernt man am Besten, wenn man viel mit Deutschen zusammen ist , den Klang der sprache erstmal ohne Druck in sich aufnimmt und dann loslegt ohne besserwisserische Korrektur , denn damit baut man Hemmnisse und Scham auf. Der Sprachpate wiederholt nur das falsch ausgesprochene Wort " richtig" . Grammatikregeln pauken bringt Garnichts, im Gegenteil. Durch Grammatikregeln hat noch niemand eine Sprache gelernt.

  • Frau Gaus seid wann sprechen Sie sich gegen geltendes Kinderrecht aus? Artikel 28 der UN Kinderrechtskonvention garantiert gleichberechtigten Zugang zum Bildungssystem des Asyllandes!

     

    In Berlin gilt für Flüchtlingskinder die allgemeine Schulpflicht (Paragraph 41 SchulG)!

     

    Sollen diese Rechte jetzt plötzlich auser Kraft gesetzt werden und staatliche Aufgaben wie die allgemeine Schulbildung und die schulische Integration von Ehrenamtlichen gestemmt werden?

  • Ein deutsches Problem sind die in Ungarn gestrandeten Syrien-Flüchtlinge in sofern, als man nicht ungestraft Flüchtlinge erster bis dritter Klasse unterscheidet. Dieser untaugliche Versuch einer Imagepflege musste der Kanzlerin ganz einfach auf die Füße fallen. So etwas kommt davon, wenn man sich nach einem misslungenen PR-Auftritt von den Medien treiben lässt.

     

    Die Genfer Konvention gilt für alle Menschen gleichermaßen. Die Syrer allerdings genießen seit Jahren schon die besondere Unterstützung der Massenmedien. Auch, weil sie vor einem (Bürger-)Krieg flüchten, den westlich orientierte Studenten und freiheitsliebende junge Frauen blauäugig und in allerbester Absicht ausgelöst haben mit ihren von den europäischen Wendejahren inspirierten Protesten. Und weil "der Westen" nicht versuchen will, diesen (Bürger-)Krieg wie gewohnt militärisch zu beenden (man ist noch mit den letzten Versuchen dieser Art beschäftigt), hat nicht allein Frau Merkel ein Gewissensproblem. Auch andere "Entscheidungsträger" sehen Syrer in einer Sonderrolle.

     

    Diese allerdings dürften sie weder aus moralischen noch aus ganz praktischen Erwägungen haben. Menschenrechte, die an einem ideellen Wert festgemacht werden, der vom Gewissen der Helfer abhängt, sind keine Menschen-, sondern Sonderrechte. Wer solche Sonderrechte in Aussicht stellt, muss damit rechnen, dass sie auch beansprucht werden. Und zwar von jedem, der einen entsprechenden Pass besitzt.

     

    Auf die Konsequenzen eigener Entscheidungen nicht vernünftig zu reagieren, ist durchaus ein Zeichen von Überforderung. Schade nur, dass dieses Totalversagen der politisch Zuständigen keine Konsequenzen hat. Es war wohl bisher derart unvorstellbar, dass es keine Regeln für den Umgang damit gibt. Wer öffentlich versagt, kann trotzdem mächtig bleiben. So offen wie Pan Orbán hat das bisher nur selten ein europäischer Spitzenpolitiker gezeigt. Höchstens eine -in.