: Der Irak ist gefährlich
Terrorgefahr für Deutschland! Mit der Entführung der Helferin Susanne Osthoff (43) im Irak wird hierzulande Stimmung gemacht – dabei ist Kidnapping dort ein leider alltäglicher Vorgang
VON STEFAN KUZMANY
„Erstmals scheint es so, als habe der islamistische Terror Deutschland erreicht“, schreibt die Nachrichtenagentur AP. Der Fall „zeigt, dass wir auch in Deutschland vom internationalen Terrorismus durchaus bedroht sind“, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Welt. Und die Bild, in ihrer Titelgestaltung gewohnt geschmackssicher (siehe Medien, Seite 18), zieht den Schluss: „Das Geiseldrama im Irak hat nebenbei die These widerlegt, Deutschland könne sich vom Terror freikaufen – nach dem lauen Motto: Wir helfen den USA, aber nur ein bisschen … Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – diese Politik hat seit gestern ein Ende.“ Ja, jetzt geht’s los. Wir müssen jetzt was machen, verdammt noch mal. Das Boulevardblatt weiß, was zu tun ist. Das „Kommando Spezialkräfte“ muss ran, mit seinen Scharfschützen samt „G-22-Präzisionsgewehr (trifft millimetergenau auf 1.000 Meter Entfernung)“. Ein Brigadegeneral a. D. gibt den Bild-Einsatzbefehl: „Wenn der Auftrag kommt, machen die Männer das – überall auf dem Globus.“
Bevor nun in Calw die Präzisionsgewehre geschultert werden, wagen wir noch mal, ganz vorsichtig wegen der Terrorgefahr, einen kurzen Blick aus dem Fenster. Alles ruhig. Ein wenig Schnee fällt in Berlin. Mal das Radio aufdrehen. Aber nein, nichts, keine Sondersendung. Auch aus Hamburg, München oder Köln werden keinerlei terroristische Aktivitäten gemeldet. Hat sich die Gefahr, in Deutschland Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, seit der Entführung der deutschen Helferin Susanne Osthoff im Irak erhöht? Selbstverständlich nicht.
Was ist da eigentlich passiert? In der Provinz Ninive im Norden des Irak ist eine westliche Helferin entführt worden – in einem Land, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, in dem täglich Menschen durch Bombenexplosionen sterben. Seit letztem Jahr gab es, erzählt Sinje Stoyke (35), im Irak mehr als 200 Entführungen von internationalen Helfern – ein alltäglicher Vorgang. Stoyke ist bei der „International Commission on Missing Persons“ in Sarajevo für den Irak zuständig und war auch als Vorsitzende des Vereins „Archäologen für Menschenrechte“ mehrmals im Irak. Allerdings vornehmlich im kurdisch besiedelten Norden, in der für Ausländer noch am wenigsten gefährlichen Gegend. Auch dort waren die Sicherheitsvorkehrungen umfangreich: Bodyguards hatte sie dabei und „eine kleine Peschmerga-Privatarmee“. Bei einem Besuch in Bagdad bewegte sie sich mit vier Bewaffneten, einem Bodyguard und zwei unauffälligen Wagen durch die Stadt. Unauffälligkeit, sagt Stoyke, ist die erste Regel.
„Man ist selbst verantwortlich“, sagt Stoyke der taz. „Wenn man als Hilfsarbeiter im Irak entführt wird – das ist Berufsrisiko. Das ist klar. Das ist nicht neu. Das weiß man. Es ist gefährlich im Irak.“ Sie ist sich noch nicht sicher, ob sie wieder dorthin reisen wird: „Es würde mir schon stark zu denken geben, wenn Frau Osthoff nicht mehr freikommt. Ich hoffe es sehr. Aber es ist ja auch so: Es sind schon vor ihr viele Leute entführt worden. Manche sind freigekommen, manche sind unglücklicherweise umgebracht worden – und ich bin trotzdem wieder in den Irak gefahren.“ Erst Anfang nächsten Jahres muss sie diese Frage wieder für sich beantworten – dann steht die nächste Reise an.
Wenn sie reisen sollte, weiß sie, worauf sie sich einlässt. „Vor Reisen nach Irak wird eindringlich gewarnt. Deutschen Staatsangehörigen wird dringend geraten, das Land zu verlassen.“ So steht es auf der Homepage des Auswärtigen Amtes. Und auch, was einen erwarten kann, wenn man diese Warnung ignoriert: „Überfälle mit Waffengewalt sind an der Tagesordnung. Das Risiko von Entführungen ist sehr hoch.“ Bei der Botschaft in Bagdad hat Stoyke erfahren, mit welcher Unterstützung sie rechnen kann: „Wir können nicht helfen. Wenn Sie Hilfe brauchen, kommen Sie nicht zu uns.“
Auch Susanne Osthoff, die entführte deutsche Helferin, hat diese Warnungen gekannt – und ignoriert. Sie wusste sogar, dass im Umfeld des Terroristen Mussab al-Sarkawi ihre Entführung geplant wurde – und blieb dennoch. „Sie liebt die Leute, die Kultur, dieses Land und ist richtig fanatisch“, sagte Osthoffs Mutter in einem Interview über die Motive ihrer Tochter. Das sind ehrenwerte Motive. Und jeder wird hoffen, dass Frau Osthoff die irakische Geiselnahme überlebt. Wie ein jeder hoffen wird, dass die Bombenanschläge und Entführungen im Irak bald ein Ende haben. Das ist menschlich. Unverantwortlich aber ist es, mit der Entführung der Helferin hierzulande Panik zu schüren.
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