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Flüchtlinge in MaliJede ist mal an der Reihe

Die Stadt Mopti ist ein Anlaufpunkt für viele Flüchtlinge aus dem Norden Malis. Die einen warten ab, die anderen wollen kämpfen.

Kommt aus dem umkämpften Norden Malis: Flüchtlingsfamilie in der Hauptstadt Bamako. Bild: reuters

MOPTI taz | Das Zentrum von Mopti gleicht einem riesigen Grabbeltisch. Am Straßenrand verkauft ein Händler abgetragene Jeans, Hemden und T-Shirts aus Europa, einen Stand weiter gibt es Handys und DVDs in schlechter Qualität. Ab und zu quäkt die Fahrradhupe eines Getränkeverkäufers.

Jungen ziehen mit ihren schmutzigen Plastikschüsseln durch die Straßen, rezitieren Auszüge aus dem Koran und betteln auf diese Weise um etwas Essen oder Geld. Und sobald einer der Überlandbusse ankommt, stürzen sich die Taxifahrer auf die wenigen Passagiere, die aus dem Süden kommen und in Mopti aussteigen.

Zugenommen haben in Mopti nur die Polizeikontrollen. Heute stehen die Beamten an jeder Kreuzung und an jedem Kreisverkehr. Besonders am Ortseingang der Stadt, in der offiziell 85.000 Menschen leben, kontrollieren sie. Fahrzeugpapiere, Führerschein, Versicherungskarte und der obligatorische Blick in den Kofferraum.

Der Norden Malis

Die Lage ist unübersichtlich. Die Befreiungsbewegung MNLA, der überwiegend Tuareg angehören, hatte am 6. April 2012 den Staat Azawad ausgerufen. Zeitgleich begann die bis dahin unbekannte Gruppe Ansar Dine (Verfechter des Glaubens) die von der MNLA besetzten Städte im Norden zu erobern. Ansar Dine kündigte an, aus Mali einen islamischen Staat zu machen. Das lehnt die MNLA jedoch ab.

Mit beiden Gruppen gab es Anfang Dezember erste Gespräche im Nachbarland Burkina Faso, ohne großen Erfolg. Nördlich des Nigers haben sich zudem die Gruppen Mujao (Vereinigung für Einheit und Dschihad in Westafrika) sowie AQMI, der westafrikanische al-Qaida-Flügel, ausgebreitet. In Mali gelten die Terroristen mittelfristig als größeres Problem.

Das hat damit zu tun, dass Mopti so gerade eben zum Süden des Landes gehört. Bis nach Douentza – dort herrschen längst die radikalen Islamisten von Ansar Dine (Verfechter des Glaubens) – sind es knapp 200 Kilometer. Dazwischen liegt die Grenze zu Azawad, jenem Staat, den die Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) am 6. April ausgerufen hat und der bei vielen Maliern nur noch eins auslöst: Wut. Mali gilt vor allem im Süden den allermeisten Menschen als unteilbar.

Das malische Venedig

Auch für Issa Ballo, der in seinem Büro im Zentrum von Mopti sitzt. Eigentlich könnte er seine Autovermietung gleich schließen. „An diesem Wochenende kommen keine Touristen“, sagt Ballo, der seine Kunden früher ins Land der Dogon oder zur großen Lehmmoschee von Djenné gefahren hat. An diese Zeiten erinnern nur noch ein paar alte, vergilbte Plakate, die am Boden stehen.

Eines wirbt für „Mopti – das Venedig von Mali“. Doch in das malische Venedig traut sich niemand mehr. Das sei für die ganze Region katastrophal, sagt Ballo. Denn knapp 70 Prozent der Einnahmen in der Gegend wären durch den Tourismus erwirtschaftet worden. Dass dieser nun völlig brachliege, sei kein Luxusproblem. „Jeder hängt vom Tourismus ab: die Gemüsefrauen, die Fischer, die Jungs, die Zigaretten und Wasser verkaufen – alle.“

Ballo blickt auf die Straße. Fünf Jahre, so schätzt er, dürfte es brauchen, bis sich Mopti erholt – wenn es denn eine Lösung für den Konflikt im Norden gäbe. „Wir brauchen Frieden, Sicherheit und Stabilität, erst dann kommen die Kunden wieder“, sagt der Autovermieter. Er kann es den Touristen nicht verdenken. Wer will schon Urlaub kurz vor der Frontlinie machen?

Den Norden haben nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) bisher 412.000 Menschen verlassen. Knapp die Hälfte – 204.000 Menschen – fanden im Süden Malis Unterschlupf. Auch die Einwohnerzahlen von Mopti sowie der Nachbarstadt Sévaré sind stark gewachsen. Unterkunft bieten den Flüchtlingen häufig Verwandte.

Eine Kuh und ein paar Ziegen

Über den Hof von Almadane Diakite toben zehn Kinder. Das kleinste wird von seiner Mutter gestillt, die zusammen mit anderen Frauen auf einer Strohmatte im Schatten sitzt. Unter einem niedrigen Dach stehen eine Kuh und ein paar Ziegen – die eiserne Reserve für den Notfall – und knabbern an geschnittenen Grashalmen. Aus dem Haus dudelt ein Radio.

Auf Songhay besprechend die Frauen, wer heute das Essen kochen wird, vor allem aber, was es gibt. „Jeder ist mal an der Reihe“, sagt Almadane Diakite. Heute ist die Tochter ihres Bruders dran. Für 30 Menschen soll die 20-jährige Fattyta Cisse Pâte – einen Hirsebrei – zubereiten. Ein bisschen Soße gibt es dazu. Für etwas Fleisch reicht das Geld schon lange nicht mehr.

Seit der Unabhängigkeitserklärung des Nordens teilen sich die dreißig Menschen auf dem Hof der Familie Diakite fünf Zimmer und versuchen, jeden Tag genügend Essen zu besorgen. „Was hätte ich denn machen sollen? Irgendwo müssen sie ja hin“, sagt Almadane Diakite, die auf einem wackeligen Plastikstuhl sitzt. Insgesamt 25 Personen hat sie aufgenommen. Neben ihrem Sohn, der bisher in Timbuktu gelebt hat, sind es ihre Neffen und Nichten aus Gao.

Modische Frisur

Ihre Nichte Fattyta Cisse ist froh, dass sie die Stadt noch rechtzeitig verlassen konnte. Die radikalen Vorstellungen der Islamisten haben ihr Angst eingejagt, besonders die Einführung der Scharia. Fattyta trägt einen Kurzhaarschnitt mit bunten Strähnchen. „Im Norden leben?“, ruft sie, während sie das Holz zum Kochen zusammensucht. „Auf keinen Fall. Ich will mich doch nicht verschleiern!“ Ihre Cousinen nicken, keine von ihnen trägt einen Schleier. Und alle haben modische Frisuren. „Natürlich“, grinst Fattyta, die junge Muslimin.

Ob und wann sie wieder nach Gao zurückgeht? Auf diese Frage zuckt sie mit den Schultern. „Wenn es wieder ruhiger geworden ist“, sagt sie und verschränkt die Arme. Doch bis das der Fall sein wird, heißt es für sie in Mopti ausharren, warten und darauf hoffen, dass der Mann von Tante Almadane genügend Geld aus Bamako schickt. Er ist dorthin gezogen, um etwas mehr Geld für die neue Großfamilie zu verdienen. In Sévaré gibt es kaum noch Verdienstmöglichkeiten.

Die Rekrutin

Ausharren will Aïssata Amadou auf keinen Fall. Sie ist genauso alt wie Fattyta Cisse und stammt ebenfalls aus Gao. Jetzt steht sie in der Nähe des großen Krankenhauses von Sévaré in der Sonne und hat die Lippen fest aufeinandergebissen. Die junge, magere Frau trägt ein schwarzes T-Shirt und schaut auf den sandigen Platz. In Gedanken scheint sie weit weg zu sein. Doch jetzt muss sie ran. Wieder einmal wird das Marschieren geübt. Gemeinsam mit 50 anderen jungen Leuten trainiert sich Aïssata Amadou den richtigen energischen Schritt an. Stiefel gibt es nicht. Flipflops müssen reichen.

Die 20-Jährige und die übrigen jungen Leute gehören der FLN – den Befreiungskräften für den Norden – an. Es ist eine von mehreren Milizengruppen, die seit April in Mali Anhänger sammeln und den Norden zurückerobern wollen. 1.026 Kämpfer habe die FLN, sagt Moussa Traoré, der die Ausbildung von Aïssata Amadou und der anderen Rekruten übernommen übernommen hat.

Viele stammen aus dem Norden, doch die Bewegung sei offen für alle ethnischen Gruppen. Die 50 Rekruten, die an diesem Tag da sind, reihen sich nun um Traoré herum auf und singen gemeinsam. Aïssata Amadou taut auf und vergisst ihren strengen Blick. Sie lacht und macht mit der Handykamera kurze Filmchen von ihren Kameraden.

Dabei hat sie vom Marschieren und den Gesängen eigentlich genug. Sie will kämpfen und den Norden zurückerobern. „Ich bin hier für mein Land“, sagt sie und ist ganz und gar nicht damit einverstanden, was in ihrer Heimatstadt Gao passiert ist. „Es geht nicht, dass man einfach die Unabhängigkeit erklärt, ohne uns zu fragen“, sagt die 20-Jährige. Ihre Antworten sind kurz und knapp. Die Scharia will sie zwar auch nicht. Doch sauer ist sie vor allem auf die MNLA. Die Rebellenbewegung, der überwiegend Tuareg angehören, hätte Mali die ganzen Probleme beschert und die Region für alle anderen radikalen Gruppen geöffnet.

Eine von fünf

Aïssata Amadou will das wieder rückgängig machen. Doch ob sie und die übrigen Milizen tatsächlich etwas gegen die radikalen Gruppierungen ausrichten können, gilt als fraglich. Die Armee, so erklärt ihr Ausbilder Traoré, unterstütze die Milizen zwar nach allen Kräften und stelle zum Beispiel Waffen und Munition für das Schießtraining zur Verfügung. Doch heute heißt es mal wieder nur: marschieren und die Motivation bewahren. „Kämpft für euer Land“, brüllt Moussa Traoré über den Platz.

„Ihr macht das für Mali. Mali soll eins bleiben.“ Noch treibt es sie an, auch Aïssata Amadou, die eine von fünf Frauen auf dem Platz ist. „Natürlich habe ich keine Angst. Gerade als Frau muss ich kämpfen.“ Diese Einstellung könne vielleicht ein wenig Druck auf die Armee ausüben, hofft jemand aus Sévaré. Denn zumindest stimme bei den Milizen die Motivation.

Nach dem Appell hat Aïssata Amadou Pause. Die junge Frau setzt sich auf die Stufen des kleinen Hauses, in dem sie mit den anderen Frauen schläft. Auf dem kleinen Kocher wird schwarzer, bitterer Tee zubereitet. Die 20-Jährige kneift die Augen zusammen und zeigt auf die Flagge, die auf dem Appellplatz steht. Die sei Zeichen ihrer Heimat. „Wir haben schon viel zu lange gewartet und müssen sie endlich wieder befreien.“

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1 Kommentar

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  • T
    Tyrfing

    Und wie kams?

    Durch den Krieg gegen Libyen.

    Und wer hat den u.a. herbeigeschrieben?

    Das sollte in dem Artikel vielleicht auch mal erwähnt werden. Wenn es ums mobilisieren geht rührt die taz kräftig die Trommel, wenn der Karren dann im Dreck liegt tut sie betroffen.