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Das Luftsicherheitsgesetz muss vom TischKOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Manchmal ist Politik schon paradox. Ausgerechnet die Politiker der Union, die das Luftsicherheitsgesetz für richtig halten, wünschen sich, dass Karlsruhe dieses Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Ihr Kalkül: Die Regelung, die zur Abwehr eines Terroranschlags den Abschuss eines Flugzeuges legitimiert, erzwingt eine Grundgesetzänderung. Dann könnte es CDU und CSU nämlich gelingen, den Widerstand der SPD zu brechen und ihr Ziel zu erreichen, den Einsatz der Bundeswehr im Inland in der Verfassung zu verankern.

Möglich, dass diese Rechnung aufgeht und patrouillierende Soldaten demnächst zum Alltagsbild in deutschen Städten gehören. Einsätze im Inneren, wenn denn erlaubt, werden vermutlich nicht auf den Kampf der Luftwaffe gegen Zivilflugzeuge beschränkt bleiben. Es ist aber auch möglich, dass das Verfassungsgericht das Gesetz aus übergeordneten Erwägungen heraus ganz verwirft. Es geht nämlich nicht nur um die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage ein Flugzeug abgeschossen werden darf – es geht darum, ob es überhaupt abgeschossen werden darf. Und die Antwort darauf ist die vielleicht wichtigste Entscheidung, die Karlsruhe je zu treffen hatte.

Innenminister Otto Schily betont, dass der Abschuss eines Passagierflugzeuges nur möglich sei, wenn das Leben der Fluggäste ohnehin „verloren“ sei. Was meint er damit? Wie kurz muss die verbleibende Lebenszeit sein, damit Unschuldige getötet werden dürfen, um andere Unschuldige zu retten? Zehn Minuten? Eine Stunde? Wer soll darüber befinden? Eine Kommission?

Wenn Leben kein absoluter Wert mehr ist, sondern der Staat sich anmaßt, diesen Wert – aus welchen Gründen auch immer – zu relativieren, dann bedeutet das einen radikalen Bruch mit dem höchsten Gut unseres Rechtssystems und eine Abkehr vom zentralen Wert des Humanismus. Die Folgen könnten weitreichend sein. Nach dieser Logik wäre nämlich auch nicht einzusehen, weshalb Sterbende nicht getötet werden dürfen – ihre Organe könnten ja anderen Menschen noch helfen. Wenn es je galt, den Anfängen zu wehren: dann jetzt. Das Luftsicherheitsgesetz muss vom Tisch. Unwiderruflich.

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