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Kolumne MachtOhne Augenmaß

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Innenminister Hans-Peter Friedrich fühlt sich von Feinden umgeben. Der Anschlag von Boston zeigt: Mit diesem Problem ist er nicht allein.

Innenminister Hans-Peter Friedrich, nachdenklich. Bild: dpa

E s ist grundsätzlich sehr lobenswert, wenn ein Journalist nicht vorschnell urteilt. Auf die Frage einer RTL-Moderatorin, ob die Brüder Tsarnaev vielleicht schon bei der Einreise in die USA terroristische Verbrechen geplant hätten, antwortet der Korrespondent Carsten Mierke ganz ernsthaft: „Man kann darüber nur spekulieren, aber ich halte es für unwahrscheinlich.“

Der jüngere der beiden Brüder sei damals nämlich erst sieben Jahre alt gewesen. Aber dennoch – so betont Mierke nochmals – sei gegenwärtig alles „Spekulation“.

Ob der Kollege sich nicht hinterher selbst ein bisschen blöd vorgekommen ist? Bei Terroristen wird offenbar alles für möglich gehalten, und deshalb wird auch der Kampf gegen sie ohne jedes Augenmaß geführt. Nun möchte natürlich niemand schuld daran sein, wenn jemand wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen zu Tode kommt oder schwer verletzt wird.

Katharina Behling
Bettina Gaus

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.

Ich beneide keine Einsatzleitung der Polizei um die Entscheidung, was im jeweiligen Einzelfall zum Schutz der Bevölkerung getan werden muss – oder unterlassen werden kann. Aber auf der Jagd nach einem verletzten 19-Jährigen eine Großstadt lahmzulegen und den Luftraum zu sperren: Das scheint mir ein bisschen übertrieben zu sein.

Nun wäre das ja nicht weiter schlimm, immerhin war die Fahndung ein Erfolg. Richtig beruhigend finde ich es zwar nicht, dass die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel im mächtigsten Land der Welt nicht einmal diskutiert wird und die Leute sich auf den Straßen so verhalten, als sei gerade in letzter Minute ein Atomkrieg verhindert worden.

Nicht völlig hysterisch

Aber wirklich nervös werde ich, wenn auch bei uns die Vorgänge nicht etwa befremdet zur Kenntnis genommen werden, sondern der deutsche Innenminister sie zum Anlass nimmt, die verstärkte Überwachung der Bevölkerung zu fordern. Wenn man dankbar ist, weil wenigstens die Gewerkschaft der Polizei nicht völlig hysterisch wird und an Grundsätze der Verfassung erinnert, dann ist es weit gekommen.

Innenminister Hans-Peter Friedrich scheint die Verfassung eher lästig zu finden, ganz besonders lästig findet er jedoch den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Weil der sich in einem Interview ebenfalls gegen eine flächendeckende Videoüberwachung ausgesprochen hat, wurde er vom Minister scharf zurechtgewiesen.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung scheint bei Friedrich da an seine Grenzen zu stoßen, wo jemand eine andere Ansicht vertritt als er selber. Wie wäre es denn, wenn er veranlasste, Voßkuhle flächendeckend zu überwachen? So, wie der Minister seit Amtsantritt sein Weltbild präsentiert, darf man vermuten, er hielte das für einen wertvollen Beitrag zur inneren Sicherheit.

Hans-Peter Friedrich scheint sich von Feinden umstellt zu sehen, und leider hat er einen Posten inne, bei dem das nicht nur für seine unmittelbare Umgebung belastend ist, sondern für die ganze Republik. Und wenig spricht dafür, dass sich das ändern wird. Wenn Angela Merkel nach den Wahlen Bundeskanzlerin bleibt – und derzeit sieht es ja so aus –, dann bleibt uns auch der Innenminister erhalten.

Die CSU wird es sich mit ihrem fränkischen Bezirksfürsten nicht verderben wollen. Seine Herkunft ist seine Jobgarantie. Die Heimat prägt eben oft das ganze Leben. Ob Hans-Peter Friedrich schon als Siebenjähriger vom Überwachungsstaat geträumt hat? Darüber lässt sich nur spekulieren

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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13 Kommentare

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  • H
    Hanna

    Ein wahrlich unterirdischer Beitrag. Aber diese Frau ist auch so billig auf den Zug der Sexismus-Debatte aufgesprungen, bei der ist eh davon auszugehen, dass die sich ihre eigene Welt zusammenlügt.

  • FV
    Flores Vandess

    Friedrich contra Voßkuhle

     

    Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, daß das Oberste Gericht mehr und mehr bei hochpolitischen, meist unpopulären Fällen, bei denen die Politiker zu keiner Einigung gelangten oder keine Lösungen fanden, deren Arbeit übernehmen mußte.

    Altbekannt, Politiker schieben den Schwarzen Peter gern anderen zu und zeigen obendrein mit dem Finger auf denjenigen.

    Ich finde diesen Eklat unerhört, das höchste richterliche Amt in aller Öffentlichkeit so zu beschädigen. Dazu ist auch ein Bundesinnenminister nicht befugt.

    Herr Friedrich, ein Gerichtspräsident ist kein Tanzbär, den man nach Belieben in aller Öffentlichkeit "am Nasenring" vorführen kann, egal, was dieser Sache vorausging.

    Aber das hat ja Tradition in der Politik. In diesem Zusammenhang fiel mir gleich Schäubles widerlicher TV - Auftritt ein, als er auf brutalste Weise seinen Sekretär öffentlich erniedrigte.

     

    Guter Rat von Winston Churchill für die Zukunft:

    "Ein wahrer Diplomat ist ein Mann, der zweimal nachdenkt, bevor er nichts sagt".

  • R
    Rainer_Brase

    Hans-Peter-Friedrich redet viel, wenn der Tag lang ist. Innenminister, die glauben, bei jeder Gelegenheit den starken Max raushängen lassen zu müssen, gab's ja schon öfter. Wirklich erfolgreich waren sie alle damit nicht. Dass er grenzwertige Meinungsäußerungen von sich gibt, macht ihn aber noch lange nicht gefährlich.

     

    Die Argumente für mehr Überwachung sind in der Praxis ohnehin schnell erschöpft und hollywoodreife Exekutionen à la Boston finden hier kaum Zuspruch, am wenigsten bei der Polizei, die sich nicht einfach so zur Western-Karikatur machen läßt. Also - geschmeidig bleiben und Augenmaß beweisen.

  • R
    ridicule

    Lost in translation? 2.0

     

    "…nachdenklich…" ?

     

    Schon die Überschrift ist ein fake!

    " Ein penny für deine Gedanken" - hätte gepaßt!

     

    Der Mann ist doch gerade deswegen gefährlicher als

    seine Vorgänger, weil

    - "wo nix is, hat der Kaiser sein Recht verloren."

     

    Es gab mal den Witz über einen Vize, der sofort

    erschossen werden müsse, falls dem Präsidenten

    ( Reagan?) was passiere.

    Anders gewendet: nicht auszudenken, es ist wirklich mal

    high noon.

    Gedanken zum Vollstreckungsrecht - könnten da durchaus

    hinderlich sein.

  • V
    vic

    Mir graut vor Leuten wie Friedrich.

    Wenn die Wähler die Richtlinienkompetenzlerin Merkel wollen, sollten sie bedenken wen sie dazu bekommen. Und damit meine ich nicht nur Friedrich. Aber vor allem ihn. Der Mann ist gefährlich.

  • SS
    sowares soisses

    Als Schäuble (alias "Dr.Seltsam")noch den Innenminister gab , hat der alle drei Wochen die Warnung ausgegeben : Deutschland nach wie vor "im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus"(!). Mit den Jahren wurde das langsam weniger , da sich kein "Internationaler" oder Taliban in D zeigte .

    Geistesriesen wie Friedrich kann man zutrauen , noch weniger Bedenken zu haben , die Freiheit abzuschaffen , um sie zu schützen .

  • L
    L´Andratté

    Eine in meinen Augen noch sehr massvolle Würdigung unseres Innen-Pudels...

     

    Er ist natürlich mit der Komplexität der heutigen Welt ebenso überfordert wie alle Politiker und überhaupt fast alle Menschen.

     

    Dennoch wäre es einem zumindest bisschen weisen Menschen möglich, maßvolle Entscheidungen zu treffen, die sich an den Vorgaben des Grundgesetzes orientieren.

     

    Dazu bedürfte es allerdings (mind.) eines Menschen mit Rückgrat, Überblick, Verantworungsbewusstsein, etc., und vor allem dem Wunsch, etwas (zum Besseren FÜR ALLE) zu verändern.

     

    Politiker wie Friedrich sehen sich jedoch selbst (vollkommen parteiunabhängig) eher als Angehörige einer privilegierten Klasse und larvieren ein bisschen herum, weil "man" das halt irgendwie von ihnen erwartet, klammern sich an alte Rezepte, die ihnen gute Umfrageergebnisse bescheren sollen und genießen die Aufmerksamkeit die ihnen aus alter Gewohnheit zuteil wird.

     

    Das Beste was man von solchen Menschen erwarten kann, ist, daß sie nicht alles noch schlimmer machen; aber SO

    naiv bin ich auch nicht.

  • Y
    Yogi

    Ist denn Erich Mielke ein Vorbild für Hans-Peter Friedrich? Der wollte auch alles wissen und konnte mit dem erlangten Wissen schlecht umgehen. Das trifft auch leider für unsere Polizei, den Verfassungsschutz usw. zu. Viele Informationen bedeuten nicht automatisch mehr Sicherheit. Das NSU-Debakel müsste den Innnenminister eigentlich im Boden versinken lassen. Da hat es auch nicht an Infomationen und Hinweisen gefehlt. Niemand braucht einen Überwachungsstaat!

  • IP
    Ihr PiPaPo

    die flächendeckende Überwachung wäre gar nicht so schlecht, zB im Gerichtssaal: In der Entgegnung zu meinem Befangenheitsantrag behauptete die Richterin dann natürlich, sie habe etwas ganz anderes gesagt, als: "das finde ich gut, daß sie diesen juristischen Begriff nicht verstanden haben, Herr PiPaPo"!

     

    Und eine Überwachung der "Vorkommnisse" in Rosenheim wäre den Geprügelten sicher auch Recht gewesen. Wäre nur möglich, daß enige P-beamte lieber den Job kündigen und zur Fremdenlegion gehen, wenn sie überwacht werden.

     

    Oder jener PB hier in Homburg, der erfolglos "den 2000 Einwohnerortsteil den ganzen Morgen nach der Kirmes absuchte", die den angezeigten Lärm verursachte. Wer weiß, wo die Kamera den den ganzen Morgen über gefunden hätte - vermutlich nicht beim Frühstück zu Hause - zu Hause aber schon!

  • IN
    Ihr neuer Pappsi

    ... eine halbe Stadt lahmzulegen finde ich nicht schlimm. Wenn so was ist, will das Volk volle Äkkschen sehen. Der Präsi muß auch jedes Kellerloch duchsuchen. Ich persönlich finde U_Boote geil, die hätten sie bestimnmt auch eingesetzt - dumm nur, daß die an den Ampeln nicht so schnell halten können...

  • H
    haubarg

    Überhaupt gibt es in diesem Land eine seltsame Beisshemmung, wenn es um Friedrich geht. Wenn IM Erika die allseits geliebte Mutter der Nation darstellt, ist Friedrich wohl ihr süsses Baby. Nahezu alle Kommentare zu dieser unglaublich unfähigen Person beginnen mit Bemerkungen, die etwa mit „eigentlich ist er ganz nett“ zusammengefasst werden können. Dass beide – Mutti und Eititai - in Wahrheit äusserst perfide Demokratie-Feinde sind, wird völlig ausgeblendet. Für Nicht-Deutsche absolut unverständlich.

  • I
    Irmi

    Aus Deutschland soll ein Überwachungsstaat werden wie in den USA und es ist doch toll alle Informationen über Bürger zu erfahren, was keinen was angeht, was man sonst nie erfahren würde. Da wird so mancher mehr Zeit am Computer sitzen als bislang. So hat die Schutzmacht noch mehr Macht und leider auch Rechte. War ja schon mal eine Zeit, wo man Anwälte abhören wollte um angeblich Straftaten zu verhindern, die gleiche Ausrede nutzt man nun wieder wegen der Bomben in Boston.

     

    Wo bleibt der Bürger. Während die Mächtigen des Landes immer undurchsichtiger geworden sind, wird aus dem Bürger der gläserne Bürger gemacht.

  • UC
    Ugur Canbaz

    Nicht beißend, nicht oberlehrerhaft, nicht wütend. Aber doch irgendwie sehr genüsslich.

     

    Erstaunlich wozu mann die Deutsche Sprache doch alles benutzen kann.

     

    Danke schön.