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Kommentar Europäische SchuldenkriseAuch Griechenland muss lernen

Kommentar von Richard Rother

Hätten andere europäische Sozialstaaten eine Steuermoral wie Griechenland, wären sie auch pleite. Das Land braucht Modernisierung.

Auch im Tourismus steckt eine Chance – Sightseeing-Bus in Athen. Foto: ap

W ahrscheinlich hatten viele in Brüssel gehofft, Alexis Tsipras nicht mehr wiederzusehen. Aber nun ist der griechische Ministerpräsident wieder präsent – und zwar stärker als je zuvor. Denn er hat nicht nur sein Hauruck-Referendum gegen die Sparauflagen klar gewonnen, sondern auch das Mandat der Opposition erhalten, eine Einigung mit den Gläubigern herbeizuführen – damit Griechenland im Euro bleiben kann.

Das ist eine große Chance für beide Seiten, auch wenn das Euro-Finanzministertreffen am Dienstag erst einmal im Eklat endete. Sie sollten sie nutzen, denn ein verarmtes Land im Chaos schadet allen – zuerst den Griechen selbst, aber auch den übrigen Europäern, die den Wert von Stabilität an der Südostflanke der EU nicht unterschätzen sollten.

Neue Verhandlungen über die Griechenlandrettung finden unter erschwerten Bedingungen statt. Zunächst müssen die vielen persönlichen Verletztheiten überwunden werden, die das Aneinandervorbeireden der vergangenen Wochen und Monate gebracht hatte.

Zudem herrscht in Griechenland Ausnahmezustand, weil das Land am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB) hängt. Dreht sie den Geldhahn zu, ist es aus. Dass sie ihn wieder aufdreht, scheitert ganz offensichtlich am Widerstand in Mittel-, Nord- und Osteuropa. Das kann man kritisieren, ändert aber nichts an den Machtverhältnissen innerhalb der Zentralbank – schon gar nicht auf die Schnelle.

Alexis Tsipras hätte längst mit einer Reform des Landes beginnen können.

Daher ist Eile geboten, eine tragfähige, für alle gesichtswahrende Lösung zu finden – zumal einige Euro-Hardliner versucht sein mögen, Griechenland am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.

Eine Lösung kann es nur geben, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Für die Gläubiger heißt das: anerkennen, dass ein Schuldenschnitt nötig und die Austeritätspolitik gescheitert ist. Aber auch Griechenland muss lernen: Wer einen europäischen Sozialstaat will, muss dafür sorgen, dass der Staat funktioniert. Dazu gehören effektive, nicht korrupte Verwaltungen; dazu gehören Steuerämter, die Steuern einziehen – und Bürger, die ihre Steuern auch bezahlen. Anders gesagt: Hätten andere europäische Sozialstaaten eine Steuermoral wie Griechenland, wären sie wohl auch pleite.

Klar, die Modernisierung einer Gesellschaft dauert. Dennoch hätte Tsipras längst mit ersten Schritten einer Verwaltungsreform beginnen können. Aber noch wichtiger ist die ökonomische Perspektive, auch um notwendige EU-Investitionshilfen zu bekommen: Welche Branchen sollen mit welchen Maßnahmen fit gemacht werden, damit die Wirtschaft wieder wächst?

Chancen gibt es genug: im Energiesektor mit dem Ausbau der Erneuerbaren und der Erschließung von Erdgasfeldern, im Tourismus mit dem Trend zum Aktivurlaub, in der Landwirtschaft, im Handel mit der Nähe zur boomenden Türkei.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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17 Kommentare

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  • Schade um den guten Artikel, wenn die Nachbarn plötzlich die Guten sind, der Fitness gefrönt und der längst überholten Modernisierung das Wort geredet wird.

    Mit freundlichen Grüßen.

  • Wer von den anderen Kommentatoren kennt denn die Massnahmen, die Syriza in ihrer kurzen Regierungszeit konkret getroffen haben?

     

    Mir ist klar, dass die Presse voll davon ist, Syriza würde nichts tun. Allerdings ist sie auch voll von den “Pleitegriechen”, die nicht “sparen” wollen – ein Märchen, vergleicht man das mit den volkswirtschaftlichen Zahlen.

     

    Also: wer hat das konkret geprüft? Oder plappern hier auch nur alle nach?

  • Das dt. Steuerwesen ist auch nicht as beste. Ungerecht von vorneherein, dann: Steuerhinterzieher-CDs schon vergessen und die Versuche der konservativen Elite deren Ankauf zu sabotieren? Die Steuerbeamten welche man wg. ungebührlicher Gründlichkeit für gaga hat erklären lassen? - Steuerkorruption ist in D vor allem besser ins System eingebaut.

    • @Ulrich Frank:

      Vor dem Gesetz sollen Alle gleich sein. Deshalb dürfen reiche Verbrecher genauso wenig auf Basis von illegal gesammelten Beweisen verfolgt werden wie arme. Jede Abweichung von dieser Anforderung, die mit politischen oder persönlichen Argumenten die Beschuldigtenrechte beschneiden will, ist eher ein Zeichen von Lynchmob- als von Rechtsstaatsmentalität.

       

      Und seien Sie versichert, würde man dem "kleinen" Schwarzarbeiter mit einem ähnlichen "Der-Zweck-heiligt-die-Mittel"-Ansatz auf den Leib rücken, wäre das Geschrei noch viel größer. Dabei wäre der potenzielle volkswirtschaftliche Nutzen einer effektiven Bekämpfung von Schwarzarbeit um ein Mehrfaches größer als die rückhaltlose Auswertung aller Steuer-CDs dieser Welt.

  • Tsipras wäre vermutlich tatsächlich gut beraten, schnellstens eine konkrete Vorstellung davon zu entwickeln (bzw. entwickeln zu lassen), wie Griechenland umzubauen ist in einen funktionsfähigen Sozialstaat. Seine Vorgänger haben schon viel zu viel Zeit damit verbummelt, den lieben Gott einen guten Mann sei zu lassen und nebenbei den eigenen Geldbeutel zu füllen. Wahrscheinlich waren die EU-Verträge in diesem Punkt einfach zu sehr „mit der heißen Nadel gestrickt“. Man wollte gar nicht so genau wissen, wie leistungsfähig die einzelnen Mitgliedstaaten sind. Die Hauptsache war, dass sie einen guten Absatzmarkt abgeben. Ob die Bürger ihre Steuern zahlen, war kein Kriterium. Das rächt sich nun.

     

    Nein, dass die „Hardliner“ (incl. Schäuble und Gabriel) sich überzeugen lassen werden von Tsipras‘ Vorstellungen (wie immer die auch aussehen mögen), ist nicht zu erwarten. Diesen Leuten ist Griechenland völlig egal und selbst die EU spielt keine große Rolle in ihren Überlegungen. Sie würden sogar persönliche Verluste hinnehmen, wenn sie der griechischen Regierung damit eine auswischen könnten. Aber um die „Hardliner“ geht es gar nicht. Es geht um all die, die den Griechen ernsthaft helfen wollen, wieder auf die Füße zu kommen. Denen, die sich gerne überzeugen lassen würden von Alexis Tsipras, sollte die griechische Regierung eine Chance dazu geben. Und diese Leute gibt es durchaus. Sie zu ignorieren, wäre ein schwerer Fehler. Einer, den sich weder Griechenland noch die EU und schon gar nicht die europäischen Linken leisten können.

  • Mittlerweile denke ich, dass die postkommunistische SYRIZA_Partei, wie die nationalistischen rechtspopulistischen Parteien, kein Interesse an Europa hat. Das Land soll gegen die Wand gefahren werden und die anderen haben die Schuld. Einen anderen Grund kann ich mir mittlerweile nicht mehr vorstellen, wenn keine handfesten Fahrpläne vorgelegt werden, Griechenland zu gestalten. .

    Wo sind denn die innovativen Programme, das Land umzugestalten. Erneuerbare Energien, Korruption bekämpfen, Reichensteuer, reformieren der Steuerämter, Abkommen mit der Schweiz in Sachen Steuerflucht. Stattdessen verfallen sie in postkommunistische Logik und wollen vieles verstaatlichen https://de.wikipedia.org/wiki/Synaspismos_Rizospastikis_Aristeras

     

    Echt armselig. Ich denke, auch am Wochenende wird nichts handfestes vorgelegt.

  • Wer wissen möchte, was in Griechenland wirklich schief läuft, der möge den verlinkten Artikel lesen. Auch die europäischen Institutionen bekommen darin ihr Fett weg. Doch ob diese wirklich für die Probleme in Griechenland verantwortlich gemacht werden können? Wohl kaum.

     

    Und bevor das Argument kommt: Nein, die aktuelle Regierung kann nichts für die Verhältnisse. Aber sie hat auch nichts, wirklich gar nichts dagegen getan. Ganz im Gegenteil: die Vetternwirtschaft geht auch unter Syriza unvermindert weiter. Wie soll man da Hoffnung auf Veränderungen haben? Weiter für dieses System Kredite heraus zu tun oder gar Schulden zu streichen, hieße, das System weiter zu finanzieren. Es wäre null Anreiz da, etwas nachhaltig zu verändern.

    http://www.scilogs.de/gedankenwerkstatt/griechenland-klientelismus-als-gesellschaftsform/

    • @Per Nachname:

      Oh Schreck lass' nach ! Kann es sein , dass die EU- /Euro-Entscheider_Innen von alldem , was in dem verlinkten Text zu Papier gebracht wurde , nichts wissen ? Nicht bei der Aufnahme Griechenlands in die EU , nicht bei seiner Aufnahme in die Euro-Währung , und immer noch nichts seit 2009 und der fortdauernden "Rettung" vor der Staatspleite bis heute ???

      Was läuft hier vor aller Augen für eine Show ab ? Absurdes Theater in Absurdistan ?

      (Übrigens : danke auch für den link ; den Text sollte jede/r Diskutant/in gelesen haben , selbst wenn der die Realität Griechenlands nur zu 90 % genau wiedergeben sollte .)

    • @Per Nachname:

      ...der verlinkte Text erklärt mir nun einiges, warum nix passiert. Danke

  • Wenn ich mir die Debatten in den Parlamenten ansehe und anhöre und betrachte dabei Herrn Tsipras, drängt sich mir der Einduck auf, er hat nichts verstanden, um was es geht. Seine eingefrorenen Gesichtszüge entsprechen dem eines kleinen Kindes, das nicht versteht, warum man ihm ein Feuerzeug aus der Hand genommen hat.

    • @Querdenker:

      Hmm, jetzt werd ich mich auch mal als Gesichtszuganalysator betätigen. Besonders beweglich sind die Gesichtszüge unsrer Kanzlerin und anderer dt. Politgrößen auch nicht. Die Steuer-CDs die in großer Anzahl angekauft werden mußten (Inhalt DEUTSCHE STEUERHINTERZIEHER/INNEN) sind auch vergessen... Ebenso der andauernde Betrug im dt. Gesundheitswesen, Kostenpunkt ca. 10 Milliarden EUR im Jahr. Ebenso die phantastische Korruption bei der Wiedervereinigung, bei dt. Großprojekten etc.

      Da könnten einem direkt die Gesichszüge ausrasten...

  • Ja, Griechenland braucht eine 'Modernisierung', aber, keine Regierung dieser Welt schafft so etwas innerhalb von 6 Monaten, noch dazu, wenn ihnen der Rest von Europa, hier vor allem Deutschland, permanent Knüppel zwischen die Beine schmeisst.

  • Griechenland muss sich, und das ist ja wohl allen klar, als Staat komplett neu aufstellen und die maroden Strukturen durch ein funktionierendes System ersetzen, aber das geht in einer Demokratie nicht im Eilverfahren. Wenn man bedenkt, wie lange es hierzulande dauert, bis ein Vorhaben Gesetzeskraft erlangt hat, erstaunt es nicht, dass es der Syriza-Regierung noch nicht gelungen ist, die geplanten Reformen umzusetzen. Gegenüber den Brüsseler Finanzverwaltern wäre es allerdings ein vertrauensbildendes Signal, wenn Tsipras über die Ankündigungen hinaus zumindest schon einmal einen konkreten »Fahrplan« für die dringend notwendige Steuer- und Verwaltungsreform vorlegen könnte.

    • @Inka Lykka Korth:

      Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die Syriza-Regierung die notwendigen Reformen bereits erfolgreich umgesetzt hat.

       

      Aber was jeder von Tsipras erwarten kann, nein muss, ist, dass er wenigstens mal mit den Reformen angefangen hätte. Leider bislang komplett Fehlanzeige.

       

      Das einzige, was er, außer seine europäischen Partner aufs Übelste zu beleidigen und vorzuführen, getan hat war, einige wenige schon umgesetzte Reformen wieder zurückzunehmen.

      • @Per Nachname:

        Wieso muss man von Tsipras mehr erwarten als die begonnen Reformen in der Steuerverwaltung, die die Einkommen- und Grundsteuern anbelangen, mehr umzusetzen wie das, was die Vorgängerregierung bereits begonnen hatte auf Druck der EU?

         

        Haben Sie da genauere Daten, dass die Vorgängerregierungen und die EU das nicht hinbekommen haben?

  • Prinzipiell mag es sinnvoll sein, dass sich Griechenland mit dem Ausbau erneuerbarer Energien ein Standbein schafft. Aber dazu müsste man investieren. Und wie soll das gehen ohne Geld?

  • Obama wird noch Jahre brauchen bis Guantanamo geschlossen wird. Soviel zu Verhältnismässigkeit.