piwik no script img

Kommentar ÄgyptenWelcher Militärputsch?

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

In Ägypten hat die Armee bereits den zweiten Präsidenten verjagt. Sie hat nie aufgehört, zu regieren. Trotzdem muss das Militär nun die Muslimbrüder mit einbeziehen.

Knarre in der Hand, Präsident weg: ägyptische Soldaten in Kairo. Bild: dpa

J ubel brach aus auf dem Tahrir-Platz als die ägyptische Armee verkündete, Mohammed Mursi sei nicht länger im Amt. Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren wurde ein Präsident aus dem Amt gefegt. Und jedes Mal waren es nicht in erster Linie die Demonstranten, die das geschafft haben, sondern es war die Armee.

Hochrangige Generäle distanzierten sich von Hosni Mubarak und zwangen ihn so zum Rücktritt. Die Militärs waren es auch, die den Aufstieg der Muslimbrüder bis in höchste Regierungsämter zuließen. Und sie sind es jetzt, die die Islamisten wieder stürzen.

Die Muslimbruderschaft spricht verbittert von einem Militärputsch. Doch welcher Putsch? Die Armee regiert seit über 30 Jahren. Ihr scheint es relativ gleichgültig, wer unter ihr die Regierungsgeschäfte führt - solange ihre Machtposition und ihre wirtschaftliche Interessen unberührt bleiben. Mursis Regentschaft und der Aufstand gegen ihn aber gefährden die Interessen der Armee. Deshalb greift sie nun ein.

Für die Opposition ist der Niedergang der „Brüder" also ein Pyrrhussieg. Ja, Mursi ist abgesetzt und steht unter Hausarrest. Aber die Militärs sind die falschen Freunde. Sie sind keine Demokraten und sie sind ganz bestimmt nicht an einer demokratischen Entwicklung interessiert. Jetzt hat es Mursi getroffen, das nächste Mal trifft es vielleicht einen Präsidenten, der der Opposition gefällt.

Silke Mertins

ist Autorin der taz.

Demokratische Legitimation

Die Absetzung von demokratisch gewählten Islamisten ist zudem eine hochgefährliche Angelegenheit. Sie könnte das ganze Land ins Chaos stürzen. Mursi ist zwar nicht der Präsident aller Ägypter geworden und hat knallharte Interessenpolitik betrieben ohne der säkularen Opposition die Hand zu reichen. Aber es ist durchaus verständlich, dass die Bruderschaft darauf beharrt, demokratisch legitimiert zu sein.

Mursi ist eben nicht Mubarak. Er wurde gewählt in einigermaßen freien und fairen Wahlen. Seine Stärke ist die Schwäche der Opposition gewesen. Die schaffte es nicht, sich hinter einem Kandidaten zu versammeln. Was passieren kann, wenn demokratisch gewählte Islamisten gestürzt werden, zeigt das algerische Beispiel. Es folgten grauenhafte, blutige Jahre. Das Land hat sich bis heute nicht davon erholt.

Eine politische Lösung muss daher auch die Muslimbrüder einbeziehen. Sie abzusetzen reicht nicht. Doch ein Kompromiss ist derzeit nicht mehr sehr wahrscheinlich. Die Armee hat die protestierenden Mursi-Anhänger bereits mit Panzern eingekreist. Sowohl der Armeechef als auch der Präsident haben geschworen, Ägypten mit ihrem Leben zu verteidigen. Sie bereiten die Bevölkerung auf die kommende Gewalt vor.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • PG
    paul Görgens

    Silke Mertins sollte als Beraterin für Demokratie in der islamischen Welt engagiert werden. Sie weiß, was Demokratie ausmacht und wie Demokratie zu steuern ist.

    4.7. "Eine politische Lösung muss ... auch die Muslimbrüder einbeziehen. Sie abzusetzen reicht nicht."

    Wie das zu verstehen steht heute in der Papier-Taz.

    "Solange Islamisten nicht demokratiefähig sind ..., haben sie bei einer demokratischen Wahl nichts verloren."

    Das ganze Schlamassel hätte also vermieden werden können, wenn man diese Brüder erst gar nicht zu Wahlen antreten läßt. Die Muslimbrüder müssen erst demokratiefähig gemacht werden. Da hilft bestimmt, dass man die Leitungskader wegsperrt, ihre Medien dicht macht und bei ihren Demonstrationen einige abknallt.

     

    An die Kämpfer gegen den islamischen "Faschismus":

    Schaut doch mal genau hin, von wem die Gewalt in Ägypten ausgeht.

  • M
    MaterialismusAlter

    @end.the.occupation: "Der Kandidat von USA/Saudi-Arabien/Israel ist an der Macht. Mal sehen, ob die Ägpyter sich das bieten lassen werden."

     

    Es spricht Bände über ihr Weltbild, wenn sie hinter den Ereignissen in Ägypten der letzten Tage die Handlungen der (in ihrem Weltbild offenbar allmächtigen) USA und Israels vermuten.

     

    Ich vermute im Gegenzug mal was über Sie: Sie stehen ganz weit rechts im politischen Spektrum.

     

    Meine Gründe:

     

    1. Die beinahe pathologische Fixiertheit auf Israel.

     

    2. Die Unterstellung, dass jedes Ereignis dadurch erklärt werden kann, dass in Washington und Tel Aviv jemand Fäden zieht.

     

    3. Ihr völkisches Denken in dem eine einheitliche, mit gemeinsamen Interessen versehene Volksgemeinschaft ("die Ägypter")sich die Manipulationen der Israelis/der USA nicht mehr gefallen lassen soll.

     

    4. Die Tatsache, dass sie dazu in der Lage sind, obwohl man wirklich kein Soziologe sein muss, um die tiefen Gräben in der ägyptischen Gesellschaft zu sehen.

  • R
    Revolo

    weg mit Merkel und unserer "Demokratie". Wir haben nur ein wenig mehr Spielraum, mehr nicht.

  • X
    Xhemile

    In Deutschland wird Militär historisch bedingt kritisch gesehen. Am liebsten hätte ich eine Welt ohne Militär, Waffen und Kriege. Es müssten sich aber alle daran halten. Es gibt auch Militär, dass das Volk beschützt. Das Volk hat Mursi gewählt. Aber das Volk ist auf die Straßen gegangen und wollte Mursi nicht mehr. Ist das nicht Demokratie? Das Volk will keinen Unterdrückerstaat der sich "demokratisch" nennt. Ein Unterdrückerstaat der Volk keine Freiheit gibt. Warum ist das Volk vorher auf die Straßen gegangen? Man kann sehen, in allen Ländern von der Region werden Islamisten unterstützt. Die Frage ist: Ist das die neue Strategie der Imperialisten USA und GB? Gegen Islam sind alle. Im Westen haben alle Medien gegen Islam Stimmung gemacht. Moslems lassen das nicht auf sich sitzen. Der Islam ist nicht so schlecht. Nicht die Religion. Niemand läuft rum wie in Deutschland und will dich bekehren. Aber es gibt Islamisten, Fundamentalisten ohne gute Absichten. Die darf man nicht stärken. Der Westen und USA stärken aber Islamisten. Wie in Syrien. Staaten ohne Gottesbezug werden umgebaut in Staaten mit Gottesbezug wie Türkei. Ist das ein Trick? Solidarisierung schaffen durch Medienkampagne und Krieg gegen Islam und mit viel Geld und Medien Wahlkampf der Islamisten stützen. Die Imperialisten wollen immer die Kontrolle über die Länder. Ich hoffe das Militär ist schlau, bleibt friedlich und macht was für das Volk. Weil USA viel Geld in ägyptisches Militär schiebt hab ich Bedenken. Aber so unterwandert wie in Türkei ist es noch nicht. Die USA hatte nicht genug Zeit. Konnten nicht wie in Türkei viele Generäle verhaften und in Gefägnisse stecken.

  • B
    Bernd

    Ein guter Artikel zum Putsch in Ägypten. Der Hinweis auf Algerien ist überlegenswert.

  • E
    end.the.occupation

    Der Kandidat von USA/Saudi-Arabien/Israel ist an der Macht. Mal sehen, ob die Ägpyter sich das bieten lassen werden.

  • M
    MaterialismusAlter

    "die Opposition schaffte es nicht, sich hinter einem Kandidaten zu versammeln"

     

    "Die Muslimbrüder mit einbeziehen"

     

    Hier drückt sich eine Vorstellung von Politik aus, die in Zeiten der Postmoderne leider immer verbreiteter geworden ist: Die Idee, es müssten sich ja nur mal alle zusammensetzen und dann könnte man schon eine Art Minimalkonsens finden.

     

    Das Problem ist: Politische Bewegungen sind nicht nicht nur Ideen in den Köpfen der Menschen, die sie verwerfen können, wenn es die Situation gebietet, sondern Ausdruck materieller Verhältnisse, Ausdruck von Sachzwängen, denen einzelne Akteure unterliegen.

     

    Die mittlere Bourgeoisie in Ägypten, die von einem bürgerlichen Staat profitieren würde, ist klein und bringt allein keine Mehrheit auf die Beine. Die wirtschaftliche Ausweglosigkeit des Landes befördert hingegen eine faschistische Krisenlösungsideologie, wie sie sich in den Muslimbrüdern manifestiert - ihr läuft vor allem das Lumpenproletariat zu, das in dem kaptialistischen, bürgerlich-freiheitlichen Ägypten, dass sich der Westen vorstellt, keinen Platz und keine Zukunft hat. Und dann gibt es noch die Rentenbezieher aus dem Militär (und marginale Ansätze einer progressiven Linken).

     

    Wenn es in Ägypten nicht gelingt die wirtschaftliche Dauerkrise zu beenden, kann es in dem Land keine Stabilität geben - bestenfalls Friedhofsruhe, die wahlweise vom Militär oder von den Muslimbrüdern durchgesetzt wird. Jeder aufgeklärte Mensch sollte Ersterem den Vorzug geben.

     

    Ob sich die Wirtschaft Ägyptens erholt, das hängt von der weiteren Entwicklung des globalen Kapitalismus ab - Zweifel sind angebracht.

  • G
    Gonzi

    "knallharte Interessenpolitik" habe Mursi betrieben, schreibt Silke Mertens.

     

    Und welche Interessen hat er geschützt und gefördert?

  • A
    Antifa

    Und die Folgen wo eine demokratisch gewählte faschistische Partei nicht frühzeitig gestürzt wurde hat man im Zweiten Weltkrieg gesehen.

     

    Ich bin froh das Mursi und seine Helfer weg sind. Nie wieder Faschismus!

  • J
    Jan

    Es ist gut, dass die Muslimbrüder vom Militär festgenommen und oder festgehalten werden. Denn wer zu Widerstand durch Gewalt aufruft, hat in einem hohen Amt der Regierung nichts verloren. Die Reaktion der Muslimbrüder im Laufe der Entwicklung des Protests spricht Bände über ihre Weltanschauung und Pläne für die Zukunft. Das Handeln und die Interessen des Militärs sind durchaus gut. Eine starke Wirtschaft kommt auch dem Volk zugute. Das dem Militär egal ist wer regiert ist in diesem Zusammenhang auch nur positiv zu sehen. Ihnen ist alles Recht solange es der Wirtschaft gut geht und keine Gewalt die Straßen beherrscht.

    Natürlich muss man abwarten, aber was wäre passiert wenn das Militär nicht eingegriffen hätte?? Das weiß niemand....