piwik no script img

Neue Normen für alte Täter

KRIMINALITÄT Immer mehr ältere Menschen werden delinquent. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter fordert ein besonderes Strafrecht für Senioren

Der Bundesgerichtshof will vermeiden, Senioren mit einem Rabatt zur Kriminalität zu ermutigen

VON JOHANN LAUX

Graue Haare wachsen nicht nur auf gesetzestreuen Köpfen. „Immer mehr ältere Menschen werden zu Straftätern“, sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz. Und immer mehr alte Menschen würden gezielt Opfer einer Straftat. Denn die deutsche Bevölkerung wird älter, der demografische Wandel macht sich bemerkbar. Schulz fordert, für Senioren ein eigenes Strafrecht einzuführen – genauso wie es ein Jugendstrafrecht gibt. Zudem will er härtere Strafen für solche Täter einführen, die sich gezielt gebrechliche Opfer suchen.

Auch die Justizministerkonferenz der Bundesländer sieht sich durch die alternde Gesellschaft herausgefordert. Die Arbeitsgruppe „Altersgerecht“ soll hier unter der Federführung Hamburgs vor allem das geltende Vertrags-, Familien-, Erb- und Verfahrensrecht überprüfen. Das Strafrecht ist nicht erwähnt.

Um seine Forderungen zu stützen, zitiert Schulz aus der polizeilichen Kriminalstatistik von 2011. Der Anteil der Tatverdächtigen, die 60 Jahre alt oder älter sind, liegt bei 7,2 Prozent. „Tendenz steigend“, sagt Schulz. Über 70 Prozent von ihnen seien Ersttäter. Das sei auch ein Indikator für wachsende Altersarmut.

Meist seien es Diebstähle, die sich in der Statistik niederschlagen. 15 Jahre zuvor lag die Quote der weißhaarigen Straftäter um drei Prozentpunkte niedriger. Seitdem ist der Anteil der Menschen über 60 in Deutschland um 5,2 Prozent gestiegen.

So wie das Jugendstrafrecht der mangelnden Reife und Einsichtsfähigkeit junger Menschen Rechnung trägt, könne man mit einem Seniorenstrafrecht die schwindenden geistigen Fähigkeiten Älterer rechtlich auffangen, sagt Schulz. „Zudem stößt der Grundsatz der Resozialisierung bei einem 80-Jährigen ohnehin an Grenzen.“

In der Praxis der Richter kann das Alter des Angeklagten bereits heute die Strafe mildern. Laut dem Bundesgerichtshof (BGH) muss den Verurteilten die Hoffnung bleiben, ihre Entlassung aus dem Strafvollzug erleben zu können. Allerdings lehnt der BGH einen übermäßigen Altersrabatt ab – um Senioren nicht zur Kriminalität zu ermutigen.

Das Strafgesetzbuch schreibt in Paragraf 46 vor, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters – also auch Altersarmut oder Gebrechlichkeit– zu berücksichtigen. Deshalb bleibt Thomas Görgen, Kriminologe an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, gegenüber einem Altersstrafrecht skeptisch: „Obwohl es wahrscheinlicher wird, dass mehr ältere Menschen straffällig werden, gibt es kaum Grund zu der Annahme, dass nicht auch künftig jüngere Männer das Bild dominieren werden.“

Was ist aber mit Straftätern, die sich gezielt Senioren als Opfer aussuchen? Besonders beliebt ist der „Enkeltrick“, bei dem sich die Täter meist am Telefon als in Not geratene Verwandte ausgeben und die Opfer um größere Summen Bargeld bitten.

Doch Prävention ist bei Älteren nicht immer leicht: Bei Demenz sind alle guten Ratschläge mit dem Klingeln des Telefons längst vergessen. Oft schämen sich die Opfer anschließend für ihre Leichtgläubigkeit und zeigen die Taten nicht an.

Grund genug, die Wahl von Senioren als Opfer zusätzlich zu bestrafen? Dagegen spricht, dass Alter allein noch nichts über die Schutzbedürftigkeit sagt. „Bei Trickdiebstählen und Misshandlung oder Vernachlässigung älterer Pflegebedürftiger gibt es aber sicher besondere Gefährdungszonen im hohen Alter“, sagt der Kriminologe Görgens. Für Schulz ist dies ein ähnlicher Fall wie der sexuelle Missbrauch eines Kindes, der den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs verschärft: „So eine Spezialregelung ist auch für Senioren denkbar.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen