Opposition in Aserbaidschan: Nirgends sicher
Die Journalistin Khadija Ismajilowa kritisiert die Regierung. Nun steht sie vor Gericht. Unter anderem wegen Verleumdung.
Mit diesen Sätzen wandte sich die aserbaidschanische Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa im vergangenen Dezember an die Öffentlichkeit. Am 5. des Monats war die 39-Jährige festgenommen worden. Ihr werden Verleumdung, Steuerhinterziehung, illegale Geschäfte sowie Machtmissbrauch zur Last gelegt. An diesem Freitag beginnt der Prozess in der Hauptstadt Baku. Im Fall einer Verurteilung drohen Ismajilowa zwölf Jahre Haft.
Ursprünglich war ihr vorgeworfen worden, einen Kollegen zum Suizid angestiftet zu haben. Diese abstruse Beschuldigung wurde fallen gelassen. Im vergangenen April gab der potenzielle Selbstmörder Tural Mustafajev zu Protokoll, eine entsprechende Aussage unter Druck gemacht zu haben.
Dass eine Frau wie Ismajilowa mit der autoritären aserbaidschanischen Staatsmacht in Konflikt gerät und mundtot gemacht werden soll, verwundert nicht. Seit den 90er Jahren herrscht in der Südkaukasusrepublik der Alijew-Klan – auf Staatspräsident Heydar Alijew folgte nach dessen Tod 2003 sein Sohn Ilham. Wie schon sein Vater versteht auch der keinen Spaß, wenn es um Kritik an seiner Person beziehungsweise Regierung geht. Oppositionelle werden systematisch schikaniert und nach Schauprozessen ins Gefängnis gesteckt. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen sind derzeit acht Journalisten und vier Onlineaktivisten in Haft.
Weltoffen beim Eurovision Song Contest
Doch diese massiven Menschenrechtsverletzungen halten die Führung nicht davon ab, sich als weltoffen zu präsentieren und zu versuchen, sich ins rechte Licht zu setzen – so geschehen bei den Europaspielen im Juni oder beim Eurovision Song Contest in Baku 2012.
Ismajilowa, die unter anderem als Reporterin für den US-Sender Radio Freies Europa (dessen Bakuer Büro wurde Ende Dezember 2014 geschlossen) und das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) arbeitet, legt seit Jahren die korrupten Machenschaften der Alijew-Familie gnadenlos offen. So deckte sie unter anderem auf, dass der Alijew-Klan große Anteile der lukrativsten Branchen Aserbaidschans übernahm, einschließlich von Banken, Telefongesellschaften, der Mineral- sowie Bauindustrie, und dass dies oft unter Mitwirkung der aserbaidschanischen Regierung geschah. Weiterhin wurde bekannt, dass innerhalb von zwei Wochen im Jahre 2009 Ilham Alijews damals elf Jahre alter Sohn Besitzer von neun Strandhäusern in Dubai mit einem Gesamtwert von 44 Millionen Dollar wurde.
Auch am Bau der sogenannten Cristal Hall zum Schnäppchenpreis von 134 Millionen US-Dollar, die eigens für den ESC errichtet wurde, stieß sich die Alijew-Familie gesund. Nicht zuletzt auch aufgrund von Ismajilowas Recherchen ernannte das OCCRP Ilham Alijew im Dezember 2012 zum „korruptesten Mann des Jahres“ – der bis dato erste jemals verliehene Titel dieser Art.
Zu diesem Zeitpunkt stand Ismajilowa bei den staatlichen Behörden schon längst auf der Abschussliste. Im März desselben Jahres hatte die Journalisten Aufnahmen zugespielt bekommen, die sie angeblich beim Sex mit ihrem Freund in ihrem Schlafzimmer zeigten. In einem beiliegenden Brief wurde ihr eine „öffentliche Erniedrigung“ angedroht, sollte sie sich nicht „anständig verhalten“. Als Ismajilowa nicht auf diese Erpressungsversuche reagierte, landeten die Fotos im Netz.
Anonyme Drohungen
Vor einer Reise nach Straßburg im September 2014, wo sie vor dem Europaparlament über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan sprechen sollte, erhielt Ismajilowa massive anonyme Drohungen. Bei ihrer Rückkehr am 3. Oktober hielten die Behörden sie am Flughafen in Baku fest und unterzogen sie stundenlangen Verhören. Wenig später verhängte der Generalstaatsanwalt eine Ausreisesperre gegen Ismajilowa.
Nur einen Tag vor ihrer Festname am 5. Dezember 2014 meldete sich der Chef des Präsidialamtes, Ramiz Medijew, zu Wort. Ismajilowa sei ein Beispiel für Journalisten, die gegen die Regierung arbeiteten. „Sie tritt bei antiaserbaidschanischen Shows auf, gibt absurde Erklärungen ab, demonstriert ganz offen eine destruktive Haltung gegenüber bekannten Mitgliedern der aserbaidschanischen Gemeinschaft und verbreitet beleidigende Lügen“, ließ er wissen.
Das ließe sich, offizieller Lesart zufolge, wohl auch über den aserbaischanischen Journalisten Emin Milli sagen. Milli lebt in Deutschland, wo er mit Meydan TV einen oppositionellen aserbaidschanischen Sender betreibt. Unlängst wurde auch Milli bedroht. Er sei nicht mehr sicher, hieß es, weder in Deutschland noch anderswo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal