Afghanistan: Struck seift seine Sozis ein
SPD-Fraktionschef Struck nutzt verschiedenste Möglichkeiten, um seine Abgeordneten vom deutschen Einsatz zu überzeugen. Die Strategie scheint Erfolg zu haben.
Die Einzigen, die beim Wort "Konvertiten" dieser Tage nicht an langbärtige Fanatiker denken, sind die Sozialdemokraten. "Konvertiten" heißen in der SPD-Fraktion die Genossinnen und Genossen, die in der Sommerpause nach Afghanistan gereist sind. Als Kritiker oder sogar Gegner flogen sie hin, als überzeugte Befürworter des Bundeswehr-Einsatzes kehrten sie zurück. Jetzt sind vor allem sie es, die sich in der Fraktion missionarisch betätigen. Ganz im Sinne des sozialdemokratischen Fraktionschefs Peter Struck.
Der ehemalige Verteidigungsminister tut sein Übriges, um seine Leute auf Linie zu bringen. In eine Klausursitzung am Freitagvormittag lud er die afghanische Frauenministerin und zwei Abgeordnete der Loja Dschirga ein. Alle drei warben für die Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes. Die Frauenministerin Hussunbanu Ghazanfar erzählte, wie sie unter der Taliban-Herrschaft sechs Jahre im Keller verbrachte. Struck fasste am Schluss der Sitzung zusammen: "Es ist völlig klar, dass die afghanische Bevölkerung große Hoffnung auf uns setzt. Wir dürfen das nicht gefährden, indem wir das Mandat in Frage stellen."
Eigentlich tut das in der SPD niemand. Die Gegenargumente der Genossen sind differenzierter: Bei vielen wächst die Ablehnung gegen die Beteiligung am Anti-Terror-Kampf OEF, dem eigentlich strittigen der Einsätze. In die Diskussion hierüber will die SPD auf dem Parteitag Ende Oktober richtig einsteigen. Parteichef Kurt Beck betonte trotzdem schon mal, eine Verlängerung aller Mandate "aus heutiger Sicht" sei unverzichtbar.
Der zweite Streitpunkt sind die Aufklärungsflugzeuge. Vorerst geht es vor allem darum, die 69 Gegner des Tornado-Einsatzes zu gewinnen, die diesen im März ablehnten. Auf die Frage, was aus diesen Abgeordneten, immerhin ein Drittel der Fraktion, geworden sei, sagte Struck nur, er sei "sehr optimistisch", dass viele Bedenken beseitigt worden seien. Es würden diesmal "deutlich weniger" Nein-Stimmen werden. Der Fraktionschef dürfte schon allein deshalb recht behalten, weil die Tornados diesmal im Gesamtpaket mit dem Einsatz der internationalen Schutztruppe Isaf abgestimmt werden.
SPD-Abgeordnete berichteten allerdings, die Kritiker wären auf der Sitzung einfach nicht aufgerufen worden. Misstöne seien unerwünscht gewesen. Den afghanischen Gästen habe man ein ungetrübtes Bild der Verlässlichkeit bieten wollen.
Hinter vorgehaltener Hand sagen Abgeordnete, dass die Zustimmung bröckelt und das OEF-Mandat dieses Jahr zum letzten Mal eine Mehrheit im Bundestag erhält. Selbst Frank-Walter Steinmeier, als Außenminister in besonderem Maße den Bündniswünschen verpflichtet, sprach sich am Freitag dafür aus, den US-geführten Anti-Terror-Kampf zu reduzieren.
Der Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD, Ernst-Dieter Rossmann, sagte der taz, er könne sich nicht vorstellen, dass ein Rückzug aus OEF einen großen Schaden anrichte. Deutschland sei über jeden Zweifel erhaben, sich aus internationaler Verantwortung herauszustehlen, sagte Rossmann, und erinnerte an die Einsätze auf dem Balkan. "Letztlich muss sich der Souverän im eigenen Land verantworten und nicht vor den Bündnispartnern."
Einig sind sich die Genossen, dass die Diskussion über die Einsätze überfällig war. Anders als die Grünen, die sich seit Jahren mit dem Thema quälen, hätten die meisten SPD-Abgeordneten jahrelang nach dem Motto "Augen zu und durch" gestimmt, findet Außenpolitiker Niels Annen.
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