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Die Zukunft liegt in der Zuckerrübe

Kraftstoffe aus pflanzlichem Zucker sind auch in Europa möglich. Brasilien produziert 15 Millionen Kubikmeter Ethanol pro Jahr. Im europäischen Kraftstoffsektor betrug die Nachfrage im Jahr 2003 nicht mehr als 400.000 Kubikmeter. Tendenz steigend

VON DIERK JENSEN

Für die Brasilianer ist das längst ein alter (Zucker)Hut, für Deutschland noch richtig etwas Neues: Kraftstoffe aus Bioethanol, also Alkohol, der aus pflanzlichem Zucker gewonnen wird. Da nun hierzulande nicht gerade ideale Bedingungen für Zuckerrohr herrschen, soll vor allem Getreide den süßen Rohstoff für die alkoholische Gärung liefern. Neben anderen Akteuren malt sich auch die Mannheimer Südzucker AG, die als Europas größte Zuckerproduzentin von Moldawien bis Frankreich Zuckerfabriken unterhält, in der Herstellung von Biokraftstoffen einen Zukunftsmarkt aus. Diese Hoffnung wird vor allem durch die EU-Kraftstoffrichtlinie genährt, die eine Beimischung von mindestens 5,75 Prozent Biokraftstoff bis 2010 vorschreibt.

Noch läuft die Treibstoffproduktion in den Reihen des Zuckerkonzerns unter dem irreführenden Begriff „Spezialität“. So wird der neue Unternehmenszweig im Konzernorganigramm noch zwischen Tochterfirmen geführt, die Tiefkühlpizzen und Fruchtprodukte kreieren. Und dies, obwohl die Südzucker Bioethanol GmbH mit ihrem neuen Werk im mitteldeutschen Zeitz schon seit Mai für den Nonfood-Bereich den Kraftstoff Bioethanol herstellt. Wenngleich es technische Probleme beim Anfahren der Großanlage gab, wird nach Angaben des Firmensprechers Rainer Düll eine jährliche Produktionsmenge von 260.000 Kubikmeter angestrebt. „Das entspricht einer CO2-Einsparung von etwa 520.000 Tonnen pro Jahr“, rechnet er vor. Das Einsparpotenzial bei Bioethanol beträgt nach Untersuchungen der TU München rund zwei Kilogramm pro Liter Biokraftstoff.

Darüber hinaus kann der eiweißhaltige Gärrest als wertvolles Futtermittel verwertet werden.

Rohstoff für den Alkohol ist in Zeitz allerdings nicht die Zuckerrübe, wie man angesichts des Verarbeiters denken könnte, sondern Getreide. Ein Hektar Getreide bietet die Rohstoffbasis für etwas mehr als 3.000 Liter Kraftstoff: Aus etwa 2,6 Tonnen Weizen lässt sich eine Tonne Bioethanol erzeugen. Die Südzucker Bioethanol GmbH sichert sich ihren Rohstoff, indem sie mit den Landwirten Lieferkontrakte abschließt, die von EU-subventionierter Zuckerrübe auf Getreideanbau umsteigen. Ähnlich wie in Zeitz planen weitere Unternehmenstöchter der Südzucker in Österreich und in Belgien den Bau von Bioethanolwerken.

Dabei kommt der Einstieg in den Biokraftstoffmarkt für die Zuckerproduzenten gerade zur rechten Zeit, da durch den Wegfall großer Teile der EU-Zuckersubventionen im Rahmen der WTO-Liberalisierungsverhandlungen sogar Werksschließungen drohten. Insbesondere für die Zuckerrüben-Landwirte bedeuten Weltmarktpreise das definitive Aus, mit dem Anbau von „Mobilitäts-Getreide“ böten sich für diese Landwirte neue Absatzchancen.

Die EU fördert mit ihrer Biokraftstoff-Richtlinie (2003/30/EC) diesen Wandel. So musste der Bioanteil in Kraftstoffen schon in diesem Jahr bei zwei Prozent liegen, während in fünf Jahren die Marge von 5,75 Prozent zu erfüllen ist. Diese Richtlinie korrespondiert eng mit der Energiesteuer-Richtlinie (2003/96/EC), die es allen Mitgliedstaaten ermöglicht, die Mineralölsteuer für Biokraftstoffe bis zu 100 Prozent zu erlassen. In Deutschland wird diese Steuer auf Biokraftstoffe beziehungsweise Mischungen bis zum 31. Dezember 2009 nicht erhoben. Damit hat die noch junge Biokraftstoffbranche eine realistische Chance, sich an der Zapfsäule zu behaupten.

Doch ist es noch ein langer Weg, bis Deutschland beispielsweise mit Brasilien gleichzieht. Dort produziert man zirka 15 Millionen Kubikmeter Ethanol pro Jahr. Im europäischen Kraftstoffsektor betrug die Nachfrage im Jahr 2003 nicht mehr als 400.000 Kubikmeter, wobei der Hauptanteil auf Schweden, Frankreich und Spanien entfällt. Es gibt also Aufholbedarf, um sich auf europäischen Autobahnen und Landstraßen von der Erdölabhängigkeit zu emanzipieren. Experten von Südzucker schätzen, dass in Deutschland bis zum Jahr 2010 ein Anstieg der Bioethanolherstellung auf von bis zu 2,2 Millionen Kubikmeter zu erwarten sei. Und 2020 soll sogar jeder vierte Liter Benzin durch Bioethanol ersetzt worden sein. Brechen also zuckersüße Zeiten heran?

Wohl nicht ohne massive Gegenwehr der Mineralkonzerne, die in ihren Raffinerien bisher nur ungern den Biokraftstoff beimischen. Zudem diktieren sie die Preise und versuchen mit allen Mitteln, das Biobenzin vom lukrativen Geschäft fern zu halten – ist doch jeder Liter Biobenzin ein Liter Verlust für die Mineralölwirtschaft. Da sich die Mineralölwirtschaft derzeit noch unwillig zeigt, will der ostdeutsche Bioethanol-Hersteller Claus Sauter ab 2006 einen eigenen Kraftstoff mit 15 Prozent Ethanolgehalt über gesonderte Zapfsäule an die Tankstellen bringen.

Nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) gibt es in Deutschland gegenwärtig eine Produktionskapazität von etwas mehr als 600.000 Kubikmeter, die einer spärlichen Nachfrage von 120.000 Kubikmeter gegenübersteht. Dabei sind Anlagen mit einem Produktionsvolumen von noch einmal rund 600.000 Kubikmeter in Planung. „Wir sehen einen stark steigenden Bedarf“, zeigt sich André Hamers optimistisch. Er ist Geschäftsführer der BEP (Bioethanol-Emsland-Power), die ab 2008 in Papenburg Weizen, Roggen und Triticale zu klimafreundlichem Treibstoff verarbeiten will. Hamers kalkuliert mit einem Herstellungspreis von „unter 50 Cent pro Liter“.

Vielleicht sind Hamers wie die Vertreter von Südzucker so optimistisch, weil sich die Automobilindustrie offenbar auf den Treibstoff einlässt. So hat Ford als erster Hersteller in Deutschland schon zwei Modelle im Angebot, die mit Kraftstoff aus Biobenzin gefahren werden können. Das so genannte Flexible-Fuel-Car kostet zwar ein paar hundert Euro mehr als ein Standardmodell, ist aber in Schweden, wo die Verwendung von Bioethanol weit vorangeschritten ist, schon ein großer Erfolg.

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