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Köhlers eigenes Heim

AUS KÖNIGS WUSTERHAUSENJOHANNES GERNERT

In Königs Wusterhausen bei Berlin stehen 35 komplett eingerichtete, aber unbewohnte Häuser um eine große Wiese. In einem dieser Häuser versucht Familie Köhler gerade, sich die Trennwand zwischen Küche und Esszimmer halbiert vorzustellen, als Durchreiche. Vater Köhler schneidet mit der flachen Hand die obere Hälfte ab. Mutter Köhler schaut interessiert. Auf der Küchenanrichte steht eine Schale Plastikgemüse, auf dem Esstisch drei rote Kerzen, vier Sektkelche und eine Schale Plastikobst. Köhlers wollen ein Haus bauen. Deshalb sind sie in die Musterhausausstellung „Haus im Grünen“ gefahren, haben 10 Euro Eintritt gezahlt, zwei Erwachsene, zwei Kinder, und sind nun bemüht, das Musterhaus „Berlin“ der Firma Bodenseehaus individuell umzugestalten – gedanklich. Der Hauswunsch ist recht konkret. Sie suchen auch ein Grundstück. Und sie werden sich jetzt beeilen müssen.

Im 30 Kilometer entfernten Berlin überlegt die Arbeitsgemeinschaft Finanzen zurzeit, wie eine große Koalition 35 Milliarden Euro sparen kann. Von Rasenmähern und Gießkannen ist da die Rede, von Heulen und Zähneklappern, von Abschmelzungen und Subventionskürzungen. Im 19. Subventionsbericht der Bundesregierung steht ganz oben auf der Liste der „20 größten Steuervergünstigungen“ die Eigenheimzulage. Kosten im Jahr 2004: 11,5 Milliarden Euro. Fiele die Eigenheimzulage weg, brächte das langfristig viel Geld. Dass sie wegfällt, gilt mittlerweile als unstrittig, vielleicht sogar schon zum 1. 1. 2006. Bisher aber ist es noch so: Der Bürger baut, der Staat legt ein bisschen was dazu. Gut 20.000 Euro in acht Jahren, wenn der bauende Bürger nicht zu viel verdient und ein paar Kinder hat.

Der bauwillige Bürger Köhler verfolgt genau, was da in Berlin gerade passiert. „Mit der Eigenheimzulage steht und fällt alles bei uns“, sagt er. Falls es schon im neuen Jahr keine mehr gibt, werden sie zusehen, dass sie vorher noch schnell ein Grundstück finden, einen Architekten beauftragen und dann einen Bauantrag stellen. Vor einem Jahr, als die staatliche Bauförderung um 30 Prozent gekürzt wurde, hat es genügt, den Bauantrag noch im alten Förderzeitraum einzureichen, um die höhere Zulage zu bekommen. Es sind damals ziemlich viele Bauanträge gestellt worden. Notare, Architekten und Finanzberater haben kaum Weihnachten gefeiert, weil bis Sylvester alles fertig sein musste.

Familie Köhler war vor ein paar Jahren schon mal in der Musterhausaustellung. Da konnten sie aber noch nicht bauen. Sie hatten erst ein Kind, die Chantal. „Jedes Kind mehr ist von der Eigenheimzulage her gesehen ’ne interessante Sache“, sagt Markus Köhler. Nun fetzen Chantal und Marcel um den dunklen BMW in der Auffahrt. Köhler wird kurz sehr laut und energisch. Seine Frau schaut die Kinder strafend an und zieht an ihrer Zigarette. „Mit zwei Kindern ist es schon am optimalsten“, sagt er.

Das Musterhaus „Berlin“ käme für Familie Köhler durchaus in Frage. „Einfamilienhaus mit Wohnzimmer, zwei Kinderzimmer, Schlafzimmer, viel Licht, viele Fenster“, so beschreibt es der Verkäufer. Kosten: „123.000 Euro mit Architektenleistung.“ Es ist ein Fertighaus, das in einer Fabrik hergestellt wird, wie fast alle Häuser der Ausstellung. 110.000 Euro wollen Köhlers für das Haus ausgeben, 170.000 Euro insgesamt. Sie haben kein Eigenkapital. Er repariert als Kundendienstmechaniker Flurförderfahrzeuge, Bagger etwa, da bleibt am Monatsende nicht viel übrig. Sie würden eigentlich bei kaum einer Bank einen Kredit bekommen. Aber wenn sie die ganze Eigenheimzulage einbringen, sofort und alles auf einmal, bekommen sie einen. Normalerweise wird acht Jahre lang ausgezahlt. Wenn sie alles auf einmal wollen, gibt es 4.000 bis 5.000 Euro weniger. Familie Köhler ist ein Schwellenhaushalt. Sie würden sparsam bauen: Bodenplatte, ohne Keller. Sie würden erst mal nicht mehr in Urlaub fahren und jeden Monat eine Summe zwischen 500 und 800 Euro abbezahlen.

Man spricht viel von solchen Schwellenhaushalten in diesen Tagen. Bei den Bauverbänden, den Architekten, den Hypothekenbanken, ein bisschen auch bei den Notaren. Ohne Eigenheimzulage können Schwellenhaushalte nicht bauen. Man kann schwer sagen, wie viele es davon gibt. 2003 sind etwa 600.000 Häuser und Eigentumswohnungen neu gefördert worden. Wie viele Besitzer auf die Zulage angewiesen waren, darüber gibt es keine Zahlen. Der Bundesverband Deutscher Fertigbau, der Musterhausaustellungen wie diese hier betreibt, hat ausgerechnet: Jeder sechste Fertighausbau würde ohne Förderung wegfallen. Aber solche Gleichungen bestehen fast ausschließlich aus Unbekannten. Manche Experten sagen: Wer wirklich wollte, der hat schon kassiert. Dafür haben die vielen Kürzungs- und Streichungsankündigungen der letzten Jahre gesorgt. Danach ist jedes Mal die Zahl der Baugenehmigungen gestiegen.

„Träume werden Räume“ steht auf einem Plakat im Musterhauspark. Überall hängen solche Plakate. Darauf Häuser. Darunter Zahlen, Euro, daneben Zinsen. Vor den Einfamilienhäusern, Bungalows und Luxusvillen wehen die Fahnen der Haushersteller. Drinnen hängen an den Wänden gerahmte Bilder von anderen Häusern. Die Köhlers stehen auf der Terrasse des Musterhauses „Berlin“. Am Boden Geranienkästen. Im Fenster Gummibäume. Am Himmel die Oktobersonne. Sie gehen jetzt zum nächsten halbwegs erschwinglichen Einfamilienhaus. Die Luxusvillen meiden sie. „Träume“, sagt Markus Köhler, „da haben wir im Moment keine Zeit für.“

Man trifft außer der Familie Köhler nicht allzu viele Schwellenhaushalte an diesem Samstag im Musterhauspark. Der Kopilot und die schwangere Stewardess werden sich wegen der Eigenheimzulage nicht mit dem Hausbau beeilen. Obwohl ihnen ein Verkäufer hier dringend geraten hat, die Förderung noch mitzunehmen. „Wenn man die Zulage wirklich braucht“, sagt der Kopilot, „dann macht es keinen Spaß.“

Zwischen Sauna, Whirlpool und Dampfdusche ist die Lehrerin im Palais 119a ähnlicher Meinung: „Ich würde nicht allein auf die Eigenheimzulage bauen.“ Nach acht Jahren, wenn die Förderung endet, sei doch kein Normalsterblicher mit dem Abbezahlen fertig.

Im Wohnzimmer des Musterhauses „Berlin“ steht Franz Bartelt, der Verkäufer. Die bunten Blümchen auf seiner Krawatte passen zur etwas zu farbenfrohen Einrichtung. Bartelts Augenbrauen wuchern wie die von Theo Waigel, er presst manche Wörter durch die Nase wie Wolfgang Gerhard, er klingt wie ein Politiker bei Sabine Christiansen. „Über diese Frage ist nach meiner Meinung ganz stark nachzudenken“, sagt Bartelt und erklärt seine nicht ganz unkomplexe Meinung zur Eigenheimzulage: Eigentlich könnte man sie abschaffen. Wären da nicht die Leute, „die nicht begütert sind und trotzdem fleißig“. Die grenzt man mit der Abschaffung aus.

Dann muss sich Franz Bartelt kurz ein bisschen aufregen. Die Eigenheimzulage, sagt er, kostet den Staat im Grunde gar nichts, weil er alles, was er an Zulage zahlt, über die Mehrwertsteuer beim Hausbau wieder einnimmt. 100.000 Euro fürs Haus, 16 Prozent Mehrwertsteuer für den Staat, macht 16.000 Euro, das ist ungefähr die Eigenheimzulage. Na ja, es geht nicht ganz auf. Aber das Prinzip ist klar. Und das Wichtigste kommt jetzt: Ein Hausbau schafft Arbeitsplätze. Wenn, und darauf legt er Wert, die Aufträge an eine ordentliche Firma gehen. Wenn es nicht der Schwager schwarz macht, weil er zufällig Maurer ist. Im Augenblick, sagt Bartelt, fördert die Eigenheimförderung die Schwarzarbeit. Er könnte sich Folgendes vorstellen: „Du kriegst die Förderung nur, wenn du nachweist, dass du zu 80 Prozent über ’ne Firma gebaut hast.“

Gerade hat er eine Interessentin da, die will es auch noch bis zum Jahresende schaffen, wegen der Zulage. Die Frau arbeitet in einer Bank. Manche ihrer Kunden, erzählt sie, würden regelrecht auf den Tag im März warten, an dem die Eigenheimzulage überwiesen wird. Jedes Jahr. „Die verausgaben sich vorher“, sagt sie. Vor allem die mit Kindern.

Auf der Wiese vor dem Nachbarhaus unterhalten sich eine Architektin, ein freier Finanzierer und ein Fertighausverkäufer. Es werde ein paar Firmenpleiten mehr geben in der Bauwirtschaft, sagt die Architektin, ohne Eigenheimzulage, ohne die Schwellenhaushalte, die nicht mehr bauen können. Sie wartet zurzeit noch auf den Bauboom, den öffentliche Diskussionen über die Eigenheimzulage bisher zuverlässig ausgelöst haben. „Der Ansturm begann sonst immer Ende Oktober“, erinnert sie sich. Diesmal kommt er wohl ein bisschen später. Aber er wird kommen. Da ist sie sicher. Wenn die Eigenheimzulage tatsächlich am 31.12. 2005 ausläuft, wird Weihnachten bei den Architekten und Notaren zum letzten Mal nur ganz kurz gefeiert.

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